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Der zweite Ausstieg

Anne-Katrin Mellmann12. Dezember 2002

Bis zu seinem Ausstieg aus der Neonazi-Szene 1993 war Ingo Hasselbach einer ihrer führenden Köpfe. Der Film "Führer Ex" soll der endgültige Schlussstrich sein, so Hasselbach im Gespräch mit DW-WORLD.

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Will ein neues Leben beginnen: Ingo HasselbachBild: Tobis

Eine seltsame Karriere: Nachdem Hasselbach 1993 der Neonazi-Szene den Rücken gekehrt hatte, engagierte er sich als der "Vorzeige-Aussteiger". Er diente als gutes Beispiel, versuchte Jugendliche vom Einstieg in die Szene abzubringen, oder zeigte ihnen den Weg nach draußen.

Beruf: Ex-Neonazi

Als einer der Initiatoren des Aussteigerprogramms "Exit“ hat Hasselbach bis heute nach eigenen Angaben mehr als 200 Aussteigewilligen einen Weg aus der Neonazi-Szene aufgezeigt. Doch damit ist jetzt Schluss. Ingo Hasselbach will nicht mehr Ex-Neonazi sein, das Aussteigerprogramm muss ohne ihn weiterlaufen. Interviewanfragen in den letzten zwei Jahren hat er abgelehnt. Hasselbach steckt mitten in seinem zweiten Ausstieg.

Film Führer Ex Regie: Winfried Bonengel
Szene aus „Führer Ex“Bild: presse

Für DW-WORLD macht er eine Ausnahme. Der Grund ist der Film "Führer Ex“, der seit Anfang Dezember diesen Jahres in den deutschen Kinos läuft. Zu sehen ist die Geschichte von Heiko, einem jungen Ostberliner, der wegen versuchter Flucht aus der DDR und wegen republikfeindlichen Verhaltens in den Knast kommt. Die Brutalität und die Misshandlungen, die er dort erlebt, bringen Heiko in der Konsequenz auf rechtsextremistische Abwege.

Der Film als Spiegel

Die Geschichte Heikos basiert auf der persönlichen Geschichte Ingo Hasselbachs. Der Ex-Neonazi hat auch am Drehbuch mitgearbeitet. Wenn er "Führer Ex" heute sieht, findet er sich am meisten wieder, wenn es um Heikos Gefängnisaufenthalt geht. "Das ist ein Spiegel für mich, aber trotzdem ist das jemand, den ich nicht mehr kenne“.

Auch wenn es wegen finanzieller Schwierigkeiten ein zäher Prozess war, bis Regisseur Winfried Bonengel den Film zu Ende drehen konnte, ist Hasselbach heute froh, mit dabei gewesen zu sein. Noch einmal konnte er auf diesem Wege verstehen, was ihn damals in der DDR zum Rechtsradikalen gemacht hat.

Gefühl statt Ideologie

Aber "Führer Ex“ zeigt wenig von den ideologischen Gründen, die junge Leute in der DDR dafür hatten, sich der rechten Szene anzuschließen - ein Punkt, der oft kritisiert wird. Hasselbach entgegnet, dass der Film nur seine individuelle Geschichte erzählen sollte. Gleichzeitig sei sie aber auch die Geschichte der meisten DDR-Neonazis gewesen. "Wichtig war mir, diese Art von Zusammenhalt zu zeigen, den wir in der rechten Szene als Opposition gegen den verordneten Antifaschismus gesucht haben.“ Hasselbach erzählt von dem Gefühl, der Staat hätte sie – die jungen Leute – einfach aufgegeben, "weggesperrt und den Schlüssel weggeworfen“. Und er kann sich noch gut an die Wut erinnern, die er auf alles und jeden hatte.

Aktuell ist der Film auch heute noch, findet Hasselbach. Auch wenn – oder gerade weil er wenig Ideologie zeigt. "Der Film richtet sich an Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren. Dann wird es komplizierter: Wer mit 20 noch in der Szene ist, kommt da auch kaum wieder raus. Für alle, die jünger sind, ist die Szene so eine Art Abenteuerspielplatz.“ Zusammenhalt, jemand, der zuhört, an die Hand nimmt, eine eigene Jugendkultur – all das seien Dinge, die junge Menschen in der Szene immer noch finden, so Hasselbach.

Schluss mit Ideologien

Winfried Bonengel und Ingo Hasselbach wollten keinen ideologischen Film machen, weil sie wussten, dass so etwas auch negative Folgen haben kann. Hasselbach erinnert sich noch gut an den Ärger, den Bonengels Dokumentarfilm "Beruf: Neonazi“ 1993 in Deutschland verursacht hat. Damals benutzte die rechte Szene den Film als Mittel zum Zweck.

Der Ex-Neonazi will heute seine Ruhe haben und seine Vergangenheit nicht mehr öffentlich bewältigen. Wenn Hasselbach danach gefragt wird, ob er sich einen weiteren Film vorstellen kann, lacht er und verneint. Eine Geschichte über seine Jahre als prominenter Ex-Neonazi in Deutschland kann er sich auch nicht vorstellen. Da wird er wieder ernst: "Es muss einfach mal Schluss sein. Außerdem könnte das auch viele abschrecken, aus der Szene auszusteigen."