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Politik

Der Präsident und sein Gegenspieler

Esther Felden
23. Februar 2017

Seit er im Amt ist, führt der philippinische Staatschef Rodrigo Duterte einen erbitterten Krieg gegen Drogen und Kriminalität. Ob er sich dabei selbst strafbar gemacht hat? Das versucht Chito Gascon herauszufinden.

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Philippinischer Präsident Rodrigo Duterte
Bild: Reuters/Malacanang Photo

Einmal sind sich Chito Gascon und Rodrigo Duterte persönlich begegnet. In Dutertes Heimatstadt Davao, damals war er dort Bürgermeister. "Wir liefen uns zufällig in einem Hotel über den Weg", berichtet Gascon. Es sei ein beiläufiges Aufeinandertreffen gewesen, miteinander gesprochen hätten sie nicht.

Heute beschäftigt Duterte Gascon eigentlich täglich. Denn Chito Gascon leitet seit 2015 die philippinische Menschenrechtskommission – und nimmt insbesondere auch die Politik seines Präsidenten unter die Lupe. "Wir sind so etwas wie ein Stachel im Fleisch der Regierung", sagt Gascon. Wesentliche Menschenrechtsverletzungen seien an der Tagesordnung, seit Duterte vor nicht einmal einem Jahr im Sommer 2016 sein Amt antrat und seinen landesweiten Feldzug gegen Drogen aufnahm. Mehr als 6000 Menschen haben dabei bis jetzt ihr Leben verloren, vor allem Kleindealer und Süchtige. Getötet  bei Polizeieinsätzen oder durch heimliche Todeskommandos.  Andere Schätzungen gehen sogar von 7000 Opfern aus.

Chito Gascon beim Menschenrechtsgipfel in Genf
In dieser Woche sprach Chito Gascon beim Menschenrechtsgipfel in Genf über die Situation in seinem landBild: DW/E. Felden

Entsetzen im Ausland, Zustimmung zu Hause

International reißt die Kritik am brutalen Kurs des philippinischen Präsidenten nicht ab. Im eigenen Land aber ist Rodrigo Duterte sehr beliebt. Seit der Amtsübernahme habe er seine Macht stetig weiter konsolidiert und sich mittlerweile zu einem regelrechten "Über-Präsidenten" entwickelt.  Seine Zustimmungswerte liegen bei über 80 Prozent, sagt Gascon. "Er hat Wandel versprochen, und genau nach diesem Wandel verlangen die Menschen. Für jeden, der es für falsch hält, einen Verbrecher ohne rechtsstaatliches Verfahren einfach zu töten, gibt es zig andere, die froh sind, einen Süchtigen oder einen Drogenhändler weniger in ihrer Nachbarschaft oder ihrer Stadt zu haben."

Festgenommene Drogendealer mit Handschellen und mit Kleidung verdecktem Kopf auf dem Boden sitzend
Festnahmen und außergerichtliche Tötungen sind an der Tagesordnung, seit Duterte an der Macht istBild: Getty Images/D. Tawatao

Nach Ansicht von Gascon waren die vollmundigen Wahlkampf-Versprechen Dutertes nur Propaganda. Eine ganzheitliche Strategie habe der Präsident nie gehabt. "Er hat damals gesagt, dass er das Drogenproblem auf den Philippinen innerhalb von drei bis sechs Monaten lösen könnte. Einen ähnlichen Anti-Drogen-Krieg hat er auch in seinen 23 Jahren als Bürgermeister von Davao geführt." Aber noch in der vergangenen Woche seien dort Drogengeschäfte abgewickelt worden. "Also warum glaubt Duterte, dass es landesweit besser klappen sollte? Das war nur eine Taktik, um die Massen anzulocken", ist Gascon überzeugt.

Menschenrechtsgruppen schlagen ohnehin  Alarm gegen die Willkürherrschaft des Staatschefs. Und langfristig könnte sich auch die öffentliche Meinung ändern, glaubt Chito Gascon. "Mit steigenden Opferzahlen rückt das Ganze auch immer näher an das eigene Leben heran. Immer mehr Menschen werden einen Nachbarn oder auch einen Angehörigen verlieren." Insbesondere, da auch Unschuldige unter den Toten sind: Opfer von Verwechslungen oder 'Kollateralschäden' im Kugelhagel.

Mächtig wie nie

Im Moment jedoch kann Rodrigo Duterte weitgehend frei schalten und walten, wie es ihm gefällt. Er hat Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments. Und auch das Oberste Gericht steht offenbar auf seiner Seite. Letzteres ist nach Ansicht von Chito Gascon bemerkenswert. "Zurzeit gibt es noch keinen Richter am Supreme Court, der von Duterte ernannt wurde, erst innerhalb der nächsten Jahre gehen einige in den Ruhestand und müssen ausgetauscht werden." Trotzdem aber traf das Gericht Ende 2016 eine umstrittene Entscheidung im Sinne des Präsidenten. "Duterte wollte, dass der ehemalige philippinische Diktator Marcos auf einem Heldenfriedhof beigesetzt wird, und der Supreme Court gab ihm Recht."

