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Deutsche Politiker erwarten weitere Reformimpulse in der Türkei

30. August 2007

Eine überparteiliche Amtsführung und neue Reformimpulse erwarten Politiker in Berlin nach der Wahl des islamisch-konservativen Politikers Abdullah Gül zum Staatspräsidenten der Türkei.

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Berlin zuversichtlichBild: AP

Grünen-Chefin Claudia Roth hat sich nach der Wahl Güls zuversichtlich geäußert: "Ich glaube, es wird sehr wichtig sein, dass Abdullah Gül die Amtsführung sehr überparteilich versteht, und dass er deutlich Zeichen aussendet, dass er der Präsident aller Menschen in der Türkei ist: der modernen Frauen, der ethnischen Gruppen, der unterschiedlichen religiösen Gruppen, dass er alle Menschen in der Türkei als Präsident vertritt und nicht der Präsident der AK-Partei ist."

Claudia Roth wünscht sich auch eine starke Opposition in der Türkei. Denn: "Es gibt ganz viel, wo man diese AK-Partei und die Regierung kritisieren sollte. Das gehört zu einer Demokratie. Eine konstruktive Oppositionspolitik ist jetzt angesagt, im Sinne der Weiterentwicklung der Türkei. Konstruktive Opposition heißt aber nicht, das zu tun, was Baykal Äder, der Vorsitzende der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), jetzt schon wieder getan hat, beispielsweise die Wahl des Präsidenten zu boykottieren."

Hoffnung auf Fortsetzung des Europakurses

Die Regierungspartei AKP ist seit 2002 an der Macht. In den vergangenen fünf Jahren wurde deutlich, dass Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und seine Partei einen Pro-EU-Kurs steuerten. Und auch Gül gilt als pro-europäischer Reformer. Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, erwartet deshalb nach Güls Wahl neue Reformimpulse: "Die AK-Partei hat in ihrer ersten Regierungszeit sehr energische Reformen in Richtung auf die Europäische Union und auf Europa durchgeführt. In den letzten anderthalb Jahren ist dieses Reformtempo dann langsamer geworden, teilweise zum Erliegen gekommen. Ich denke, dass die neu gewonnene stabile Parlamentsmehrheit und die Tatsache, dass man jetzt auch den Präsidenten stellt, dazu beitragen sollte, dass es wieder neue Reformimpulse von der Regierung gibt und der Europakurs fortgesetzt wird."

Der Reformprozess, den die AKP angestoßen hat, kann man als Zeichen der prowestlichen Orientierung interpretieren – trotz der Tatsache, dass die AKP eine religiös-konservative Partei ist. Polenz glaubt, dass eine Partei mit religiöser Grundlage dem Säkularismus in der Türkei nicht schaden kann: "Das erklärte Ziel, wo Erdogan seine Partei hinführen will, ist so eine Art CDU für Muslime. Das heißt, eine Partei, die ein religiöses Fundament hat, die weiß, dass man in einem säkularen Staat die eigenen Wertüberzeugungen sicherlich in die Politik einfließen lässt, dass aber Politik etwas anderes ist, als sozusagen direkt aus dem Koran – oder direkt jetzt bezogen auf die CDU aus der Bibel – bestimmte Handlungsanweisung für die Politik abzuleiten. Ich glaube, man muss diese Sorgen nicht haben."

Nur Reformen nutzen den Bürgern

SPD-Politikerin Uta Zapf schlägt in die gleiche Kerbe. Sie erklärt, warum die Furcht, dass in der Türkei ein Gottesstaat errichtet werden könnte, unrealistisch ist: "Erstens bin ich ganz sicher, dass die AKP-Wähler ganz normale Bürger sind, die überhaupt nicht im Sinn haben, dass eine Entwicklung im Bezug auf religiöse Staatsformen etwas Gutes ist, sondern die gesehen haben: Es sind Reformen, die den Bürgern und Bürgerinnen nutzen. Und ich glaube, dass diese Regierung das sehr genau weiß und dieses Ziel eben weiter verfolgen wird – ohne den von manchen vermuteten Hintergedanken."

Die SPD-Politikerin ist überzeugt, dass die Mehrheit der Bevölkerung – auch wenn sie religiös ist – die Religion als etwas betrachtet, was nichts mit der Staatsform zu tun hat, sondern mit einem Recht, die eigene Religion auszuüben. Deshalb würde die türkische Öffentlichkeit eine Entwicklung nicht mittragen, die den befürchteten Gottesstaat näher bringen würde.

Seda Serdar
DW-RADIO/Türkisch, 28.8.2007, Fokus Ost-Südost