1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Freiheit für Terroristen

Die Fragen stellte Sonia Phalnikar12. Februar 2007

Gerhart Baum spricht sich für die Freilassung der ehemaligen RAF-Terroristen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar aus. Gegenüber DW-WORLD.DE erklärt er, warum das Kapitel RAF damit aber noch nicht abgeschlossen wäre.

https://p.dw.com/p/9q7u
Fahndungsfotos von Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt
Hielten Terror für legitim: Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt (Fahndungsfotos)Bild: AP

DW-WORLD.DE: Warum sind Sie für eine Freilassung von Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar?

Gerhart Baum: Weil ich die Prinzipien unseres Rechtstaates hochhalte, die auch auf die RAF-Terroristen angewandt werden müssen. Sie dürfen keine Sonderbehandlung im Negativen wie im Positiven erfahren. Wir haben seinerzeit abgelehnt, sie als Kriegsgefangene zu betrachten, wie sie es wollten. Sie sind Mörder und müssen so behandelt werden, wie Straftäter in vergleichbarem Fällen. Die Fälle sind unterschiedlich. Bei Frau Mohnhaupt geht es um eine Freilassung auf Bewährung, bei Herrn Klar geht es um eine Begnadigung durch den Bundespräsidenten. Beides wird intern von denen, die es entscheiden müssen, diskutiert.

Christian Klar wurde zu dreimal lebenslänglich verurteilt und die besondere Schwere der Schuld wurde vom Gericht erkannt. Können Sie erklären was das Strafmaß lebenslänglich juristisch bedeutet?

Es bedeutet nicht lebenslänglich. Es gibt in der Praxis keine lebenslängliche Haft, es sei denn für Täter die gefährlich sind und gefährlich bleiben. Nach unserem Recht wird eine lebenslange Strafe nach 15 Jahren zum ersten Mal überprüft. Und es ist einer von unserem Obersten Gericht immer wieder betonten Grundsätzen, dass die Menschenwürde, wie sie in unserer Verfassung festgelegt ist, auch den lebenslang Verurteilten eine Perspektive in Freiheit geben muss.

Kritiker der Freilassungspläne sagen, dass Mohnhaupt und Klar weder Reue zeigen, noch zur Aufklärung der letzten Unklarheiten beitragen. So ist zum Beispiel nicht bekannt, wer Hans Martin Schleyer umgebracht hat.

Weil sie (Mohnhaupt und Klar) das nicht getan haben, sind sie ja unter anderem deswegen so hart bestraft worden. Das sind die härtesten Urteile die gegen RAF-Terroristen ausgesprochen worden sind. Sie haben keine Reue gezeigt, sie haben an der Aufklärung nicht mitgearbeitet. Jetzt muss sich das Landesgericht in Stuttgart ein Bild davon machen, ob eine Bewährungsstrafe möglich ist. Nach dem deutschen Recht ist Reue nicht gefordert. Sie wäre wünschenswert, aber sie ist nicht gefordert. Bei Christian Klar, der beim Bundespräsidenten um Gnade bittet, ist es schon etwas anderes. Da erwarte ich, dass er sich von seinen Taten distanziert. Das tut er offenbar. Aber da muss der Bundespräsident sich entscheiden. Da können wir ihm nichts vorschreiben.

Sie waren von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister und damit einer der Hauptbeteiligten in der Auseinandersetzung "Staat gegen RAF". Wie beurteilen Sie rückblickend Ihre Rolle zu dieser Zeit?

Wir haben die wichtigen Mittel der Polizei und der Justiz erfolgreich eingesetzt, um die RAF zu besiegen. Daneben habe ich versucht, Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft sichtbar zu machen - nicht um die RAF zu verharmlosen, aber um deutlich zu machen, in welcher gesellschaftlichen Situation dies damals geschah. Dies ist bis heute ein Thema. Es ist gerade ein Doppelband erschienen mit Beiträgen von 60 Wissenschaftlern, die die damalige Zeit analysierten, denn die RAF ist ein radikalisiertes Zerfallsprodukt des linken Protestes. Wir haben damals versucht, diejenigen, die mit Sympathie beispielsweise der RAF entgegenkamen, wieder für unsern Rechtstaat zu gewinnen. Und das ist auch gelungen.

Sie waren mitverantwortlich für die Verabschiedung von diversen harten Anti-Terror Maßnahmen zu der RAF-Zeit. Welche Fehler wurden damals gemacht? Was bedauern Sie persönlich heute? Was würden Sie heute anders machen?

Es war eine notwendige Reaktion. Wir mussten unsere Polizeibehörden verstärken die in keinem guten Zustand waren. Wir mussten auch die Gerichte durch Veränderungen im Straf- und Strafprozessrecht auf die neue Verhaltensweise der Täter einstellen. Aber all dies ging teilweise zu weit. Es gab zum Teil eine politische Überreaktion. Aber wir haben einen Teil der Maßnahmen relativiert, abgeschwächt.

