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Nur für den Norden?

4. August 2009

"Desertec" soll Europa mit Solarstrom aus Afrika versorgen. Eine Chance im Kampf gegen den Klimawandel ist das Projekt nur, wenn auch Entwicklungsländer einbezogen werden, meinen Romy Chevalier und Matthias Ruchser.

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Symbolbild Gastkolumne vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE)
Bild: DW

Der Glaubenskrieg über die zukünftige Energieversorgung ist wieder voll entbrannt: Angeheizt durch die Gründung des Desertec-Konsortiums am 13. Juli in München stehen sich in der Energiedebatte die Anhänger zentraler gegen dezentraler und konventioneller gegen erneuerbarer Energieerzeugung verbittert gegenüber. Der einzige Unterschied zu vergangenen Jahren ist, dass sich die Befürworter der konventionellen Energien inzwischen in einer Rechtfertigungsposition befinden. Durch den sich beschleunigenden Klimawandel setzt sich die Einsicht durch, dass Energieversorgung in Zukunft erneuerbar sein muss. Falls in fünfzehn oder zwanzig Jahren Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung und -speicherung zur Verfügung stehen, werden die Erzeugungskosten für Kohlestrom höher sein als für Windkraft oder Bioenergie. Dann wird es interessant sein, wie die heutigen Kritiker der erneuerbaren Energien eine Subventionierung von konventionellem Strom rechtfertigen werden.

Das sind jedoch Luxusprobleme, wenn man die Energieversorgung Europas mit der Afrikas vergleicht. Auf einem Kontinent, wo Millionen Menschen überhaupt keinen Zugang zu Energie haben, muss sich die Debatte zunächst um Energiezugang im Allgemeinen drehen und seine Auswirkungen auf Sozioökonomie, Mensch und Technologie. Folglich macht eine dezentrale Energieproduktion mit Photovoltaik, Solarwärme oder Bioenergie dort Sinn, wo sie netzunabhängig und lokal stattfindet. Zentrale Energieerzeugungsstrukturen wie die von Desertec geplanten solarthermischen Kraftwerke (CSP), aber auch Wasserkraftwerke oder große Bioenergiekraftwerke werden hingegen für industrialisierte oder dicht bevölkerte Regionen geeignet sein, wo eine kontinuierliche Grundlast benötigt wird.

65 000 Quadratkilometer könnten die Welt versorgen

Die Energieversorgung ist derzeit nicht in allen Ländern gesichert. Dabei ist der Zugang zu Energie ein fundamentaler Bestandteil der Millenniumsziele der Vereinten Nationen zur Entwicklung und Armutsbekämpfung. Energie ist eine Grundvorrausetzung für wirtschaftliches Wachstum und nachhaltige Lebensgrundlagen in Afrika.

Der Zugang zu sauberen und nachhaltigen Energiedienstleistungen ist eine enorme Herausforderung für den afrikanischen Kontinent – obwohl eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) befand, dass 65.000 Quadratkilometer solarthermische Stromerzeugung in der Sahara alleine den gesamten weltweiten Energiebedarf decken könnten. Afrikas Anteil am weltweiten Verbrauch von Primärenergie macht dabei lediglich drei Prozent aus, der geringste Pro-Kopf-Verbrauch der Welt. Allerdings hat der Kontinent den höchsten Anteil am weltweiten Verbrauch herkömmlicher Biomasse: 59 Prozent der Bevölkerung sind immer noch auf ineffiziente Energiequellen wie Feuerholz angewiesen.

Der fehlende Zugang zu Elektrizität treibt die Produktionskosten in die Höhe und verringert die Wettbewerbsfähigkeit der Entwicklungsländer auf dem weltweiten Markt. Strom spielt eine ausschlaggebende Rolle, nicht nur für die Beleuchtung, sondern auch um Gesundheitsdienste, Kommunikation, Information und Bildung zu ermöglichen.

Der Süden hat Nachholbedarf

Vor dem Hintergrund der Klima- und Entwicklungskrise sind technologische Innovationen notwendig, um CO2-arme und hocheffiziente Energieformen zu erschließen – im Norden genauso wie in Entwicklungsländern im Süden. Insbesondere was die Energieeffizienz betrifft, hat der Süden einiges aufzuholen. Der Energiebedarf pro erzeugte Einheit Bruttoinlandsprodukt ist in Entwicklungsländern höher als in Industriestaaten. In den meisten Entwicklungsländern wird Energie noch immer hoch subventioniert – eine mögliche Ursache dafür, dass kein Bedarf für Energiesparmaßnahmen gesehen wird.

