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Der Westbalkan sorgt sich um EU-Beitrittsperspektive

22. Juni 2005

Das Scheitern des Brüsseler EU-Gipfels hat in Südosteuropa Besorgnis über den weiteren Verlauf der EU-Erweiterung ausgelöst. DW-RADIO hat Reaktionen aus den potentiellen Beitrittsländern zusammengestellt.

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Kein Erfolg am Verhandlungstisch: EU-Regierungschefs in BrüsselBild: AP

Kroatien

Nach dem Scheitern des EU-Gipfels hofft Kroatien weiter auf eine baldige Aufnahme in die Europäische Union. Mladen Stanicic, Direktor des Zagreber Instituts für internationale Beziehungen, sagte: „Kroatien muss alles, was in seiner Macht steht unternehmen, um im September ein Datum für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen zu erhalten.“. Dies müsse Kroatien berücksichtigen und alles tun, um den letzten von der EU geforderten Standard zu erfüllen. „Das heißt, es muss den flüchtigen Angeklagten des UN-Kriegsverbrechertribunal ICTY, Ante Gotovina, fassen und an das Tribunal ausliefern“. Stanicic warnte ferner davor, falls der Balkan bei der EU-Erweiterung nicht berücksichtigt würde, könne dies zu einer Stärkung der extremistischen rechten Kräfte führen. „Es ist absolut möglich, dass sich die Nationalisten und Euroskeptiker zusammenschließen. Und dieser Zusammenschluss könnte zu enormen Spannungen und Konflikten führen, vielleicht sogar in bewaffneten Konflikten enden oder erneut dazu führen“.

Bosnien und Herzegowina

In Bosnien-Herzegowina heißt es, das Land habe keinen Grund, von seinem von der EU geforderten Reformkurs abzuweichen. Dies bestätigte der Deutschen Welle Bojan Zec Filipovic, Pressesprecher des Präsidenten der bosnisch-herzegowinischen Präsidentschaft Adnan Terzic. Unabhängig von der EU-Krise vertritt die Regierung in Sarajewo die Ansicht, dass der EU-Erweiterungsprozess wie geplant fortgesetzt und im November das Land grünes Licht für die Aufnahme der Verhandlungen für das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen erhalten wird. Daher müssten die kommenden Monate dazu genutzt werden, die Forderungen der EU zu erfüllen, sagt Filipovic und fügt hinzu: „Wir haben keinen Augenblick daran gezweifelt, dass die EU-Kommission beziehungsweise die EU einhält, was sie uns angeboten hat, vorausgesetzt wir erfüllen unsere Bedingungen“.

Serbien und Montenegro

Ein Kurswechsel der EU gegenüber dem Balkan könnte sich negativ auf die innenpolitische Lage in Serbien und auf die Lösung der Kosovo-Frage auswirken. Dusan Reljic, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und Mitglied der EU-Forschungsgruppe für den Balkan, sagt, aus Brüssel sei ein negatives Signal gesendet worden. „In dem Moment, wenn für Serbien die europäische Perspektive schwindet, kehren Kräfte auf die politische Bühne zurück, die Serbien außerhalb der euroatlantischen Integrationen sehen. Bei der Kosovo-Frage würde sich dies am stärksten widerspiegeln, weil lediglich diese Perspektive einer EU-Mitgliedschaft sowohl Pristina als auch Belgrad dazu stimulieren konnte, sich für künftige Verhandlungen kompromissbereit zu zeigen“, so Reljic. Wenn der Einfluss der EU auf den Balkan schwinden würde, könnte Amerika ihn ersetzen, meint Reljic weiter. „Die USA haben sich ausschlaggebend an der Gestaltung einer post-jugoslawischen Ordnung beteiligt. Ich glaube, jetzt, wo der Reiz der EU abgenommen hat und Washington deutlich gemacht hat, dass es sich mehr in dieser Region engagieren wolle, hoffen einige Regierungen der Region paradoxerweise, dass die Beziehungen zu USA vertieft und somit eine bessere Position gegenüber der EU erwirkt werden könnten. Dies wird beispielsweise im Falle der Türkei deutlich“.

Mazedonien

In Mazedonien blieben indes offizielle Reaktionen auf den Misserfolg beim EU-Gipfel aus. Lediglich nach dem Scheitern der Referenden zur EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden äußerte sowohl die Regierung als auch die Opposition die Überzeugung, dass Mazedonien seinen Weg in die EU wie vorgesehen fortsetzen würde. Die Medien im Land beschäftigten sich dagegen sehr eingehend mit dem gescheiterten EU-Gipfel. Ihnen zufolge hat die EU ein Balkan-Syndrom erfasst. Ankündigungen der EU, die die Kandidatur Kroatiens und der Türkei in Frage stellen, erschütterten die Hoffnungen Mazedoniens auf eine EU-Integration, heißt es. Dennoch herrscht in den Medien Zuversicht darüber, dass das Land im November den EU-Kandidatenstatus erhält.

Albanien

Obwohl Albanien kurz vor Parlamentswahlen steht, haben die Medien dem Verfassungsstreit und den Finanzverhandlungen des Ministerrates breite Aufmerksamkeit gewidmet. Koco Danaj, Leiter des Instituts für Meinungsforschung in Tirana, erklärt die Auswirkungen des gescheiterten EU-Gipfels: „Dieses Scheitern war natürlich auch hier in der Peripherie von Europa, und im Westbalkan zu spüren. Europa hat jetzt Probleme, die viel größer sind als die Probleme im Zusammenhang mit seiner Erweiterung“. Nur wenige Tage danach, habe der französische Außenminister, Philippe Douste-Blazy, geäußert, über eine Erweiterung brauch man nicht nachzudenken, solange das bestehende Netz von Mitgliedern nicht konsolidiert sei. Rumänien und Bulgarien würden eine Ausnahme darstellen. Das ist Danaj zufolge eine klare Nachricht an alle Nicht-Mitglieder, zu denen auch Albanien gehört, dass sie sich keine unnötigen Hoffnungen auf eine baldige Mitgliedschaft zu machen brauch. „Für mich ist das aber auch keine Alarmglocke, sondern einfach ein Hinweis, dass wir uns auf eine neue Realität einstellen müssen. Wir sollten nicht träumen, sondern realistisch sein, bei all unseren Bemühungen der verschiedenen politischen Kräfte und aller Politiker, denn es ist auch weiter der Wunsch der Albaner, in die EU zu kommen", so Danaj.

DW-RADIO/Südosteuropa, 22.6.2005, Fokus Ost-Südost