Der Mitternachtsbus - Hilfe für Obdachlose
19. November 201020 Uhr – die Hamburger Innenstadt leert sich, die Menschen strömen nach Hause. Für die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Mitternachtsbusses der Hamburger Diakonie hat die Arbeit gerade erst begonnen. Hannelore Rempp, Gudrun Wessling und Hans Jacob sitzen im Mitternachtsbus, der nun bis etwa 24 Uhr unterwegs sein wird, um Obdachlose mit Getränken, Essen, Kleidung und Schlafsäcken sowie Isomatten zu versorgen - auch damit sie nicht das Schicksal des 49-Jährigen teilen müssen, der Mitte November in der Hansestadt beinahe ums Leben kam: Der Obdachlose hatte in einem Müllcontainer übernachtet und wäre nach dessen Leerung fast in der Presse gelandet.
Schlafplatz unter einem Brückenpfeiler
"Guten Abend! Möchten Sie was trinken?", fragt Hannelore Rempp den älteren Herrn, der zum Bus gekommen ist. Der Mann nimmt das Angebot gerne an. "Kaffee mit Zucker und Milch", antwortet er. Dazu sucht er sich noch belegte Brötchen aus, eins mit Ei, eins mit Schnitzel. Der Mann mit weißem Vollbart und blauer Wollmütze steht vor der offenen Seitentür des türkisfarbenen Kleintransporters. Der Mann, der seinen Namen nicht nennt, reibt sich die kalten Hände. Handschuhe gibt es heute leider nicht. Dafür bekommt er ein Unterhemd mit langen Ärmeln und eine warme lange Unterhose. Dazu noch eine große Tüte.
"Ja, die kann ich gut gebrauchen", sagt er. Und es scheint, als freue er sich über diese Tüte fast noch mehr als über die warme Kleidung. Sofort verstaut er die Sachen darin und bringt sie zu seinem Schlafplatz: eine Nische unter einem Brückenpfeiler. Er trägt Turnschuhe, die noch recht neu aussehen, doch seine Jacke und die Hose sind abgewetzt. Sein Alter ist schwer zu schätzen, er sieht alt aus, vielleicht ist er ungefähr 60 Jahre alt.
Weg in Notunterkünfte oft zu schwer
Warum er nicht lieber in eine der Notunterkünfte gehe? Die seien nichts für ihn, entgegnet er. "Wir sind Schüler, deshalb müssen wir hier draußen bleiben, gute Nacht", antwortet der offenbar verwirrte Mann und stellt seinen Becher mit heißem Kaffee auf dem Gehsteig ab.
Viele würden den Weg in die Notunterkünfte nicht schaffen, sagt Hans Jacob. "Wir treffen so viele Leute abends an, die nicht mal den Weg in die Kleiderkammer finden, um sich warme Sachen geben zu lassen und die auch Schwierigkeiten haben ihre Sachen zu waschen." In den Obdachlosenstätten gebe es Waschmaschinen, aber der Weg dahin sei für viele nicht einfach. Deshalb fährt der Mitternachtsbus zu ihnen, nun seit 14 Jahren jeden Abend. Hans Jacob ist seit der ersten Fahrt dabei.
100 Helfer gehören zum Team des Mitternachtsbusses
17 Platten, wie die Schlafplätze im Stadtstreicher-Jargon heißen, liegen auf der Route quer durch die Hamburger Innenstadt. Und wieder entdeckt Jacob jemanden, der in einem Kaufhauseingang sein Nachtlager aufgeschlagen hat. Gudrun Wessling steigt aus dem Bus, um nachzusehen, ob derjenige noch wach ist. "Wenn die schon schlafen, sollte man sie nicht mehr wecken, das ist dann so was wie Zwangsbeglückung, die schießt dann doch übers Ziel hinaus", sagt Wessling.
Als sie näher kommt, hört sie, dass ein Radio läuft. Doch der Mann daneben ist bereits eingeschlafen. Seit dem Frühjahr gehört Wessling zu den insgesamt 100 freiwilligen Helfern. Jacob fährt den Bus, passt auf, dass es keinen Streit gibt. Und er geht zu den Schlafplätzen, die die Frauen nicht so gerne aufsuchen.
"Die haben ihr Leben beendet"
So beim nächsten Stopp. "Der Mitternachtsbus", ruft Jacob. Unter der Brücke schallt es laut. "Hier haben wir auf beiden Seiten rund ein Dutzend Leute liegen, junge Menschen." Dieses Bild entsetze ihn immer wieder aufs Neue, sagt der Helfer, "die haben keine Perspektive mehr, für die ist das Leben praktisch beendet". Aber heute Abend ist hier niemand zu sehen. Jacob überquert die Helgoländer Allee, rechts und links der Straße unter der Brücke wohnen unübersehbar Menschen. Matten, Decken, auch Kleidung liegen zwischen einer Menge Müll.
Es regnet und ist kalt. Eine ungemütliche Novembernacht steht bevor. "Sie treiben sich draußen herum, werden klitschenass und kommen dann irgendwann zu ihrem Schlafsack zurück. Aber die Sachen trocknen ja nicht über Nacht und Erkältungskrankheiten sind vorprogrammiert", sorgt sich Jacob. Die Helfer schauen hin, wo andere wegsehen. Sie fahren Obdachlose ins Krankenhaus oder rufen den Rettungswagen. Der Mitternachtsbus bringt die Hilfe dahin, wo sie gebraucht wird - auf die Straße. Auch dank Hans Jacob und seiner Kollegen ist in Hamburg in den vergangenen Wintern kein Obdachloser mehr erfroren.
Autorin: Janine Alberecht
Redaktion: Michael Borgers