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Der Stolz der Bürger

5. März 2009

Martin Stankowski ist der bekannteste Stadthistoriker und Geschichtenerzähler Kölns. Im Gespräch hat er uns geschildert, warum die Zerstörung des Stadtarchivs für ihn viel mehr ist als nur der Verlust von viel Papier.

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Martin Stankowski
Martin StankowskiBild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD: Was bedeutet die Zerstörung des Kölner Stadtarchivs wirklich?

Martin Stankowski: Für die kommunale Kulturarbeit, Geschichtsschreibung ungeheuer viel, denn: Köln ist eigentlich die einzige Stadt in Mitteleuropa, von den bedeutenden Städten, die eine ununterbrochene Tradition hat seit dem 9. Jahrhundert. Die älteste Urkunde die im Stadtarchiv lag ist, glaube ich, aus dem Jahr 927. Köln ist seitdem noch nie zerstört, nie erobert, von keinem Krieg heim gesucht worden bis zum zweiten Weltkrieg und hat deswegen diese lückenlose Überlieferung. Das ist jetzt alles weg.

Warum sind alte Urkunden, warum Nachlässe wie die von Heinrich Böll so eminent wichtig für uns heute?

Sie sind einmal für den Historiker die entscheidenden Quellen, weil sie auch Alltagsinformationen enthalten haben. Das ging weit über das Wissen um etwa Besitzveränderungen hinaus, das ist das Eine. Das Zweite ist, dieses Stadtarchiv in Köln ist mehr als ein Stadtarchiv, das war ein kultureller Fokus, wenn man nur an die Publikationen und Ausstellungen der letzten Jahre denkt. Die haben mit diesem Material ja gearbeitet. Das waren etwa wunderbare Bildquellen und immer wieder werden jetzt in Reproduktionen die Illustrationen aus den alten Handschriften gezeigt. Und es sind auch Objekte, die der Stolz der Bürger sind.

Welche Bedeutung, welche Rolle hat Köln eigentlich im Mittelalter gespielt?

Sie müssen sich vorstellen, dass die Zentren neben den Klöstern die Städte waren und da war Köln nördlich der Alpen bis zum Ende des hohen Mittelalters die wichtigste überhaupt. Die reichste Stadt, die größte Stadt. Eine Stadt mit einer ganz eigenen Ausstrahlung, mit einer unabhängigen Gerichtsbarkeit, mit unabhängiger Politik. Da gibt es natürlich eine Fülle von Dokumenten. Nehmen Sie ein Beispiel, die Schreinsurkunden. Die heißen Schreinsurkunden, weil sie in hölzernen Schreinen verwahrt worden sind. Seit dem 11. Jahrhundert haben die Zünfte jede Art Veränderung in der Stadt dokumentiert. Sie könnten sich in Köln im Bereich der Altstadt hinstellen und ein Stadthistoriker hätte ihnen sagen können, wer vom 11. Jahrhundert bis 2009 da gelebt hat, wie er hieß, welchen Beruf er hatte. Und das alles sind natürlich ungeheuer wichtige Aussagen, etwa über historische Entwicklung, kultureller Prozesse, soziale Zusammenhänge.

Wenn es um dauerhafte, sichere Archivierung geht, wird immer wieder nach Digitalisierung gerufen. Ist das der Schlüssel – alles abfilmen, alles in digitaler Form aufbereiten?

Ich glaube nicht. Das erste Problem ist, dass das ja immer technische Normen sind - im Moment wechseln alle 3 bis 5 Jahre die digitalen Formate. Das technische Problem der permanenten Erneuerung und Umsetzung ist das Eine. Das Zweite ist das der Lesbarkeit. Wissen Sie, im zwanzigsten Jahrhundert gibt es Archivierungsmedien, bei denen die Historiker etwa 60 Jahre später ungeheure Probleme haben, noch Apparate zu finden, die sie lesen können. Das ist bei Büchern, das ist bei Handschriften, das ist bei Illustrationen überhaupt nicht der Fall. Meiner Meinung nach erleichtert das Digitalisieren die Zugänglichkeit aber nicht die Sicherheit des Erhaltes.

Das Interview führte Ramón García-Ziemsen