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Deutsch-französischer Kunststreit

Sarah Judith Hofmann23. April 2013

Die Pariser Ausstellung "De l'Allemagne" sollte ein Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft werden. Doch nun fühlen sich die Deutschen in der Kunst falsch dargestellt.

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Der Louvre in Paris (Foto: DW)
Bild: DW

In der Eingangshalle zur Deutschland-Ausstellung im Pariser Louvre stehen zwei Namen auf einem Holzschnitt: "Madame de Staël" und wenige Zentimeter daneben "Heinrich Heine". Die eine ist Französin: Madame de Staël ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Deutschland gegangen und hat von dort ihr Buch "De l'Allemagne" geschrieben. Sie berichtete aus und über Deutschland und gab den Deutschen zugleich Tipps, was sie von Frankreich lernen können. Der andere, Heinrich Heine, antwortete ihr als deutscher Dichter aus dem Pariser Exil. Sie stritten sich - schon damals.

Jetzt zieren ihre beiden Namen einen Holzschnitt von Anselm Kiefer. Der deutsche Künstler hat extra zehn große Tafeln mit Holzschnitten für den Eingangssaal der Ausstellung angefertigt. Über ihnen prangt der Schriftzug "De l'Allemagne – aus und über Deutschland". So heißt die Ausstellung im Pariser Louvre.

Frankreichs Premier Jean-Marc Ayrault (M.) und Kulturstaatsminister Bernd Neumann (r.) im Louvre (Foto: AFP/Getty Images)
Besuchten die Ausstellung im Louvre: Frankreichs Premier Jean-Marc Ayrault (M.) und Kulturstaatsminister Bernd Neumann (r.)Bild: AFP/Getty Images

"De l'Allemagne" sollte ein Projekt der Kulturbegegnung werden, gefeiert im 50. Jahr des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags. Jetzt streiten Deutsche und Franzosen wieder. Aber der Reihe nach.

Die Ausstellung  ist eine deutsch-französische Kooperation, unter der Schirmherrschaft der deutschen Kanzlerin und des französischen Präsidenten, vom Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris konzipiert und vom Louvre inszeniert. Eröffnet wurde sie vor drei Wochen vom deutschen Kulturstaatsminister.

Die Einen begeistert, die Anderen schockiert

Die französische Kritik ist seither begeistert, die Reaktionen in deutschen Zeitungen hingegen häufig befremdet, wenn nicht offen schockiert. Der Vorwurf: Der Louvre zeige die Bildergeschichte eines abgründigen, "von starken dunklen Kräften gebeutelten Landes", das über die Romantik "mehr oder weniger geradlinig auf den Nationalsozialismus zusteuerte", so eine deutsche Tageszeitung. Die Ausstellung bestätige alle Klischees des romantischen und zugleich gefährlich dunklen Nachbarlandes.

Danièle Cohn ist eine der Ausstellungkuratorinnen und Philosophin an der Pariser Universität Sorbonne. Sie antwortet auf die Fragen der DW in fließendem Deutsch: "Eine Ausstellung über Deutschland bedeutet nicht, dass man alles über Deutschland sagt."  Man habe den Franzosen, die nur wenig von deutscher Malerei wissen, einen möglichst breit gespannten Bogen deutscher Kunstgeschichte zeigen wollen. "Wir möchten, dass die Leute Fragen stellen zu dieser Kulturgeschichte, die so nah für uns ist und zugleich so fern." "Für uns ist die deutsche Kunst alles andere als dunkel", sagt auch Sébastien Allard, ebenfalls Kurator der Ausstellung und Konservator am Louvre.

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Die Deutschen und ihr Nationalbewusstsein

Rund 200 Werke sind derzeit im Louvre zu sehen. Sie reichen von 1800 bis 1939 und sind in drei große Kapitel unterteilt. Das erste widmet sich der schwierigen Suche Deutschlands nach einem Nationalbewusstsein - das sich, verglichen mit den Franzosen, erstaunlich spät entwickelte. Die Ausstellung zeigt in Gemälden, wie die Deutschen zunächst noch träumerisch gen Italien oder in die Antike Griechenlands zurückblicken. Auf weiteren Gemälden ist dann zu sehen, dass die vielen deutschen Einzelstaaten zusammenfanden, zum Beispiel über gemeinsame Märchen und Sagen. Sie errichteten nach dem Vorbild der Kirchenromantik den Kölner Dom als Zeichen eines nationalen Stolzes.

