1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Deutsch-tschechische Beziehungen sind so schlecht wie nie"

17. Mai 2002

– Vom Sudetendeutschen Tag sind scharfe Töne Richtung Prag zu erwarten

https://p.dw.com/p/2Bta

Prag, 17.5.2002, PRAGER ZEITUNG, deutsch, Gerd Lemke

Scharfe Töne Richtung Prag sind am Wochenende (18.-19.5.) zu erwarten, wenn in Nürnberg das traditionelle Pfingsttreffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft ansteht. Der monatelange Streit um die Benes-Dekrete liefert den Rednern reichlich Munition. Auch mit Seitenhieben auf die Bundesregierung dürfte kaum gespart werden. Denn der Kanzler-Herausforderer Edmund Stoiber hat sich traditionell als Redner für die Hauptversammlung angekündigt.

"Wir sind nicht weitergekommen", erklärte Bernd Posselt, Vorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft gegenüber der "Prager Zeitung." Die deutsch-tschechischen Beziehungen seien so schlecht wie nie. Posselt wirft der derzeitigen Bundesregierung vor, die Beziehungen einfach laufen gelassen zu haben, ohne eine Lösung voranzutreiben. "Auch die Absage des für März geplanten Kanzler-Besuches war ein Fehler", kritisiert er Gerhard Schröder.

Posselt knüpft große Hoffnungen an einen möglichen Wahlsieg der CDU/CSU. Stoiber wäre ein Kanzler, der die sudetendeutsche Problematik bis ins Detail kenne, sich dafür interessiere und Ambitionen habe, eine Lösung voranzutreiben. Stoibers Ehefrau Karin stammt aus dem westböhmischen Städtchen Bochov und wurde im Alter von drei Jahren vertrieben.

Lösungen könnten nach Posselt so aussehen, dass der tschechische Staat die Vertreibung und Enteignung als Unrecht anerkenne und die Benes-Dekrete außer Kraft setze. Weiterhin fordert er die rechtliche Gleichstellung der deutschen Minderheit in Tschechien, die Einführung eines runden Tisches, an dem tschechische und sudetendeutsche Vertreter beteiligt sein sollen, sowie die Erneuerung des Zusammenlebens in Mitteleuropa.

Radikalere Töne sind von der Sudetendeutschen Landsmannschaft Österreich (SLÖ) zu hören. Der Präsident des mit rund 10.000 Mitgliedern eher kleinen Verbandes, Gerhard Zeihsel, erklärte gegenüber der "Prager Zeitung", dass in Österreich "100-Prozent-Rechtsforderungen" aufgestellt werden. Das heißt konkret, dass die SLÖ eine Streitgenossenschaft unterstützt, die unter Federführung der Juristen Johannes Eltz und Johanna Kammerlander Einzelklagen vorbereite, welche als Muster für weitere Klagen auf Rückerstattung des früheren Eigentums beziehungsweise einer Zahlung von Entschädigungen hinauslaufe.

"Wir werden den Rechtsweg in Tschechien ausschöpfen und gegebenenfalls vor den Europäischen Gerichtshof ziehen", erklärte Zeihsel.

Das werde für Tschechien wesentlich teurer werden als direkte Verhandlungen mit den Betroffenen. Die harte Haltung der SLÖ begründete Zeihsel, der Sympathien mit dem Kurs der Haiderschen FPÖ in dieser Frage nicht verhehlt, mit dem Verhalten der tschechischen Politiker in den vergangenen Wochen. Gleichzeitig prophezeit er: "Auch in Deutschland wird der Ruderschlag stärker werden."

In Österreich hat sich in der vergangenen Woche auch die regierende ÖVP zu Wort gemeldet. Der Landeshauptmann von Niederösterreich, Erwin Proll, erklärte in einem Interview mit der Wiener Tageszeitung "Kurier", ein Veto gegen den EU-Beitritt sei nicht die einzige Möglichkeit Wiens, Druck auf Prag auszuüben. "Es gibt ja auch das Zwischending der Verzögerung", deutete der neben Kanzler Wolfgang Schüssel starke Mann der Volkspartei an.

Moderate Stimmen haben es dagegen derzeit eher schwer, sich Gehör zu verschaffen. Der Abgeordnete des Europaparlamentes für die Grünen, Daniel Cohn-Bendit, regte während eines Prag-Besuchs in der vergangenen Woche eine europäische Konferenz an, welche die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges und die sich daraus ergebenden Veränderungen feststellen solle. Damit könne die Diskussion um die Benes-Dekrete beendet werden, glaubt der Politiker. (ykk)