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41 Grad Fieber und Stress im Betrieb

15. Februar 2011

Die Zahl der Rentner steigt und die Geburtenrate stagniert auf niedrigem Niveau. Das ist eine dramatische Entwicklung, die zum Umdenken zwingt. Die Deutsche Post DHL geht mit gutem Beispiel voran.

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Deutsche Post DHL und Postbank eröffnen Betriebskindergarten. Links im Bild (mit Brille): Susanna Nezmeskal, Deutsche Post-Managerin. Sitzend (von links): Walter Scheurle, Personalvorstand Deutsche Post DHL, Rainer Konder, Bereichsleiter Personalentwicklung Postbank. (Foto: DP DHL)
Deutsche Post DHL und Postbank eröffnen BetriebskindergartenBild: Deutsche Post/DHL

Susanna Nezmeskal-Berggötz hält ein lachendes Baby im Arm. Doch vom einen auf den anderen Moment schreit Vincent mit vollen Kräften. Sie übergibt ihn an ihren Mann, um sich auf das Gespräch konzentrieren zu können – ein Luxus, den sie nur am Wochenende hat. Unter der Woche muss sie sich den Großteil des Tages alleine um die Kinder kümmern und dies auch noch mit ihrem Job vereinbaren: Die Managerin arbeitet auch in ihrer sechsmonatigen Elternzeit für die Deutsche Post DHL. Bewusst geplant hatten die Juristin und ihr Mann, ebenfalls Jurist, die Kinder nicht. Als die Managerin schwanger wurde und mit 36 Tristan bekam, ging sie voll in der Aufgabe auf. Der vier Monate alte Vincent macht das Glück der Familie komplett.

Fieber und der Vorstand erwartet die Präsentation

Inzwischen kann sie sogar lachen über die Unwägbarkeiten, die berufstätigen Eltern widerfahren und erinnert sich an ihren Gemütszustand vor der wichtigen Präsentation, die sie dem Gesamtvorstand des Unternehmens vorstellen sollte. Als sie am Morgen aufwachte und Tristan, damals noch ein Säugling, 41 Grad Fieber hatte, musste sie eine schwerwiegende Entscheidung treffen. "Ich sehe mich heute noch ins Telefon sagen: 'Ich kann nicht kommen.' Als kinderlose Managerin hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich einmal sagen würde: Ich kann nicht."

Susanna Nezmeskal-Berggötz, Leiterin "Corporate Culture" bei Deutsche Post/ DHL. (Foto: DP DHL)
Susanna Nezmeskal-BerggötzBild: Deutsche Post/DHL

Zu ihrer eigenen Überraschung sagten die Herren, sie solle sich auf ihr krankes Kind konzentrieren. Die Präsentation wurde auf die nächste Sitzung des Vorstands verschoben. Diese Reaktion hat die Abteilungsleiterin für den Bereich Unternehmenskultur in ihrem Einsatz für den Konzern bestärkt. Zu ihren Aufgaben gehört es, Konzepte zu erstellen, wie sich Beruf und Familienleben der Mitarbeiter vereinbaren lassen. "Kinderbetreuung, Arbeitszeitmodelle, die Entlohnung gehören dazu. Wir müssen die Infrastruktur herstellen. Dann kann ein Mitarbeiter die Wahl treffen, welchen Weg er gehen möchte."

Großväter in den Konzernzentralen denken um

Volle Unterstützung für ihre Arbeit erhält Susanna Nezmeskal-Berggötz dabei vom Personalvorstand des Konzerns. Der habe erkannt, so die Managerin, dass es angesichts der demografischen Entwicklung darum gehe, die Potenziale im Unternehmen zu halten. Immer mehr Mitarbeiter wollten Familie und Beruf in Einklang bringen. Geld und Karriere seien wichtig, aber die Familie, die Freizeit eben auch. Und in den oberen Etagen der Konzernführungen ist die Botschaft angekommen, dass zufriedene Mitarbeiter seltener krank sind, sie effizienter arbeiten und sich mit dem Arbeitgeber eher identifizieren.

