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Der Radikalismus reist mit

Nadeem F. Paracha (Andreas Gorzewski)7. Dezember 2015

Welcher Islam ist "richtig"? Das Blutbad in San Bernardino in den USA zeigt in tragischer Weise den Export innerislamischer Konflikte zwischen Pakistan und Saudi-Arabien, meint DW-Kolumnist Nadeem F. Paracha.

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San Bernardino, CA, USA, Trauernde mit Kerzen nach der Schießerei (Foto: REUTERS/ Mike Blake)
Bild: Reuters

Das pakistanische Ehepaar Tashfeen Malik und Syed Farook hatte am 2. Dezember die Weihnachtsfeier bei seinem Arbeitgeber in der kalifornischen Stadt San Bernardino gestürmt. Bei dem Angriff wurden 14 Menschen erschossen und 21 verletzt.

Die Attentäterin Tashfeen Malik kam 1986 im Süden der pakistanischen Provinz Punjab zur Welt. Ihr Vater, ein Ingenieur, zog nach einem Streit mit seiner Verwandtschaft mit seiner Familie nach Saudi-Arabien um.

In Saudi-Arabien soll er die letzen Reste des heimischen Islam abgeschüttelt haben, dem die meisten Pakistaner anhängen. Diese Art von Islam ist eine Jahrhunderte alte Mischung zwischen Sufi-Mystik und anderen Glaubensformen. Dazu zählen der Hinduismus, Buddhismus und Zoroastrismus.

Religiöse Spannungen

Der Sufismus ist die mystische Strömung im Islam, die muslimische Eroberer zwischen dem 11. und 18. Jahrhundert in Südasien verbreiteten. Im Süd-Punjab stehen Hunderte Grabschreine von Sufi-Heiligen.

Doch im Laufe der vergangenen Jahrzehnte haben die konfessionellen Konflikte zwischen den muslimischen Gemeinschaften in Pakistan zugenommen. Die Konfliktlinie verläuft sowohl zwischen der sunnitischen Mehrheit und der schiitischen Minderheit als auch zwischen sunnitischen Gruppen selbst.

USA Tashfeen Malik (Foto: Reuters/ FBI)
Die Attentäterin Tashfeen Malik und ihr Mann Syed Farook sprengten sich gemeinsam in die LuftBild: Reuters/FBI

Dies zeigt das Besipiel von Tashfeens Vater. Nachdem er die Verbindungen zu seiner Sippe abgebrochen hatte, wies er auch den Islam zurück, mit der er in Pakistan groß geworden war.

Der Vater war kein Einzelfall. Tausende Pakistaner zogen in den 1970er-Jahren in die ölreichen Golfstaaten, um dort zu arbeiten. Dort lernten sie eine ganz andere Variante des Islam kennen.

Glaube und Geld

Zwar wird die saudi-arabische Ausprägung des Islam von vielen Pakistanern als elitär, starr und unvereinbar mit den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umständen in Pakistan verspottet. Dennoch haben viele die Glaubensform, die in den konservativen arabischen Staaten wie Saudi-Arabien oder Kuwait praktiziert wird, übernommen.

Weil sie am Golf mehr Geld verdienten als in ihrer Heimat, verwandelte sich die konfessionelle Kehrtwende zu einer Art Markenzeichen für einen gehobenen wirtschaftlichen Status. Viele pakistanische Gastarbeiter beschimpften nach ihrer Rückkehr ihre Landsleute und Familienmitglieder, einem "fehlerhaften" Verständnis von Islam anzuhängen.

Vorbereitung zum Fastenbrechen im Ramadan in der Stadt Lahore (Foto: Tanvie Shahzad/DW)
Vorbereitung zum Fastenbrechen im Ramadan in der pakistanischen Stadt LahoreBild: DW/T. Shahzad

Auch Tashfeen Malik war nach ihrer Rückkehr aus Saudi-Arabien als Studentin unzufrieden damit, wie ihre Komilitonen und deren Familien als Muslime lebten. Zeitungen zitierten einige ihrer Verwandten, denen zufolge sie Frauen in Pakistan ermahnt haben soll, sich voll und ganz an die Vorgaben des Islam zu halten.

Das alles ist nicht außergewöhnlich. Pakistaner, die warnend den Zeigefinger heben, weil ihre Landsleute einen "fehlerhaften" Islam praktizierten, sind seit den 1980er-Jahren häufig anzutreffen.Diese Einstellung hat bereits zu Gewalt zwischen sunnitischen Gruppen in Pakistan geführt.

Ohnmacht in Islamabad

Die Beteiligung der Pakistanerin Tashfeen Maik an dem Attentat in Kalifornien ist jedoch etwas Neues. Sie trug damit auch den innerpakistanischen Konflikt über das "richtige" Islamverständnis auf eine neue Ebene.

Auch der US-Pakistaner Faisal Shahzad, der 2010 den New Yorker Times Square in die Luft sprengen wollte, hat einige Zeit in Saudi-Arabien gelebt. Er stammt - wie Tashfeen Malik - aus einer Mittelklasse-Familie.

Bislang haben die pakistanischen Behörden kein Konzept, wie sie dem Phänomen begegnen sollen, dass sich gebildete und vergleichsweise wohlhabende junge Leute radikalisieren.

Die Militärführung des Landes und die gemäßigte Mitte-Rechts-Partei PML-N, die die Regierung anführt, versuchen, mit einer groß angelegten Initiative gegen extremistische Organisationen gegenzusteuern.Doch die Umsetzung ist schwer, denn ein wichtiges Wählerreservoir für die PML-N im Punjab besteht aus Männer und Frauen, die ihr Geld in den Golfstaaten gemacht haben.

Nadeem Paracha
DW-Kolumnist Nadeem F. Paracha ist einer der bekanntesten Kulturkritiker in PakistanBild: privat

Ein pakistanischer Psychologe hatte bei einer Lehrveranstaltung erklärt, dass junge Pakistaner mit ernsthaften emotionalen Problemen und ungelösten psychischen Konflikten in den sozialen Medien auf komplette religiöse und politische Deutungen der Welt stoßen. Diese Deutungen verleiteten sie dazu, ihre Angst, Verwirrung und ihre Fehlschläge durch Gewalt zu kompensieren. Dabei glaubten sie dann, einer größeren und göttlichen Sache zu dienen.

Das war offenbar bei der 27-jährigen Tashfeen Malik der Fall. Schließlich traf sie auf einen ebenfalls verstörten Mann, heiratete ihn und entschloss sich zum Massenmord. Zurück bleibt eine muslimische Gemeinschaft in den USA, die sich ratlos fragt, wo etwas auf dem Weg zu einem "gottesfürchtigen Leben" schiefgelaufen ist.

Nadeem F. Paracha ist einer der bekanntesten Satiriker und Kulturkritiker Pakistans. Er schreibt regelmäßig für den englischen Dienst der Deutschen Welle.