1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der Libanon bangt um den inneren Frieden

Kersten Knipp21. August 2012

Die Geiselnahmen im Libanon zeigen, wie stark religiöse Konfliktlinien das Land beherrschen und den Staat schwächen. Viele Menschen befürchten eine Rückkehr der Gewalt zwischen den Konfessionen.

https://p.dw.com/p/15s36
Bewaffnete Mitglieder des Meqdad-Clans, die mehrere Syrer in ihre Gewalt gebracht haben, 15.8. 2012. (Foto: REUTERS)
Bild: Reuters

In Beirut blockierten in der vergangenen Woche bewaffnete Männer die Straße vom Flughafen in die Innenstadt. Zeitgleich unterbrachen Bewaffnete in der im Osten des Landes gelegenen Bekaa-Ebene den Verkehr auf einer nach Syrien führenden Zufahrtstraße. Zusammen nahmen sie mehr als 20 syrische Geiseln. Auch ein Türke und ein Staatsbürger Saudi-Arabiens wurden verschleppt.

Zu den Entführungen bekannte sich der schiitische, als einflussreich geltende Miqdad-Clan, der in der Region auch den Waffenschmuggel für das Assad- Regime kontrollieren soll. Eines seiner Mitglieder, Hassan Salim al Miqdad, war kurz zuvor von Kämpfern der Freien Syrischen Armee entführt worden. Diese beschuldigen ihn, als Mitglied der libanesischen Hisbollah gegen die Aufständischen gekämpft zu haben. Auf einer Pressekonferenz, zu der die Familie vergangene Woche lud, teilte der Sprecher der Familie mit, man werde die türkische Geisel töten, sollte Hassan Salim etwas passieren.

Ausschreitungen in Beirut nach der Entführung schiitischer Pilger in Syrien , 15.8. 2012. (Foto: REUTERS)
Gewalt der Straße: Ausschreitungen in Beirut nach der Entführung schiitischer Pilger in SyrienBild: Reuters

Schwäche des libanesischen Staates

Die Entführungen zeigen die Schwäche des libanesisches Staates. Er vermochte es nicht, die sich wiederholenden Entführungen zu verhindern. Die Macht des Staates zerfalle jeden Tag mehr, schreibt die arabische Zeitung "Al Quds al Arabi" in ihrem Kommentar. Am Ende bleibe von ihm nichts als sein Name übrig.

Diese Schwäche hat historische Wurzeln. Im libanesischen Bürgerkrieg (1975 – 1990) schlossen sich zu Beginn der 1980er Jahre verschiedene schiitische Gruppen zur "Hisbollah" - der "Partei Gottes" – zusammen. Unterstützt wurden sie von sogenannten "Revolutionswächtern" aus dem Iran, wo kurz zuvor Ajatollah Chomeini die Macht übernommen hatte. Im Verlauf des Bürgerkriegs und insbesondere nach dessen Ende knüpfte die Hisbollah zudem immer engere Kontakte zu Syrien. Das syrische Militär war 1976 in den Libanon einmarschiert. Seitdem hat das Land einen großen politischen Einfluss auf den kleinen Nachbarn. Jahrzehntelang waren syrische Truppen im Libanon stationiert.

Die Macht der Hisbollah

Aus dieser Zeit resultiert die bis heute andauernde Stärke der Hisbollah - und zugleich die Schwäche des libanesischen Staats. Unter dieser leide das gesamte Land, erklärt der christliche libanesische Theologe Abdel Raouf Sinno. Im Libanon gebe es zwei Machtfaktoren: einen schwachen Staat und eine starke Hisbollah. "Die Hisbollah ist eine totalitäre und ideologische Partei, die ein politisches Projekt verfolgt. Ebenso gibt es auch zwei Armeen: die starke Armee der Hisbollah und die schwache Armee des Staats. "

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah während einer Rede in Beirut, 6.12. 2011 (Foto: dapd)
Geistlicher und Politiker: Hisbollah-Chef Hassan NasrallahBild: AP

Konfessionelle Fragmentierung

Die Geiselnahme legt aber auch einen weiteren wunden Punkt der libanesischen Gesellschaft offen: die lange Tradition konfessioneller Spannungen, die im libanesischen Bürgerkrieg von 1975 - 1990 ihren gewaltsamen Ausdruck fanden. Derzeit befürchten viele Libanesen, sie könnten wieder aufleben. Denn wie derzeit in Syrien verliefen damals auch im Libanon die Fronten entlang konfessioneller und zugleich ökonomischer Allianzen. Geschickt machten sich die Strategen der beteiligten Bürgerkriegsparteien die konfessionellen Spannungen zunutze, die die Franzosen während ihrer Herrschaft zwischen 1922 und 1943 systematisch geschürt hatten.

Erinnerung an Miteinander der Kulturen

Diese hielten sich auch nach der Unabhängigkeit des Libanons im Jahre 1943, brachen aber nicht offen aus. Der libanesisch-französische Schriftsteller Amin Malouf hatte in seiner Jugend von diesen Spannungen kaum etwas mitbekommen. "Als ich in Beirut lebte", erklärt er, "war der Libanon eine Mischung verschiedener Kulturen. Diese gibt es zu Teilen zwar immer noch. Zugleich haben wir es immer noch nicht geschafft, jenes soziale Miteinander zu finden, auf dessen Grundlage wir die derzeitige chaotische und depressive Lage überwinden könnten."

Heute sieht die libanesische Verfassung eine Machtteilung zwischen den drei großen Religionsgruppen - den Sunniten, den Schiiten und den Christen - vor. Ihr zufolge muss das Staatsoberhaupt ein maronitischer Christ, der Regierungschef Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit sein.

Warnung vor Propaganda des syrischen Regimes

Die Logik des Konfessionalismus gilt als praktikabelster Weg, die Stabilität der kompliziert strukturierten libanesischen Gesellschaft wie auch des Staates zu erhalten. Zugleich fördert sie aber auch das Denken in religiösen Kategorien - und macht nicht wenige Libanesen anfällig für den konfessionellen Charakter, der sich im syrischen Bürgerkrieg derzeit immer stärker zeigt.

Sunniten und Schiiten bekämpfen sich in der Stadt Triopoli im Norden des Libanon, 2.6. 2012. (Foto:AP/dapd)
Der syrische Bürgerkrieg greift auf den Libanon über. Szene aus TripoliBild: dapd

Es sei bestürzend, schreibt die Tageszeitung "Al Hayat", dass man erleben müsse, wie die konfessionelle Logik den Blick auf den Bürgerkrieg bestimme. Das gelte für die syrische Opposition, die in jedem libanesischen Schiiten gleich ein kämpfendes Mitglied der Hisbollah vermute - und deshalb Gefahr laufe, der Propaganda des Assad-Regimes auf den Leim zu gehen. Denn diese Propaganda versuche, dem Bürgerkrieg ein religiöses Antlitz zu geben, um so die Gewalt gegen angebliche Extremisten zu rechtfertigen. Es gelte aber auch für die libanesischen Schiiten, die nun die sunnitischen Syrer in Kollektivhaft für die Verbrechen mancher Oppositionsgruppen nähmen.