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Hugo aus Sabaneta

Steffen Leidel 23. November 2006

Hugo Chávez wurde lange unterschätzt. Jetzt ist er ein Mythos, von seinen Anhänger wie ein Heiliger verehrt, von seinen Gegnern gehasst wie ein Krankheit. Wer ist dieser Mann der Extreme?

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Hugo Chávez winkt
Talent zum Moderator: Hugo ChávezBild: S. Leidel

Hugo Chávez ist längst kein Präsident zum Anfassen mehr. Im Wahlkampf lässt sich Chávez meist auf einem Wagen durch die Menge fahren. Nur selten steigt der Unantastbare zum Volk herab. Das Bad in der Menge - stets kontrolliert. Schnurbärtige Bodygards boxen ihm den Weg frei. Wer zu nahe kommt, bekommt einen Tritt, wird weggeschubst.

Chavez Fans Art
Vor allem Frauen und Kinder umarmt Chávez im WahlkampfBild: DW/Steffen Leidel

1998 sah das noch anders aus. Damals zog Chávez durch die Armenviertel, knuddelte Kinder, küsste Frauen, umarmte Alte. Sieben Jahre ist der 52-Jährige Präsident im Amt. Chávez ist jetzt nicht mehr Mensch, er ist Mythos. Er hat Macht und viele Feinde. Hochrangige Beamte aus seiner Umgebung behaupten, es habe bereits zahlreiche Anschlagsversuche gegeben. Die Imperialisten aus Washington trachteten ihm nach dem Leben, wird suggeriert.

Gier nach Macht und Anerkennung

Doch ohne Anfassen geht es nicht. Chávez küsst, knuddelt und umarmt auch im Wahljahr 2006. Kinder, Frauen, Alte. Nur sind die eben ausgesucht und durchgecheckt. Es ist inszeniert, wirkt dennoch authentisch, nie gestelzt. Je mehr Zuschauer er hat, umso besser ist er. Chávez braucht das Publikum. "Er liebt es im Mittelpunkt zu stehen, er kann es nicht ertragen nur eine Nebenrolle zu spielen", sagt der Publizist Alberto Barrera, der zusammen mit der Journalistin Cristina Marcano eine viel beachtete Chávez-Biographie geschrieben hat.

Chavez singt
Chavez singt bei der Einweihung eines Nahverkehrszuges selbstBild: DW/Steffen Leidel

Seine sonntägliche Sendung "Aló Presidente" dauert bis zu sieben Stunden. Die Eingeladenen kommen nur kurz zu Wort, oft unterbricht sie der Präsident. Am liebsten spricht er, als Moderator hat er Talent. Mehrfach schon hat er in seiner Sendung einen Minister geschasst. Chávez braucht eine Bühne und Claqueure. "Chávez hat eine ausgezeichnete Fähigkeit sich in sein Publikum hineinzuversetzen. Er spürt, was die Leute hören wollen", sagt Barrera. Fragt man seine Anhänger, was sie an Chávez schätzen, antworten die oft: "Er wagt, das auszusprechen, was wir alle denken." Je mehr Beifall, umso schärfer und aggressiver wird sein Diskurs.

Großmutter wichtigste Bezugsperson

Berühmt werden, das war schon der Traum des kleinen Hugo aus Sabeneta in der Andenprovinz Barinas. Er wuchs mit seinen fünf Brüdern in einfachen Verhältnissen auf, in einem Haus mit Lehmboden und Palmendach. Bis er elf war, wurde er praktisch von seiner Großmutter aufgezogen.

Chavez Kalender
Kalender mit Bildern von Hugo ChávezBild: DW/Steffen Leidel

Chávez wollte als Kind Baseball-Star werden und als 19-Jähriger schreibt er in sein Tagebuch: "Hoffentlich wird irgendwann die Verantwortung für mein Vaterland auf meinen Schultern liegen." Er hat konsequent auf dieses Ziel hingearbeitet. Mit 17 entschied er sich, Militär zu werden. Er ging auf eine Kadettenschule. Auf der Militärakademie machte er eine Ausbildung zum Ingenieur.