Caspar David Friedrich, L’Arbre aux corbeaux, 1822 musée du Louvre © Musée du Louvre
Caspar David Friedrich kannten die Franzosen schon vorher - aber viel mehr auch nichtBild: RMN Grand Palais (Musée du Louvre)/Michel Urtado

Bereits in diesem ersten Teil setzt der deutsche Galerist Karsten Greve mit seinem ersten Kritikpunkt an. Diese "dunkle Götterdämmerung und die Dämonen, die da überall rumkriechen", das gehe ihm schon ziemlich "auf die Nerven". "Die Tendenz dieser Ausstellung finde ich negativ", sagt er. Seit 24 Jahren hat der Kölner Galerist einen Ableger in Paris. Er finde es "absolut grässlich", wenn man das Nationalthema nun wieder so hoch hänge. Kunst sei schließlich Weltkunst.

Das zweite Kapitel der Ausstellung zeigt die Hinwendung zur Natur  - und das vor allem mit Caspar David Friedrich, einem der bedeutendsten Maler der deutschen Frühromantik. Seine Panoramen von deutschen Bergen oder vom Blick auf die Ostsee sind weltweit bekannt. Diese neblig und zugleich erhabenen Landschaften lassen sich aber auch leicht als Klischee deuten. Vor allem, da Friedrich einer der wenigen Künstler sei, die in Frankreich schon häufig gezeigt wurden, wie Karsten Greve meint.

Von der Romantik zum Nationalsozialismus

Das dritte Kapitel schließlich widmet sich dem Menschen in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und endet ausgerechnet mit der glühenden Nationalsozialistin Leni Riefenstahl und ihrem Film "Olympia" von 1936.

"Warum gibt es kein Bauhaus?", fragt Karsten Greve. Für ihn ist die Kunstschule, die vor allem für ihre Konzepte angewandter Kunst bekannt ist, "eine der großartigsten demokratischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts". "Da gab es keine Passkontrolle, ob einer Franzose, Russe, Deutscher oder was auch immer ist." Er selbst zeigt in seiner Galerie gerade Louise Bourgeois, eine Französin, die aber zu Beginn des Zweiten Weltkriegs nach New York ging und nie mehr zurückkehrte. Sie sah sich einfach nur als Weltbürgerin.

Lovis Corinth, Ecce Homo, 1925 © Kunstmuseum Basel/Martin Bühler
Zu dunkel sei die Ausstellung, meinen die Kritiker. Hier Lovis Corinth: Ecce Homo von 1925Bild: Kunstmuseum Basel/Martin Bühler

Gezeigt werden neben Riefenstahl allerdings auch Arbeiten von Käthe Kollwitz, Otto Dix und Otto Sander. Künstler, die in ihren Arbeiten die Schrecken des Ersten Weltkriegs verarbeiteten und den Zweiten bereits kommen sahen.

"Ich kann verstehen, dass für Deutsche die erneute Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus etwas peinlich wird", meint Danièle Cohn, "aber es darf nicht ärgerlich werden". Schließlich habe der Louvre mit dem letzten Raum doch etwas ganz anderes zeigen wollen. Nämlich, dass deutsche Künstler sich ausgerechnet zwischen den beiden Weltkriegen mit der Menschlichkeit auseinandersetzten. Dass die Ausstellung 1939 endet, sei der Versuch gewesen, ein Datum zu nehmen, das für ganz Europa wichtig sei. Sie hätten sich bewusst entschieden, nicht 1933 und die Machtergreifung Hitlers als Endpunkt der Ausstellung zu wählen.

Und was halten die Besucher von der Ausstellung?

Eines fällt sofort auf: Deutsche und Franzosen nehmen die Schau völlig unterschiedlich wahr.

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Der Streit um die Wirkung der Ausstellung aber zeigt zum einen, wie angespannt die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sind. Vor allem aber auch, wie sehr die Deutschen gerade mitten in der Euro-Krise fürchten, erneut als Aggressor wahrgenommen zu werden. Wenn Angela Merkel auf griechischen Titelseiten mit Hitlerbart erscheint, dann, so scheint es, braucht man nicht noch eine Ausstellung, die Deutschland womöglich auch in der Kunst negativ spiegeln könnte.

Viele Besucher im Louvre sehen das lockerer. Deutsche und Franzosen gehen hier gemeinsam ein und aus. Vielleicht diskutieren sie hinterher ja auch bei einem Wein oder Bier darüber, was ihnen gefallen hat und was nicht - in aller Freundschaft. So wie einst Madame de Staël und Heinrich Heine.