Afrika steckt in einem Dilemma: Auf der einen Seite wird Energie ineffizient eingesetzt und auf der anderen Seite werden neue Technologien und Energieerzeugungskapazitäten benötigt. CO2-arme Technologien eröffnen neue Wege, durch die menschliche Bedürfnisse befriedigt werden können und gleichzeitig die Armut vermindert wird, neue wirtschaftliche Märkte erschlossen und neue Jobs geschaffen werden können.

Der Mehrwert wird in Europa geschaffen

Die Desertec-Pläne beschränken sich auf den Nahen Osten und Nordafrika (MENA-Region) als potentielle Standorte für CSP-Anlagen. Aber wo bleibt Subsahara-Afrika? Die durchschnittliche Sonnenstrahlung ist in Südafrika, Namibia und Botswana höher als in den meisten anderen Regionen – in der nördlichen Kap-Region rund 2950 kWh/m2 im Jahr. Im Vergleich: In der Sahara sind es 2350 kWh/m2/Jahr, in Südeuropa gar nur 1700. Studien haben gezeigt, dass die solaren Ressourcen nördlich der Kalahari-Wüste, die sich vom Norden Südafrikas bis nach Angola und Sambia erstreckt, stetig abnehmen.

Außerdem besteht das Desertec-Konsortium hauptsächlich aus deutschen Firmen, lediglich ein paar Gäste aus der MENA-Region nahmen am Gründungsprozess teil. CSP ist modular, das heißt, der größte Mehrwert wird in der Herstellung liegen und nicht bei der Konstruktion vor Ort. Sprich, die meisten Arbeitsplätze werden in den Fabriken der Technologieentwickler geschaffen. Wobei auch afrikanische Länder bereits über einige der benötigten Fachkenntnisse verfügen: Südafrika beispielsweise verwendet die fortschrittliche Hochspannungsgleichstromübertragung (HVDC) für Wasserkraft aus Mosambik. Das gilt auch für Fertigungsteile für solarthermische Kraftwerke: Glas, Lacke, elektrische Motoren, Getriebe oder Gestelle werden alle auch in der südafrikanischen Autoindustrie produziert.

Der Süden muss Vorrang haben

Afrika wird in neue Energie-Infrastrukturprojekte investieren, da es ohne Energie keine Entwicklung geben wird. In großen Teilen fließen diese Investitionen allerdings in konventionelle Kraftwerke. Für den Einsatz von erneuerbaren Energien gibt es immer noch große Hemmnisse: So sind die Investitionskosten pro Kilowattstunde zunächst höher als bei konventionellen Technologien. Im Fall der solarthermischen Kraftwerke ist die Technologie auf wenige Hersteller konzentriert. Außerdem werden die technischen und finanziellen Risiken als zu hoch eingeschätzt.

Bislang ist die Desertec-Initiative eine Vision, die bis zum Jahr 2050 umgesetzt sein soll. In den nächsten drei Jahren, in denen das Konsortium Machbarkeitsstudien und rentable Investitionspläne entwickeln will, wird sich zeigen, ob diese Vision tatsächlich Realität werden kann. Eines ist wichtig: Von Beginn an muss der Süden in das Projekt einbezogen werden. Die Entwicklungsbedürfnisse des Südens müssen Vorrang haben. Gleichzeitig darf Desertec nicht als Verzögerungsgrund für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland oder Europa herhalten. Unter diesen Umständen kann Desertec eine treibende Kraft sein im Kampf gegen den Klimawandel – sowohl für den Norden als auch für den Süden.

Von Romy Chevallier, Wissenschaftliche Mitarbeiterin "EU-Africa Programme", South African Institute of International Affairs (SAIIA) und

Matthias Ruchser, Consultant in der Energiewirtschaft und Gründer von Energetic Consulting.

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das einzigartige wissenschaftliche Profil des DIE ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Forschung, Beratung und Ausbildung. Dadurch baut das DIE Brücken zwischen Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.