In den 1980er Jahren besuchte er die Kurse des Politikwissenschaftlers Friedrich Welsch an der Eliteuniversität Simón-Bolívar in Caracas. "Er war ein umgänglicher Typ, freundlich. Er brachte gute Leistungen, er gehörte zu den besten 20 Prozent", erinnert sich Welsch. Nur in der ersten Stunde war der junge Chavéz etwas ungehalten. Er war in voller Uniform - wie für einen Militär üblich - erschienen, mit Pistole. Welsch forderte ihn auf, die Waffe draußen zu lassen oder zu gehen. Chávez willigte ein, widerwillig.

Der umgängliche Putschist

Schon zu dieser Zeit hegte er Putschpläne. 1982 gründete er den militärischen Geheimbund MBR 200 (Movimiento Bolivariano Revolucionario). "Im Konspirieren war er gut, er ließ sich nichts anmerken", sagt Welsch. Erst als Chávez strafversetzt wurde, erfuhr der Professor von Chávez aufrührerischen Aktionen im Untergrund. "Chávez war 1988 an der 'Nacht der Panzer' beteiligt, einem Putschversuch, der in seinem Anfangsstadium gestoppt wurde. Chávez hat deshalb nie seine Magisterarbeit beenden können", erinnert sich Welsch.

Chavez Fans
Die Verehrung kennt keine GrenzenBild: DW/Steffen Leidel

1992 rief Chávez zu einem Putsch gegen Präsident Carlos Andrés Pérez auf, erfolglos. Er wurde verhaftet. Dennoch ist sein Scheitern für ihn der Durchbruch. Chávez gelang es, im Fernsehen live zur Nation zu sprechen. Er forderte die Putschisten auf, die Waffen niederzulegen, um ein Blutvergießen zu verhindern. Und er übernahm die volle Verantwortung für den Putsch. "Wir haben verloren, vorerst", sagte er. Die ehrlichen Worte kommen an in einem Land, das von einer korrupten und verlogenen Elite beherrscht wird. "Chávez wurde zu einem Idol und für viele Frauen zum Sexsymbol", sagt der Biograph Barrera. 1994 wurde Chávez aus den Gefängnis entlassen, der Weg zur Präsidentschaft war frei. 1998 gewann er mit 56,5 Prozent haushoch.

"Chávez ist süchtig nach Macht", hat einmal sein Psychiater Edmundo Chirinos gesagt. Er arbeitet wie ein Besessener, schläft oft nur vier Stunden, trinkt angeblich bis zu 30 Tassen schwarzen Kaffee pro Tag. "Chávez ist davon überzeugt, dass er gewählt worden ist, um die Geschichte zu ändern". In seinem Weltbild ähnelt er seinem ärgsten Feind, George W. Bush. Auch für Chávez gibt es nur Freund oder Feind, Schwarz oder Weiß.

Der kühle Kalkulierer

"Eigentlich gibt es den Privatmann Chávez gar nicht", sagt Barrera. Nur wenig ist bekannt: Er ist Vater von vier Kindern, war zwei Mal verheiratet, im Moment ist er Single. Ihm werden zahlreiche Affären nachgesagt. Seine engsten Mitarbeiter halten dicht, auch aus Angst. Chávez kann aggressiv werden. Widerspruch duldet er nicht.

Chávez kultiviert das Image eines impulsiven, leidenschaftlichen, unberechenbaren Führers. Doch das ist alles nur Masche, sagen Vertraute. Oft wurde Chávez als Verrückter abgetan. "Chávez berechnet alles langfristig, er kann auf den richtigen Moment waren. Selbst seine Tobsuchtsanfälle sind kalkuliert", sagt Barrera. Chávez hat davon profitiert, dass man ihn lange unterschätzt hat. Jetzt ist er einer der (sprach-)mächtigsten Männer Lateinamerikas.