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Der Skandal, der keiner werden will

Konstantin Klein4. März 2002

Es ist ein großes Thema, das seinen Weg in die Nachrichtensendungen der Welt nur in kleinen Schritten macht: die Enron-Affäre, die seit Dezember Wellen schlägt. Überlegungen von DW-TV-Korrespondent Konstantin Klein.

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Es hat alles, was zu einem zünftigen Skandal dazugehört: eine Milliardenpleite, genaugenommen die größte Pleite der US-Geschichte. Millionenzahlungen an die Großen des Konzerns, Kündigungen ohne Abfindungen für die Kleinen. Vorstandsvorsitzende, die von nichts gewusst haben und behaupten, elementare Vorschriften für die Buchhaltung von Aktiengesellschaften nicht zu kennen. Unzählige Telefonate vom Firmensitz in Houston nach Washington, wo USA Inc. ihren Hauptsitz hat. Und ein US-Vizepräsident, der sich glatt weigert, über mögliche Verbindungen oder Nicht-Verbindungen zu dem Skandal Auskunft zu geben, einfach weil Spitzenpolitiker auch ihre Geheimnisse haben können müssen.

Zutaten stimmen, aber die Hefe fehlt

Und dennoch will sich im Fall des ehemaligen US-Energieriesen Enron aus diesen wunderbaren Zutaten kein richtiger, hauptstadterschütternder Skandal entwickeln (die Börse hat ihre Erschütterung nach dem Kurssturz der Enron-Aktie von mehr als 80 auf weniger als einen Dollar innerhalb eines Jahres schon hinter sich). Zeitungen und Nachrichtensender berichten sich die Seele aus dem Leib, aber der Skandal will einfach nicht.

Das hat mehrere Gründe. Einerseits geht es im Enron-Skandal nicht um Drogen, Sex, Wanzen, Waffenschmuggel oder alles zusammen, sondern nur um Geld. Das hat man, oder man hat es nicht, worüber ein echter Amerikaner nicht jammert, sondern alles tut, um den Zustand zu ändern.

Zweitens hat zwar ein Vorstandsvorsitzender ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn er behauptet, den Überblick im eigenen Laden verloren zu haben; für unbeteiligte Beobachter ist das aber gerade in dem verwickelten Enron-Fall eine ganz natürliche Verhaltensweise, und der Minutenjournalismus amerikanischer Nachrichtensender ist nicht die geeignete Form, die Affäre bis ins letzte zu beleuchten.

Millionen verloren Milliarden - so what?

Und drittens gibt es Wichtigeres als eine Milliardenpleite, die Millionen ihre Ersparnisse und einen Teil ihrer Altersversorgung gekostet hat. Den Kampf gegen den internationalen Terrorismus beispielsweise, auch wenn der ohne Lebenszeichen einer Hauptperson derzeit einen etwas ziellosen Eindruck macht. Oder den alltäglichen Kampf für mehr Sicherheit an der Heimatfront - obwohl reihenweise ausgezogene Schuhe an Flughäfen inzwischen eine größere Umweltgefahr darstellen als die tägliche Ladung Post. Den Kampf für mehr Überwachung im Internet und am Telefon, der nur deshalb so schwierig ist, weil es immer noch Kongressabgeordnete und Senatoren gibt, die die Privatsphäre für ein schützenswertes Gut halten. Oder schließlich den rastlosen Kampf des Präsidenten, mit immer denselben Worten die Amerikaner trotz aller Ermüdungserscheinungen bei der Stange zu halten.

Solange all diese Kämpfe noch ausgefochten werden, hat Amerika einfach keine Zeit für Enron. Und das müssen wir doch verstehen.