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Der Staat als Hacker

Bernd Grässler31. August 2007

Seit Monaten wirbt der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble für die so genannte Online-Durchsuchung. Datenschützer schlagen Alarm, doch die Sicherheitsbehörden propagieren ihre Pläne immer vehementer.

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In einigen Ländern sind Online-Durchsuchungen legalBild: BilderBox
Wie der "Bundes-Trojaner" Virenprogramme umgehen soll, ist noch unklar, Quelle: dpa
Wie der "Bundes-Trojaner" Virenprogramme umgehen soll, ist noch unklarBild: dpa zb

Vor einigen Monaten schlug der Chaos-Computer-Club, ein Verein von deutschen Hackern, auf seiner Homepage Alarm: Wer in Deutschland seine Steuererklärung übers Internet abgebe, müsse damit rechnen, vom Staat elektronisch ausgespäht zu werden. Denn mit dem Formular des Finanzamtes lade er sich einen heimlichen "Spion" auf seinen Rechner. Das Ganze war damals ein Aprilscherz, doch nun ist es als ernsthafte Variante im Kampf gegen Terroristen ins Gespräch gekommen.

Strategie gegen Bedrohungen

Das Bundesinnenministerium schließt nicht aus, künftig Schnüffelsoftware auf private Rechner zu schleusen, die als E-Mails von staatlichen Behörden getarnt sind. Das geht aus einem Briefwechsel zwischen Innen- und Justizministerium hervor. CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach meinte dazu im deutschen Fernsehen forsch: "Online-Durchsuchung geht nicht mit Messer und Gabel und geht auch nicht mit dem Fernglas. Dafür brauchen wir den Einsatz modernster IT-Technik, und da kann eine E-Mail dafür ein Beispiel sein."

Das geplante Einschleusen von elektronischen Spionen, so genannten Trojanern, die Inhalte der PC-Festplatte dann an die Sicherheitsbehörden schicken, ist seit langem höchst umstritten. CDU-Innenminister Wolfgang Schäuble treibt die Arbeiten an einem Gesetz voran, das auch in Deutschland so etwas erlauben soll. Es gehört zu seiner Strategie gegen terroristische Bedrohungen, wie zuvor die Gründung eines gemeinsamen Terrorabwehrzentrums von Polizei und Geheimdiensten oder die Einführung einer bundesweiten Anti-Terrordatei.

Verfassungsrechtliche Bedenken

Wolfgang Schäuble und Brigitte Zypries (Archivbild), Quelle: AP
Wolfgang Schäuble und Brigitte Zypries (Archivbild)Bild: AP

Doch das Bundesverwaltungsgericht hatte den Minister im Februar dieses Jahres gestoppt: Der Zugriff des Staates auf den heimischen Computer sei gesetzlich nicht gedeckt. Auch der Koalitionspartner SPD bremst den Elan des Christdemokraten. Die sozialdemokratische Justizministerin Brigitte Zypries hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Schnüffler auf der Festplatte. Denn dies wäre auf jeden Fall ein schwerer Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das aus Artikel 2 Grundgesetz abgeleitet wurde. "Und es gibt auch ernstzunehmende Stimmen, die sagen, es wäre auch ein Eingriff in Artikel 13 Grundgesetz, also in das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung", so Zypries.

Am Freitag (31.8.) treffen Sicherheitsexperten von Regierung und Koalitionsfraktionen zur dritten Beratungsrunde über die Online-Durchsuchungen von Privatcomputern zusammen, die - so neueste Medienberichte - unter Umständen auch ohne richterliche Genehmigung möglich sein sollen. Unter Datenschützern, Oppositionsparteien und in den Medien lösen mögliche Attacken, die nun sogar per gefälschter Behörden-E-Mail erfolgen könnten, einen neuen Aufschrei aus. Das Vertrauen des Bürgers in den Staat werde zerstört, wenn er damit rechne müsse, dass sich hinter einer elektronischen Post vom Jugendamt in Wirklichkeit die Polizei verstecke, meint die Linkspartei.

"Nur im Ausnahmefall"

Das Bundesinnenministerium beruhigt: Diese Methode der Einschleusung von elektronischen Schnüfflern werde man nur im Ausnahmefall nutzen. Es gehe um höchstens fünf bis zehn Fälle pro Jahr, heißt es. Man hat genügend andere Wege zur Razzia per Computer ausgetüftelt. Der Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, verwies auf dem diesjährigen Europäischen Polizeikongress auf die steigende Bedeutung des Internets bei der Vorbereitung von Verbrechen. Die Polizei müsse mit diesem technischen Fortschritt der Täter Schritt halten und dürfe nicht zulassen, dass diese den Cyberspace als geschützten Raum für sich in Anspruch nähmen. "Wir brauchen dieses Instrument vor allem zur Aufdeckung krimineller Netzwerke in den Bereichen Terrorismus, Organisierte Kriminalität, Kinderpornographie, Wirtschaftskriminalität, Menschenhandel und Waffenhandel", sagte Ziercke.

Das Bundeskriminalamt habe kein Interesse an Krankheitsberichten, Tagebüchern oder Liebesbriefen antwortete das Bundesinnenministerium auf eine besorgte Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion.

Beim Bundeskriminalamt schielt man derzeit neidisch auf andere europäische Länder wie Spanien, Lettland, Rumänien, Slowenien oder Zypern wo Online-Durchsuchungen bereits erlaubt sind. Ob es in Deutschland jemals dazu kommt, wird auch von einer bevorstehenden Gerichtsentscheidung abhängen. Denn der Landtag von Nordrhein-Westfalen ist schon einmal vorgeprescht und hat den Geheimdienstlern im Landesdienst die Lizenz für Online-Durchsuchungen erteilt. Im Oktober wird sie vom Bundesverfassungsgericht überprüft. Danach wird man auch bei der Bundesregierung in Berlin wieder einmal klüger sein, was die Verfassung erlaubt, und was nicht.