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Deutsche lieben Heftchenromane

1. Juni 2011

Das Gute siegt immer. Die heile Welt der Romanhefte verkauft sich auch in Zeiten neuer Medien. Kein deutsches Phänomen, aber hier laufen sie besonders gut. Könnte das an einem Hang zur Realitätsflucht liegen?

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Kisten mit Romanheften auf einem Flohmarkt (Foto: Bilderbox)
Bild: BilderBox

Susanne Ludwig hat rote Rosen gekauft, aber es geht ihr nicht gut. Sie muss an Felix denken. Ihre große Liebe. Felix ist schon länger tot, aber weil er ihr nicht aus dem Kopf geht, sieht sie nicht, dass ein anderer Mann sich nach ihr verzehrt: Fabian. Das wird sich aber ändern, spätestens auf Seite 64 werden sich die beiden in die Arme sinken. Dafür sorgen Autoren wie Johanna Buresch. Sie ist eine der unzähligen anonymen Schreiber, die für den wöchentlichen Nachschub an Heftchenromanen sorgen. Mehr als 1000 Geschichten hat sie in 30 Jahren erfunden, Arzt- und Liebesromane, Western und Gruselgeschichten. Etwa einen pro Woche.

Ein Handwerk, das man lernen kann, sagt sie. Die ausgebildete Krankenschwester verdient damit ihr Geld. Das funktioniert, solange man als Autor kein Problem damit hat, unter einem Pseudonym zu arbeiten und wenn man sich an die Regeln hält: ein Happy End muss sein, der Held ist niemals absolut böse und von religiösen Themen lässt man die Finger, es könnten sonst ungewollt Leser in ihrem Glauben verletzt werden. "Alle Geschichten leben von Handlung", so Buresch, "das Schlimmste, das sie sich antun können, ist seitenlang den Held oder die Heldin in Gedanken abwägen lassen, könnte es so oder könnte es so sein - der Leser gähnt sich zu Tode. Sie brauchen Handlung, noch mal Handlung und Dialog."

Beliebter Schund

Cover des Heftromans Der Bergdoktor
Das Gute siegt...Bild: Bastei Lübbe-Verlag

Und jede Geschichte braucht immer ein Problem, eine Herausforderung. Es muss ein Spannungsbogen aufgebaut werden, der nach 64 Seiten zu einem schlüssigen Ende kommt. Ironie, Satire und unterschwellige Botschaften existieren in der Welt der Heftchenromane nicht, die in Deutschland zur sogenannten Trivialliteratur zählen. Seit dem 18. Jahrhundert wird dieser Begriff abwertend für Literatur benutzt, die möglichst viele Leser erreichen soll, geschrieben in einfacher Sprache ohne intellektuelle Herausforderungen mit einem wiedererkennbaren Stil. Diese wertende Unterscheidung zwischen Hoch- und Niedrigkultur hat sich allerdings nur in Deutschland so stark ausgeprägt.

Die Verlage wehren sich gegen solch eine Abwertung. Sie sprechen von deshalb von Heftromanen, in Literaturlexika und umgangssprachlich ist allerdings von Heftchenromanen die Rede. Die ersten kamen in Deutschland Ende des 18. Jahrhunderts aufkamen, wurden sie sehr schnell von einer intellektuellen Schicht als Schund verdammt. Damals waren die Romane große, gefaltete Papierbögen, meist mit einem kleinen Bild und einem Text, "der war sehr einfach abgefasst, war von der Wortwahl her nicht kompliziert, von den Motiven her relativ beschränkt auf Mord und Totschlag und Liebe, Beziehungsgeschichten, genau wie heute in den Heftchenromanen", sagt Volkskundlerin Sabine Wienker-Piepho. Mit dem 19. Jahrhundert und den Veränderungen im Buchdruck, veränderten sich auch die Heftromane. In ihrer heutigen Form gibt es sei erst seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Komplizierte Einfachheit