Aufgestelltes Bild des philippinischen Ex-Diktators Marcos Mrcos bei seiner Beisetzung auf dem Heldenfriedhof
Im November 2016 wurde der Ex-Diktator Ferdinand Marcos auf dem Heldenfriedhof beigesetztBild: picture alliance/AP Photo/B. Marquez

Und noch ein weiteres sensibles Thema steht auf der Agenda Dutertes. Zu seinen zentralen Wahlkampfversprechen gehört auch die Wiedereinführung der die 2006 abgeschafften Todesstrafe für verschiedene Delikte. Und er will das Alter für die Strafmündigkeit herabsetzen, von 15 auf neun Jahre. "Wenn der Kongress das absegnet, ist es legal", erklärt Chito Gascon. "Allerdings gibt es Widerstand dagegen. Im Repräsentantenhaus wird Duterte eine Mehrheit bekommen, aber im Senat wächst die Opposition." Die zweite Parlamentskammer will derzeit durch Gutachten klären lassen, ob die Wiedereinführung der Todesstrafe nach internationalem Recht zulässig ist. Bis zur Vorlage dieser Gutachten durch das Justizministerium hat der Senat die Beratungen ausgesetzt. Die Abstimmung im Repräsentantenhaus könnte dagegen schon in der kommenden Woche stattfinden.

Proteste in Manila gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe
Katholiken protestieren gegen die von Duterte geplante Wiedereinführung der TodesstrafeBild: picture-alliance/AP Photo/B. Marquez

Ein Fall für die Gerichte?

Wenn es nach Chito Gascon geht, dann sollte auch der Präsident selbst sich eines Tages strafrechtlich verantworten. Duterte hat damit geprahlt, während seiner Zeit als Bürgermeister von Davao eigenhändig Kriminelle getötet zu haben. "Als Berichte über seine Beteiligung an den sogenannten Todesschwadronen bekannt wurden, hat die philippinische Menschenrechtskommission eine vierjährige Untersuchung von 2008 bis 2012 eingeleitet. Das war vor meiner Zeit." Die Kommission kam zu dem Schluss, dass Duterte damals die Kommandogewalt in Davao innehatte und dafür zur Rechenschaft gezogen werden sollte. "Aber seitdem sind fünf Jahre vergangen, und es wurde keine Anklage erhoben. Die Kommission an sich kann das ja nicht tun, wir können nur Empfehlungen aussprechen. Dann müsste die Staatsanwaltschaft übernehmen. Aber leider hat sie das nicht getan, während er noch Bürgermeister von Davao war."

Der nationale Polizeichef Ronald Dela Rosa spricht vor Kollegen
Auch die Polizei steht in der Kritik: nicht nur wegen ihres Durchgreifens im Anti-Drogen-Krieg, sondern vor allem wegen KorruptionsvorwürfenBild: picture-alliance/dpa/M. R. Cristino

Die nächste Präsidentenwahl in den Philippinen steht planmäßig 2022 an. Dass Duterte vorher von einem nationalen oder auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt wird, hält Chito Gascon für unwahrscheinlich. Als amtierender Staatschef garantiert ihm die Verfassung Immunität vor Strafverfolgung. Gascon setzt daher auf einen langen Atem - und weitere Nachforschungen. Gerade erst, so berichtet er, gab es eine neue und wichtige Entwicklung. "Just in dieser Woche hat ein Kronzeuge von den Todesschwadronen in Davao eine Aussage gemacht. So wie schon ein weiterer Mann im vergangenen Sommer. Beide haben zu Protokoll gegeben, dass Duterte direkt an Verbrechen beteiligt war. Diese Beweise hatten wir im Jahr 2012 bei unserer Untersuchung noch nicht."

Hartes Durchgreifen gegen Gegner

Das eröffne vielleicht neue Möglichkeiten, den Präsidenten strafrechtlich zu verfolgen. Die Aussagen jedenfalls seien hoch brisant – und für die beiden Zeugen unter Umständen auch lebensgefährlich. "Ehrlich gesagt habe ich große Angst vor Vergeltungsmaßnahmen gegen sie und ihre Familien", sagt Chito Gascon. "Wir müssen effektive Maßnahmen anbieten, um sie zu beschützen. Und um andere zu ermutigen, es ihnen gleich zu tun und auch auszusagen."

Anhörung im Senat von Senatorin Leila de Lima
Auch Leila De Lima war einmal Leiterin der philippinischen MenschenrechtskommissionBild: Reuters/E. De Castro

Prinzipiell ziehe sich jeder, der die harte Linie im Anti-Drogen-Krieg nicht unterstütze, den Zorn Dutertes und seiner Anhänger zu. Auch Gascon selbst hat ihn schon zu spüren bekommen, wenn auch nur in Form von falschen Anschuldigungen über die sozialen Netzwerke. "Dort wird mir unterstellt, ich würde selbst auch Drogengeld kassieren." Auch die jüngste Entwicklung im Land unterstreicht die Haltung des Präsidenten: Wer sich ihm in den Weg stellt, riskiert drastische Konsequenzen. So ordnete ein Gericht an diesem Donnerstag (23.02.) die Festnahme der prominentesten Gegenspielerin Dutertes, Leila De Lima, an. Auch der Senatorin und Vorgängerin Gasccons als Leiterin der philippinischen Menschenrechtskommission werden illegale Drogenvergehen vorgeworfen.

Eine ganz einfache Frage?

Dass er selbt noch einmal die Möglichkeit haben wird, mit Rodrigo Duterte persönlich zu sprechen, daran glaubt Chito Gascon nicht. Aber was er ihn als erstes fragen würde, das weiß er genau. "Ich würde von ihm wissen wollen, wie er für sich die Menschenrechte definiert und was sie für ihn bedeuten." Erst vor wenigen Tagen habe der philippinische Justizminister erklärt, Kriminelle seien nicht Teil der Menschheit. "Duterte und seine Getreuen vertreten die Grundhaltung: Wenn jemand gegen das Gesetz verstößt, verliert er all seine Rechte. Ich denke, mit dieser Argumentation schaffen sie es, die Entwicklungen, die sich gerade in meinem Land abspielen, vor sich selbst zu rechtfertigen."