Ein Grund für den Wertewandel sei der Wohlstand in der Gesellschaft, glaubt Susanna Nezmeskal-Berggötz. Die heutige Generation müsse keine Aufbauleistungen erbringen wie die Kriegsgeneration. Aber sie hat auch festgestellt, dass viele Vorstandsmitglieder berufstätige Frauen hätten oder Töchter, die Kinder und Karriere verbinden wollten: "Den Vorständen fällt es leichter, Entscheidungen zugunsten betroffener Mitarbeiter zu treffen".

Ein Angebot, neben den betrieblich unterstützen Betreuungseinrichtungen bestehe deutschlandweit darin, bei Kinderkrankheit oder Notfällen einen Familienservice oder eine "Notfall-Nanny" in Anspruch zu nehmen. Die Kinderfrau komme bei Bedarf sogar nach Hause. Die Kinder seien gut aufgehoben, hat Susanna Nezmeskal-Berggötz erfahren, auch wenn die Kleinen in einem anderen Gefüge groß würden als früher. Bedingt durch die Doppel-Karrieren gingen viele Kinder mit den berufstätigen Eltern morgens aus dem Haus und abends kämen alle mehr oder weniger gemeinsam zurück. Dadurch lernten Kinder ein ganz anderes Sozialverhalten, hat Susanna Nezmeskal-Berggötz festgestellt. Ihr Sohn sei gut gelaunt, wenn sie ihn am Abend treffe und sein Sozialverhalten sei extrem gut.

Maike und Noura Krasensky in der heimischen Küche. (Foto: DW)
Maike und Noura KrasenskyBild: Maike Krasensky

Das Dilemma von Alleinerziehenden

Von solchen Bedingungen kann Maike Krasensky für sich und ihre Tochter nur träumen. Die 38-Jährige kümmert sich um das Wohlergehen von Kindern anderer Leute: als Erzieherin in einer Bonner Kindertagesstätte. Ihre Tochter Noura erzieht sie ohne Unterstützung. Dafür erntet sie oft Lob und anerkennende Worte im Bekanntenkreis. Gerne hätte Maike Krasensky noch mehr eigene Kinder gehabt, am liebsten drei, aber der richtige Partner habe gefehlt und nun laufe die biologische Uhr langsam ab.

Kinder sind Bereicherung und Belastung

Arbeiten, Haushalten und das Kind versorgen sei anstrengend, sagt Maike Krasensky. Finanziell könne sie auch keine großen Sprünge machen. Ihre Sozialkontakte seien eingeschränkt, Sorgen könne man als Alleinerziehende mit niemanden teilen, und in der Gesellschaft treffe man hin und wieder auf große Widerstände. "Einmal bei der Wohnungssuche standen viele Bewerber vor dem Haus. Die Vermieterin sagte: Sie und ihr Kind kommen überhaupt nicht in Frage." Das sei ein sehr schmerzhaftes Erlebnis gewesen. Trotzdem überwiegen die positiven Erfahrungen. Sie freue sich über Kleinigkeiten, wie früher, wenn ihr fremde Menschen halfen, den Kinderwagen in den Bus zu heben. Außerdem sei Noura jetzt zwölf Jahre alt und sehr selbstständig. Mutter und Tochter verbindet ein sehr freundschaftliches, vertrauensvolles Verhältnis. Maike Krasenesky ist froh, dass sie sich nicht mehr fragen muss "wohin mit dem Kind?", wenn sie selbst länger arbeiten musste, als Nouras Kindertagesstätte geöffnet hatte oder bei samstäglichen Elternsprechtagen. Aus finanziellen Gründen habe sie immer Vollzeit arbeiten müssen. Heute genießen beide gemeinsame Rituale wie Abendessen am festlich gedeckten Tisch.

Von der Politik wünscht sich Maike Krasensky, dass mehr Kitaplätze bereit gestellt werden und Steuervergünstigungen, "denn wir Alleinerziehenden müssen die Ausbildung der Kinder ja auch allein finanzieren". An die Gesellschaft gerichtet hat die Erzieherin den Wunsch, dass man einander mehr helfe. Ein solches Sozialverhalten vermittelt sie den Kindern an ihrem Arbeitsplatz.

Autorin: Karin Jäger

Redaktion: Dеnnis Stutе