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Deutsche Lebensart in Russland

1. Dezember 2009

In Russland liegt alles, was deutsch ist, schwer im Trend. Dies gilt längst nicht mehr nur für die gute alte deutsche Wertarbeit, sondern auch für die deutsche Lebensart – oder für das, was die Russen dafür halten.

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Bild: DW

Zum Glück für die Marketing-Strategen ist Deutschland für viele in Russland immer noch weit weg. Die Vorstellungen darüber, wie es bei uns wirklich aussieht, sind dementsprechend klischeebelastet. Jene Klischees funktionieren in russischer Werbung, Restaurants und anderswo dagegen bestens. Auch in Jekaterinburg.

Gezapftes Bier (Foto: AP)
Flüssige deutsche Lebensart: Frisch gezapftes BierBild: AP

Dort im Ural schaut immer noch ein bronzener Lenin auf das Rathaus. Doch seit Kurzem drängen sich blau-weiße Rautenmuster in sein Blickfeld. Die gehören zum "Ratskeller", einem "Bräuhaus mit deutscher Atmosphäre", was in diesem Fall, wie so oft in Russlan, bayrisch bedeutet: Die Einrichtung ist rustikal, die Schlagermusik eher übel.

Mit dem Namen können die Jekaterinburger wenig anfangen. Ein russischer Kollege übersetzt den Namen frei aus dem Englischen: "Rats-Killer", "Rattentöter". Für meine weiblichen Begleiterinnen kommt dagegen die Überraschung mit dem Bier. Als sie ein "großes Bier" bestellten, dachten sie eigentlich an 500 Milliliter, doch jetzt können sie die schweren Ein-Liter-Krüge kaum heben, finden aber schnell eine Lösung: Sie trinken das gute deutsche Hefe-Weizen einfach mit dem Strohhalm.

Cool oder uncool? "En vogue" in jedem Fall

Trotzdem: Deutsch ist "in" in Russland. Kaum ein Land hat im Zweiten Weltkrieg so unter Nazi-Deutschland gelitten wie die Sowjetunion. Dennoch sind viele heute begeistert von allem, was aus Deutschland kommt. Das geht von Autos über Schuhe und Bier bis zu deutschen Pässen, bei denen selbst Polizisten vor lauter Begeisterung vergessen, diese auch wirklich zu kontrollieren: "Die sind ja sogar laminiert", sagte mir ein Polizist mit vor Begeisterung leuchtenden Augen. "Die Deutschen sind cool", so sein schlichtes Fazit.

Swetlana Dick hält am Dienstag ein Wörterbuch Deutsch-Russisch in der Hand und deutet mit dem Finger auf das Land Kasachstan (Foto: dpa)
Bald in Russland ein Bestseller? Wörterbuch Deutsch-RussischBild: dpa - Report

Aber sind sie das wirklich? Das, was hier in Russland als deutsch gilt, ist oft so uncool wie eine Schrebergartenkolonie in Wanne-Eickel. Das Moskauer Restaurant "Sehr gut" versucht mit mittelalterlicher Gotik und schweren Ledersesseln seine Gäste zu beeindrucken. Die Hintergrundmusik kommt dazu aus Tirol – aber wer will da in Sachen Geografie kleinlich sein? Die Speisekarte bietet Gerichte mit so exotischen Namen wie "Feuerhaus, Senfessen, Schwein haben und Freudige Ente".

Bei der Bestellung hilft ein starker russischer Akzent, damit der Kellner auch wirklich das gewünschte Gericht bringt. Warum die Betreiber ausgerechnet auf deutsches Interieur gesetzt haben? "Die Deutschen sind doch ein sehr fröhliches Volk, das es liebt zu singen, zu tanzen und in Restaurants zu sitzen", erklärt Marina Sajzewa vom "Sehr gut"-Team. Dieses Ambiente habe man nach Moskau bringen wollen.

Doch Russland ist Schlimmeres gewöhnt. In einem der letzten Winterhits beschwor eine deutsche Sängerin in derberen Worten das Gesäß ihres Freundes als "das schönste der Welt". Und das Zitat "Das ist fantastisch" aus einer Bier-Reklame höre ich immer wieder, wenn mir ein Taxi-Fahrer zeigen will, dass er ein bisschen Deutsch kann. Immerhin kommen Textzeile der deutschen Rockband "Rammstein" mittlerweile langsam aus der Mode. So bleiben mir weitere Liebeserklärungen mit den Worten "Mein Herz brennt" wohl erspart.

Autor: Erik Albrecht
Redaktion: Joscha Weber