1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der Streit um den Stabilitätspakt

27. November 2003

Die Europäische Union liegt im Streit über den gemeinsamen Stabilitätspakt. Die EU-Kommission erwägt eine Klage gegen Deutschland und Frankreich. Die Bundesregierung gibt dem Vorhaben keine Chance.

https://p.dw.com/p/4NN5
Die Missachtung gemeinsamer Haushaltsgrundsätze könnte die Währung der EU schwächenBild: AP

Die EU-Kommission behält sich nach eigenen Angaben den Gang zum Europäischen Gerichtshof vor. Sie kündigte nach einer Krisensitzung am Mittwoch (16.11.2003) eine neue Initiative zur Verbesserung der Wirtschafts- und Finanzpolitik an. Ihr Präsident Romano Prodi sagte, die jüngste Entscheidung zeige deutlich, "dass die derzeitige Situation nicht zufriedenstellend ist".

Die Euro-Vorgaben dürften nicht "nach Gusto" ausgelegt werden, betonte Prodi. "Wir müssen uns alle an die Regeln halten." Es gehe nicht an, dass eine Regierung den Pakt - je nach Bedarf - aussetze oder anpasse.

Die Bundesregierung hält eine solche Klage der EU-Kommission für chancenlos. "Eine Klage gegen den Ministerat wäre ohne Aussicht auf Erfolg", hieß es am Donnerstag (27.11.2003) in Berlin aus Regierungskreisen. Der Rat der EU-Wirtschafts- und Finanzminiser sei in der Tagung am Dienstag in Brüssel völlig korrekt vorgegangen.

Welteke warnt

EU-Präsident Romano Prodi vor dem europäischen Parlament
EU-Präsident Romano ProdiBild: AP

Die EU-Wirtschafts und Finanzminister hatten am Dienstag eine von der Kommission geforderte Verschärfung der Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich mit zusätzlichen Sparauflagen abgelehnt. Beide Länder verletzten im kommenden Jahr zum dritten Mal in Folge die im Stabilitätspakt geforderte Vorgabe, ihre Neuverschuldung unter drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu halten.

Bundesbankpräsident Ernst Welteke hält den Euro-Stabilitätspakt nach dieser Entscheidung der EU-Finanzminister für schwer angeschlagen. Eine der wichtigsten Säulen der Währungsunion sei damit ins Wanken geraten, sagte Welteke laut einem Interview der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (27.11.2003). Jetzt komme es darauf an, dass Deutschland und Frankreich die versprochenen Korrekturen bis spätestens 2005 umsetzten, betonte Welteke.

Frankreich sucht Reformen

Frankreich scheint jedoch ganz andere Pläne zu haben, denkt nicht wirklich an Haushaltskorrekturen. Stattdessen fordert der französische Wirtschafts- und Finanzminister Francis Mer, den Pakt im Jahr 2005 zu reformieren. Dann solle mit Blick auf die Erfahrungen nachgedacht werden, wie der Pakt auf demokratische Weise "verbessert" werden könnte. Es müsse dabei überlegt werden, wie die Euro-Staaten von den wirtschaftlich "fetten Jahren" profitieren könnten, um anschließend besser durch die "mageren Jahre" zu kommen. Auch Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker sprach sich für eine Reform aus und nannte dabei die Jahre 2006 oder 2007, wenn sich die Kontroverse um Berlin und Paris wieder gelegt habe.

Bundesfinanzminister Eichel lehnt Reformen ab. Er sagte in einem Zeitungsinterview, der Stabilitätspakt habe sich "als Instrument für eine ökonomisch vernünftige Finanzpolitik" bewährt und müsse "an keiner Stelle" verändert werden. Im Jahr 2005 werde Deutschland die Drei-Prozent-Grenze des Pakts aus seiner Sicht dann auch wieder einhalten.

OECD: schwache Aussichten

Interview mit Ernst Welteke - Made in Germany
Kritisiert laxen Umgang mit dem Stabi-Pakt: Bundesbankpräsident Ernst Welteke

Dies ist nach jüngsten Schätzungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aber fraglich. Sie geht davon aus, dass Deutschland und Frankreich trotz des erwarteten Aufschwungs auch 2005 wieder über der Drei-Prozent-Marke liegen werden. In ihrem in Paris veröffentlichten Herbstausblick beziffern OECD-Experten die Defizite der beiden größten Euro-Länder für 2005 mit 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP).

Rating-Agentur warnt

Langfristig könne die Ausnahme für Deutschland und Frankreich "negative Auswirkungen" auf die Bonitätseinstufungen in der Euro-Zone haben, erklärte die Rating-Agentur Standard & Poor's in London. Dies sei dann der Fall, wenn dadurch der Druck zur Konsolidierung der Staatshaushalte wegfalle und eine laxere Finanzpolitik um sich greife. Die Agentur vergibt Noten für die Kreditwürdigkeit von Ländern und Unternehmen. Diese Noten werden von Akteuren auf den Kapitalmärkten stark beachtet, so dass schlechte Noten zu höheren Kreditkosten der öffentlichen Haushalte führen. (mas)