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Kommentar Ballack

6. Juli 2010

Ballack, der verletzte Kapitän, ist vorzeitig aus Südafrika abgereist. WM-Spielführer Lahm beansprucht die Kapitänsbinde dauerhaft für sich. Ist Ballacks Rückkehr ins Team überflüssig? Daniel Scheschkewitz kommentiert.

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Symbolbild Kommentar
Bild: DW

Vor der WM war der Schock groß: Ausgerechnet Michael Ballack, der führungsstarke Mittelfeldspieler und kampferprobte Kapitän der Nationalmannschaft fiel durch das grobe Foul eines Gegenspielers verletzt für die WM aus. Ein nationales Desaster, das zum vorzeitigen Ausscheiden der deutschen Mannschaft führen könnte, so mutmaßten noch vor wenigen Wochen die Fußballskeptiker und Auguren der Nation.

DW-Redakteur Daniel Scheschkewitz
DW-Redakteur Daniel ScheschkewitzBild: DW

Doch dann ist alles anders gekommen. Zur Überraschung vieler spielte sich Deutschland mit herzerfrischendem Fußball und sehenswerten Kombinationen ins Halbfinale dieser Weltmeisterschaft. Das Team kämpfte und spielte ganz ohne Ballack Fußball von einer Qualität, wie sie ein deutsches Team schon seit Jahrzehnten nicht mehr geboten hatte. Das vermeintliche Vakuum des Führungsspielers füllten andere aus. Schweinsteiger und Lahm heißen die neuen Leitwölfe im Team. Sie werden von den jungen Mitspielern problemlos akzeptiert, weil sie ohne Starallüren Teil der Mannschaft sind und allein durch ihre spielerische Klasse zu überzeugen wissen. Das war bei Ballack anders. Er war der große Kapitän, dessen Spiel bestimmende Autorität durch niemand in Frage gestellt werden durfte. Nicht von seinen Mitspielern und auch nicht vom Trainer. Der Kapitän war über alle Kritik erhaben, so hatte es den Anschein.

Das ging nicht immer gut. Konflikte mit Bundestrainer Löw und Spielern wie Podolski, der Ballack vor den Augen aller auf dem Platz ohrfeigte, waren die Folge. Und insgeheim dürften gerade die jungen Spieler im Team aufgeatmet haben als Ballack die WM –Teilnahme aufgeben musste. Jetzt bricht sich ihre Kreativität ungehemmt Bahnen. Spielwitz und Teamgeist sind die neuen Erfolgsgaranten. Während die Anspielstation Ballack das Spiel früher oft langsam und berechenbar machte, sind Tempo und der gewisse Überraschungsmoment zum neuen Markenzeichen der deutschen Mannschaft geworden. Statt Ordnung und straffer Führung bricht sich ungewohnte Kreativität spielerische Bahnen. Steckt vielleicht sogar noch mehr dahinter? Sind heute nicht überall flache Hierarchien die produktiveren Systeme? Haben die urdeutschen Tugenden von Disziplin und Gehorsam - die ein Michael Ballack einfordern durfte - in Deutschland nicht längst ausgedient?

Ist die Welt von der Spielweise der deutschen Mannschaft nicht gerade deshalb so angetan? Könnte es also sein, dass Michael Ballack nach nur fünf WM Spielen zum Außenseiter, zum Fremdkörper in einer Mannschaft geworden ist, deren Reifungsprozess in Folge seiner Abwesenheit beschleunigt wurde. Mit dem Ergebnis, dass niemand dem abgereisten Kapitän jetzt eine Träne nachweint? Wie so viel im Fußball ist all das nur Spekulation. Vielleicht wird eine im Halbfinale geschlagene Mannschaft noch dankbar für die Rückkehr des Spielführers Ballack sein. Nach der verlorenen WM. Wenn es jedoch mit dem Titel klappt, spricht nicht viel für eine Fortsetzung der Ära Ballack. Das Team 2010 hat nämlich längst selber Fußballgeschichte geschrieben.

Autor: Daniel Scheschkewitz

Redaktion: Arnulf Boettcher