Als ich 1978 ins Amt kam, habe ich Fahndungsmethoden aufgehoben, die sich in hohem Maße auf unverdächtige Bürger erstreckt haben. Wir haben gewisse Konsequenzen gezogen, aber es ist eben so, dass seit der RAF-Zeit die Anti-Terror Gesetzgebung immer weiter aufgebaut wurde - auch nach dem 11. September. Wir leben praktisch in einem permanenten Ausnahmezustand, in dem die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu Lasten der Freiheit verletzt worden ist.

Warum ist das Thema "Deutscher Herbst" auch nach 30 Jahren noch so mit Emotionen beladen?

Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass diese ganze Zeit und die RAF nur ein winziger Ausschnitt einer Gruppe sind, die Mord zur Durchsetzung politischer Ziele eingesetzt hat. Die demokratische Reformbewegung in den Parteien, die linke Protestbewegungen, die 68er, der Aufruf Willy Brandts, mehr Demokratie zu wagen, die neue Ostpolitik - all diese Themen haben die Zeit damals so faszinierend gemacht. Auch die Menschen haben plötzlich anders gelebt, ein anderes Verhältnis zu Sexualität gehabt. Die Kunst war in einer Aufbruchstimmung. All dies fasziniert auch die heutige junge Generation. Vor einem Jahr gab es eine RAF-Ausstellung in Berlin, in der sich Künstler mit der RAF-Zeit auseinandergesetzt haben. Ich habe sie mitgefördert und sie wurde von etwa 50.000 - vor allem jungen Leuten - besucht. Das hatte aber nicht nur mit der Faszination der RAF zu tun. Es ist vielmehr das Interesse an der Politik in einer hoch spannenden Zeit. Meines Erachtens gibt es keinen Mythos RAF. Es waren politisch motivierte Mörder - das macht den Unterschied. Die Beute aus Banküberfällen wurde nicht in die eigene Tasche gesteckt, sondern für politische Veränderungen eingesetzt.

Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist aber gegen die Freilassung.

Wenn man solche einfachen Fragestellungen vorlegt, dann wird die Bevölkerung auch sehr schnell für die Todesstrafe sein. Ein demokratischer Rechtstaat muss hier Nerven zeigen und Nerven behalten. Mit mir wird es keinen Weg geben, der in irgendeiner Weise von den Grundprinzipien unserer Verfassung abweicht. Die Regierung ist jetzt mehrfach vom Verfassungsgericht zur Ordnung gerufen worden. Eine ganze Reihe von Anti-Terror-Gesetzten sind aufgehoben worden, weil sie gegen die Grundprinzipien unserer Verfassung verstoßen. Wir verhalten uns hier sehr viel strikter als etwa die Amerikaner.

Wird nach der Freilassung der letzen vier RAF Mitglieder das Kapitel RAF abgeschlossen sein?

Nein, auf keinen Fall. Wir kennen die Täter einer ganzen Reihe von Morden nach 1985 überhaupt nicht - etwa von Rohwedder oder Herrhausen. Wir kennen die Täter nicht nach denen immer noch gesucht wird und das Interesse an der Zeit um 1967, 1968 ist nach wie vor immer noch sehr groß. Einen Abschluss der Diskussion wird es nach der Freilassung auf keinen Fall geben.

Sind die Fälle Kurnaz und El Masri ein Beispiel für einen Umgang mit Bürgerrechten, wie es selbst 1977 nicht denkbar gewesen wäre?

In gewisse Hinsicht ja. Auch hier spielt es eine Rolle, wie man Sicherheit mit Menschenwürde in Verbindung bringt. Und da waren meines Erachtens die deutschen Behörden, was die Menschenrechte angeht, nicht sensibel genug.

Was muss die Lektion der damaligen Zeit für einen Umgang mit Terrorismus heute sein - vor allem in der Zeit nach dem 11. September 2001?

Eine ruhige Hand, keine Hysterie, keine Popularisierung von Angst. Das Sicherheitsthema darf nicht zum Wahlkampfthema verkommen, sondern man muss der Bevölkerung sagen, dass wir alle mit Risiken leben müssen. Angst und Hysterie sind schlechte Ratgeber. Also, ruhig Blut bewahren, nüchtern und pragmatisch bleiben, nur das machen, was wirklich sinnvoll ist und nicht Symbolhandelungen, die der Bevölkerung Sicherheit vorgaukeln, aber im Grunde nur die Freiheit einschränken.

Der FDP-Politiker Gerhart Baum, Bundesinnenminister a.D., aufgenommen am Sonntag (29.01.2007) während der Sendung "Sabine Christiansen " im Fernsehstudio in Berlin. Foto: Marcel Mettelsiefen dpa/lbn +++(c) dpa - Report+++
Bild: picture-alliance/dpa

Gerhart Baum (* 28.10.1932 in Dresden) ist FDP-Politiker und Rechtsanwalt. Er war von 1972 bis 1978 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern und von 1978 bis 1982 Bundesminister des Innern.