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Der transatlantische Apfelstrudel

25. Mai 2002

In den USA ist die Europa-Reise des Präsidenten George W. Bush nur ein Thema unter vielen. Dabei nehmen die US-Medien vor allem die Skepsis der Europäer gegenüber der amerikanischen Politik zur Kenntnis.

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Amerikanische ZeitungsautomatenBild: Bilderbox

In der New York Times musste man am Donnerstag (23. Mai 2002) lange blättern, um etwas über die Europa-Reise des Präsidenten zu lesen. Auf Seite zehn dann findet sich endlich ein größeres Foto von Bundeskanzler Gerhard Schröder, wie er im Beisein von Berlins regierendem Bürgermeister, Klaus Wowereit, Bush die Stelle zeigt, an der früher die Mauer stand.

Symbolik im Vordergrund

Berlin ist für die Amerikaner das Symbol ihrer Nachkriegsbeziehungen zu Deutschland und Europa - entsprechend orientiert sich die Berichterstattung auch an den symbolträchtigen Besuchselementen von Bushs Reise, wie Reichstag, Brandenburger Tor oder an der nicht mehr existierenden Mauer.

CNN und einige andere Nachrichtensender übertrugen die Rede Bushs im Berliner Reichstag live und in voller Länge, allerdings ohne das Ganze zu kommentieren oder mit Hintergründen zu versehen.

Ein Kommentar in der New York Times beschäftigt sich schon am Donnerstag mit dem Bush-Putin-Gipfel in Moskau. "Russlands Kompass zeigt nach Westen" - vermerkt die Überschrift, nicht ohne Genugtuung. USA Today - eine der meist gelesenen und wenigen überregionalen Zeitungen in den USA - titelt, immerhin schon auf Seite vier, "Deutsche protestieren gegen Bush", um dann ihren Lesern mitzuteilen, dass Bush im historischen Hotel Adlon übernachtet hat - gegenüber dem Brandenburger Tor, dort, wo früher einmal die Mauer gestanden habe.

Reminizenzen an Reagan

Die ist selbst dem unkundigsten US-Bürger ein Begriff, und man lässt sich gerne daran erinnern, dass es Bushs Vorgänger Ronald Reagan war, der hier das Mauerwerk erzittern ließ, indem er den damaligen Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, aufforderte, ebensolches niederzureißen.

Jenseits der Symbole nimmt man in den USA vor allem die Skepsis von Teilen der deutschen Bevölkerung gegen einen US-geführten Anti-Irak-Einsatz war. Die Einschätzung von Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping, dass die Bundesswehr für einen solchen Einsatz nicht gerüstet sei, haben zumindest die aufmerksamen Beobachter in den USA registriert.

Demonstrationen gehören dazu

Was fast vollkommen fehlt, ist Entrüstung über die massiven Anti-Bush-Demonstrationen in der deutschen Hauptstadt. Demonstrationen gehören für die Amerikaner zum Alltag der demokratischen Kultur, man nimmt das in Kauf, auch wenn es einmal gegen die eigenen Interessen gerichtet ist. In einer Online-Umfrage von CNN fand immerhin ein Drittel der Befragten, Deutschland habe Bush einen unfreundlichen Empfang bereitet.

Durchaus wohlwollend hat man dagegen berichtet, dass man dem US-Präsidenten im Café Tucher am Mittwochabend (22. Mai 2002) Apfelstrudel vorsetzte. Warmer Apfelstrudel ist auch in den USA sehr beliebt; und die transatlantische Wertgemeinschaft hat eben viele Facetten.