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Ohne Regierung der nationalen Einheit geht es nicht

Das Interview führte Günther Birkenstock.(sh)4. März 2009

Die Ächtung der Hamas hat in eine politische Sackgasse geführt, so Jürgen Trittin. Der Grünen-Politiker glaubt nicht, dass ein Wiederaufbau im Gazastreifen ohne Verhandlungen mit ihr möglich ist.

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Jürgen Trittin am Rednerpult. (Foto: AP)
Jürgen Trittin glaubt, dass man langfristig nicht an der Hamas vorbeikommtBild: AP

DW-WORLD.DE: Herr Trittin, kann ein Wiederaufbau im Gazastreifen an der Hamas vorbei überhaupt gelingen?

Jürgen Trittin: Nach Einschätzung aller Beobachter ist der wirkliche Souverän im Gazastreifen, wenn es nicht Israel ist, die Hamas. Viele Umfragen deuten darauf hin, dass, gäbe es in der Westbank und in Gaza Wahlen,- die Hamas wahrscheinlich eine Mehrheit bekommen würde - gerade nach dem Krieg Israels. Das heißt, es ist eine fromme Illusion, zu glauben, man könne in Gaza an der Hamas vorbei Wiederaufbau betreiben. Wir sehen hier die letzten Zuckungen einer Politik, die im Ergebnis in die Sackgasse geführt hat. Inszwischen spricht ja, zumindest via Ägypten, selbst Israel mit der Hamas.

Was wären denn die Voraussetzungen dafür, die Hamas zunächst einmal in den Wiederaufbau einzubinden?

Im Wesentlichen gibt es zwei Voraussetzungen. Die eine Voraussetzung ist natürlich die Erklärung und die Praktizierung eines Gewaltverzichts Israel gegenüber. Die zweite ist, dass der Zustand des Putsches innerhalb Palästinas überwunden werden muss. Das heißt: Grundlegend in meinen Augen ist die Bildung einer palästinensischen Regierung der nationalen Einheit, so wie Fatah und Hamas sich das nun auch vorgenommen haben. Man wird dann mit dieser Regierung sprechen müssen. Bei dieser Regierung wird man wohl kaum wieder in den Zustand zurückfallen, dass man sagt, dieser ist ein gutes Regierungsmitglied und jener ein schlechtes.

Der Nahost-Beauftragte Tony Blair hat gefordert, die Hamas direkt in den Friedensprozess einzubeziehen. Halten Sie das für den richtigen Schritt?

Wenn es dann dazu kommt, dass man mit einer Regierung der nationalen Einheit Palästinas verhandelt, muss man am Ende auch von einer solchen Regierung erwarten, dass sie beispielsweise die Zwei-Staaten-Lösung, die beschlossenen Abkommen und damit das Existenzrecht Israels anderkennt. In diesem Rahmen wird man mit Sicherheit auch mit Regierungsmitgliedern sprechen, die der Hamas angehören. Ich glaube, dass die Politik der Ächtung der Hamas eher in eine Sackgasse geführt hat und uns von dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung und dem Frieden im Nahen Osten weiter entfernt hat.

Die Annäherung ist nicht gerade eine Erfolgsgeschichte. Gibt es langfristig eine Alternative zu direkten Kontakten mit der Hamas?

Ich weiß nicht, ob man mit einer Organisation wie der Hamas zum jetzigen Zeitpunkt über direkte Kontakte auf politischer Ebene sprechen kann. Ich sage bewusst, die internationale Gemeinschaft ist gut beraten, auf die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit hinzuwirken. Sie ist gut beraten, darauf zu drängen, dass diese einen Gewaltverzicht erklärt und auch praktiziert. Die internationale Gemeinschaft muss dann aber mit dieser Regierung tatsächlich kooperieren. Es kommt aber noch ein dritter, absolut notwendiger Punkt hinzu: die Öffnung der Grenzen, um überhaupt für humanitäre Hilfe zu gewährleisten. Nach jetzigem Stand gehen ja pro Tag nur 200 Lastwagen in den Gazastreifen hinein - nach Angaben der Vereinten Nationen bräuchte es mindestens 500, um die Bevölkerung einigermaßen anständig zu versorgen. Das heißt, hier muss ganz schnell etwas passieren, damit das Elend der palästinensischen Zivilbevölkerung gemildert wird. Dieses Elend hat übrigens die Hamas nicht geschwächt, sondern in letzter Zeit eher gestärkt.

Nun müssen wir ja in vielen Bereichen darüber sprechen, was wäre wenn - also ein bisschen spekulieren. Welches Demokratisierungspotential hat die Hamas denn Ihrer Meinung nach?

Das wird sich in den weiteren Entwicklungen zeigen. Die Hamas ist eine aus der Muslimbruderschaft hervor gegangene, auch soziale und politische Bewegung. Sie hat zum Beispiel die letzten Wahlen -übrigens faire und freie Wahlen, wie alle westlichen Länder es attestiert haben - gewonnen. Unter anderem, weil sie nicht in diesem Maße korrupt wie die Fatah gewesen ist. Am Ende eines solchen politischen Prozesses muss die Anerkennung einer Zwei-Staaten-Lösung stehen, genauso wie die Respektierung eines Existenzrechts Israels auch durch die Hamas. Der Versuch, dieses Verhandlungsziel zur Vorbedingung von Verhandlungen zu machen, ist, wie die letzten drei Jahre zeigen, ziemlich gescheitert.

Sie setzten sich schon lange für den Dialog von Israelis und Palästinensern ein. Was waren für Sie dabei die größten Herausforderungen?

Ich glaube, die größte Herausforderung für beide Seiten ist, den Blick, der von dem Leid des Tages und dem Leid der vergangenen Jahre geprägt ist, in die Zukunft zu richten. Das Zeitfenster für eine solche Lösung wird immer enger. Beide Seiten müssen ihren eigenen Bevölkerungen schwierige Kompromisse zumuten. Das gilt für Israel, für die Siedlungsfrage, das gilt aber selbstverständlich auch für die Palästinenser. Diese dürfen nicht nicht jeden innerpalästinensischen Konflikt in der Form nach außen tragen, dass sich das als Gewalt gegen Israel äußert.

Jürgen Trittin ist stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion und koordiniert ihren Arbeitskreis für internationale Politik.

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