Cover des Heftromans Gespensterkrimi
...fast immer.Bild: Bastei Lübbe-Verlag

Am besten verkauften sie sich in Deutschland ab den 1950er Jahren bis in die 1970er hinein. Sie waren günstig in der Produktion und boten Ablenkung von den Alltagssorgen der Nachkriegszeit und allen gesellschaftlichen Umbrüchen. Bis heute hält sich hartnäckig das Vorurteil, Heftcheromane würden vor allem von älteren und ungebildeten Menschen gelesen. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass das so nicht stimmt. Eine Tatsache, die Florian Marzin aus den eigenen Leserbefragungen bestätigen kann. Er ist als Cheflektor beim Bastei Lübbe-Verlag zuständig für den Romanheftsektor. "Die Hefte aus den Bereichen Horror und Science Fiction werden von allen Bevölkerungsgruppen, Altersgruppen und durch alle Berufe hinweg gelesen. Der Western-Leser ist eher etwas älter, und bei den Liebesromanen und Arztromanen ist die Leserschicht hauptsächlich weiblich und zwischen 35 und 60 Jahren."

Heftchenromane seien zwar Unterhaltungsliteratur, ein Presseprodukt, das wöchentlich neu erscheine, aber billig gemacht und einfach gestrickt seien die Hefte nicht, so Marzin. Besonders im Bereich Science Fiction werde immer wieder deutlich, dass die Leser die Heftchenromane an den Standards von Büchern messen. "Wir können da keinen Blödsinn erzählen, sondern müssen eine fundierte Handlung konzipieren und es steckt sehr viel mehr Arbeit dahinter als man normalerweise glaubt."

64 Seiten für Chinesen

Cover des Heftromans Jerry Cotton
Und Jerry Cotton überlebt.Bild: Bastei Lübbe-Verlag

Seit 1952 bringt Marktführer Bastei Lübbe Romanhefte heraus, momentan gibt es im Frauenbereich 19 Serien und im Männerbereich 13. Die Auflagen sind in den vergangenen 30 Jahren zurückgegangen, als die Buchproduktion günstiger und das Taschenbuch zur ernsthaften Konkurrenz wurde. Trotzdem machen die Hefte heute noch zehn Prozent des jährlichen Umsatzes des Verlags aus - etwa 8,5 Millionen - und sie werden ins Ausland verkauft.

Die bekannte Krimiserie "Jerry Cotton" zum Beispiel ist schon mal auf Chinesisch erschienen und wird momentan nach Belgien, in die Niederlande, nach Tschechien, Frankreich und Polen in Lizenz verkauft, dort übersetzt und publiziert. Liebesromane und Heimatromane dagegen verkaufen sich weniger gut ins Ausland, weil sie auf bestimmte Lesegewohnheiten und Regionen zugeschnitten sind.

Zwar gibt es auch in Italien, Frankreich und Großbritannien ähnliche, im Land selbst entwickelte Heftroman-Serien, aber längst nicht in einem vergleichbaren Umfang wie in Deutschland. Lektor Florian Marzin erklärt sich das damit, dass die Deutschen generell ein sehr lesefreudiges Volk sind. "Ich glaube, dass die Romanhefte einerseits von Leuten gelesen werden, die eine kurzweilige Unterhaltung suchen. Andererseits weiß ich aber, dass die Leser von Romanheften auch sehr viele Bücher lesen."

Illusion statt Realität

Leser von Heftchenromanen wissen schon vor dem Kauf, was sie bekommen: Agent Jerry Cotton überlebt, liebende Paare finden zueinander, die Realität bleibt außen vor. Wäre es anders, wären die Leser enttäuscht, bestätigt auch Johanna Buresch, die erfahrene Autorin von Heftromanen. Vor Jahren habe ein Verlag, für den sie arbeite, versucht, eine Serie namens "Meine Ehe" auf den Markt zu bringen. "Das war so wie im richtigen Leben, es gab nicht nur Happy Ends, sondern auch Scheidungen." Der Verlag habe damals viel Geld in dieses Projekt investiert und es sei sang- und klanglos untergegangen. "Das Fazit daraus war, dass die Leute Illusionen kaufen möchten. Sie möchten das Glück kaufen. Männer wie Frauen. Die Wahrheit, so wie etwas wirklich ist, will keiner lesen. Oder die wenigsten."

Autorin: Marlis Schaum

Redaktion: Gabriela Schaaf