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Der Kurs ist gesetzt

Frank Sieren13. März 2014

Nach dem Ende des Volkskongresses in Peking steht fest: Chinas neue Regierung hat ihre Linie gefunden und ist entschlossen, im Land Veränderungen anzugehen, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Li Keqiang bei der NVK-Pressekonferenz (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Kim Kyung-Hoon

Der neunte und damit letzte Tag des jährlichen Volkskongresses in China ist traditionell der große Tag der Abstimmungen. Die rund 3000 Delegierten müssen die Rechenschaftsberichte der ranghohen Politiker billigen und den von der Regierung vorgestellten Haushalt absegnen. Man kann das für eine einzige große Show halten, weil die Abgeordneten nicht frei gewählt, sondern von der kommunistischen Partei handverlesen sind. Und tatsächlich hat es in der 60-jährigen Geschichte des Volkskongresses noch nie einen Fall gegeben, in dem die Delegierten einen Antrag der Führung abgelehnt haben.

Trotzdem lohnt es sich, jedes Jahr genau auf die Ergebnisse zu schauen. Denn auch, wenn Anträge und Rechenschaftsberichte nicht abgelehnt werden: Die Delegierten diskutieren über das, was die Führung ihnen auf dem Volkskongress präsentiert. Und ist der Unmut über die Linie der Regierung zu groß, quittieren sie das mit Gegenstimmen und Enthaltungen.

Verlorenes Jahrzehnt

In der Amtszeit von Präsident Hu Jintao und seinem Premier Wen Jiabao, die vergangenes Jahr vom neuen Führungsduo Xi Jinping und Li Keqiang (Artikelfoto) abgelöst wurden, ließ sich das gut beobachten. Hu und Wen hatten zwar viel für das Land getan. Auch ihnen ist anzurechnen, dass es mit der Wirtschaft weiter rasant bergauf ging und der Wohlstand in der Bevölkerung stieg. Doch vielen Chinesen war das nicht genug: So wurde Hu und Wen immer wieder vorgeworfen, wichtige Reformen, zum Beispiel im Sozialsystem und der Rente, verschleppt zu haben.

Frank Sieren (Foto: Sieren)
Sieren: Genauer Blick auf Ergebnisse im NVKBild: Frank Sieren

Viele Bürger empfanden ihre zehnjährige Amtszeit deshalb als Periode der politischen Stagnation oder gar als verlorenes Jahrzehnt. Die Delegierten vergangener Volkskongresse machten ihrem Ärger darüber Luft und straften die alte Führung besonders zum Ende ihrer Amtszeit gern mit Gegenstimmen ab.

Die wohl wichtigste Nachricht, die man deshalb vom diesjährigen Volkskongress mitnehmen kann: Die neue Regierung kommt besser an. Premier Li Keqiang erhielt für seinen ersten Rechenschaftsbericht die Zustimmung von 2887 Delegierten und musste nur 15 Gegenstimmen sowie fünf Enthaltungen hinnehmen. Sogar der oberste Richter Zhou Qiang und Generalstaatsanwalt Cao Jianming erhielten im Vergleich zu den Vorjahren weniger Gegenstimmen und Enthaltungen.

Der oberste Richter und der Generalstaatsanwalt bekommen traditionell den größten Widerstand zu spüren, da die Delegierten mit dem Votum ihre Unzufriedenheit über den mangelnden Kampf gegen Korruption und andere Verbrechen demonstrieren wollen. Ihr gutes Ergebnis in diesem Jahr zeigt, dass die neuen Korruptionsmaßnahmen der Regierung gut ankommen.

Kampf gegen Korruption

Chinas neue Führung hat der grassierenden Korruption direkt nach ihrem Amtsantritt den Kampf angesagt. Gleich 23.000 Parteifunktionäre wurden im vergangenen Jahr angeklagt. Nicht nur den kleinen Fischen, sondern auch einer ganzen Reihe hochkarätiger Funktionäre ging es an den Kragen. Eine Entwicklung, die die Vertreter des Volkskongresses offenbar gutheißen.

Es ist in China eine Form der Höflichkeit, den Beschlüssen des dritten Plenums Zeit zu geben, bevor offenkundig über einen etwaigen Richtungswechsel gesprochen wird. Es war also wenig erstaunlich, dass die Delegierten den Vorhaben der Führung nichts entgegenstellten. Wohin es unter Xi und Li mit dem Land gehen soll, ist bereits seit vergangenem November klar, als das Zentralkomitee der Partei sich zu seinem dritten Plenum traf. Bereits dort diskutierte die Führung ambitionierte Reformen. Sie will den Finanzsektor weiter öffnen und Privatbanken zulassen, weniger Preise vom Staat festsetzen und die Währungs- und Haushaltspolitik transparent gestalten. Und sie will den Kampf gegen die Umweltverschmutzung forcieren. Nicht zuletzt soll eine Reform auch in der Landwirtschaft mehr privaten Besitz ermöglichen.

Die meisten Anträge, die auf dem Volkskongress diskutiert wurden, beschäftigten sich mit genau diesen schon bekannten Themen. Dass es kaum Neuigkeiten gab, ist eine gute Nachricht. Es zeigt, dass die Regierung bereits nach einem Jahr im Amt ihre Linie gefunden hat und nun beginnt, die Aufgaben abzuarbeiten.

Arbeitsteilung beim Spitzenpersonal

Auch wie die Rollen in der neuen Regierung verteilt sind, machten die vergangenen Tage noch einmal klar: Premier Li Keqiang sprach beim Vortrag seines Rechenschaftsberichts und auch in der Pressekonferenz zum Abschluss des Volkskongress stets fachmännisch und profiliert. Anders als seine Vorgänger leierte er keine Zitate aus klassischen Gedichten herunter, sondern brachte prägnant und gekonnt auf den Punkt, wie Chinas Zukunft gestaltet werden soll. Dabei signalisierten seine Art zu reden sowie sein Tonfall, dass eine neue Zeit anbricht. Große Emotionen wollten aber nicht überspringen. Kein Wunder: Denn der Mann in der Regierung, mit dem sich das Volk identifiziert, soll Präsident Xi höchst persönlich sein.

Xi hatten schon das ganze Jahr über klar gemacht, dass er die Macht bei sich bündeln will und sich als Präsident des Volkes sieht. Viel häufiger als seine Vorgänger zeigte er sich nahe bei den Menschen. Mal ließ er sich filmen, wie er Dampfbrötchen in einem einfachen Restaurant isst. Wenn es ein Erdbeben oder einen Erdrutsch gab, war er selbstverständlich auch stets zur Stelle. Als die Pekinger vor einigen Wochen mal wieder im dichten Smog zu ersticken drohten, ging der Präsident demonstrativ draußen spazieren, um den Bürgern zu zeigen, dass er mit ihnen leidet und für sie da ist. Die Posten sind also verteilt: Das unangefochtene Machtzentrum ist Xi. An seiner Seite sein treues Arbeitstier Li.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking