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Der Kohle-Kollaps

Frank Sieren9. Mai 2014

Die Kohle war lange der Motor des chinesischen Wirtschaftswunders. Heute zwingen die Kohleschwaden China, Vorreiter in der Umweltpolitik zu werden, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Kohlekraftwerk in China
Bild: ddp images/AP Photo/Oded Balilty

Peking zur Abendzeit ist wie eine andere Stadt. Kaum verschwinden die Spitzen der Hochhäuser im Dunkel der Nacht, geht das Licht der zahllosen Leuchtreklamen wie eine zweite Sonne über den Dächern auf. Ein Anblick den man nicht nur in der Hauptstadt, sondern in jeder der über 160 Millionenstädte des Landes kennt. Die nachts hell strahlenden Metropolen zeugen vom wachsenden Energiehunger Chinas.

Es war lange kein Problem, denn China hat Kohle. Die Steinkohle war günstig abzubauen, die chinesischen Vorkommen sind fast unerschöpflich und die Technik seit Jahrzehnten erprobt. Mithilfe dieses Energievorrats katapultierte China sich so schnell in die Moderne wie kein Land zuvor. Doch im Reich der Mitte wird das Zeitalter der Kohle bald zu Ende gehen.

Nicht nur das CO2, das bei der Verbrennung frei wird ist gefährlich. Besonders die Mischung aus Feinstaub, Ruß und Schwermetallen ist es, die jährlich mehr als eine Viertel Millionen Chinesen umbringt und 230 Milliarden Dollar an Umweltschäden verursacht.

Schwerpunkt auf umweltfreundlichen Alternativen

Was tun, wenn das Land auf der einen Seite vom enormen Energiehunger geplagt wird, ihre wichtigste Energiequelle aber den Himmel verdüstert und Menschen umbringt? Die Antwort lautet: Weg von der Kohle. 67 Prozent der Energieversorgung kommt aus der Kohle. Davon runter zu kommen ist jedoch ein langsamer, gewissermaßen steiniger Weg. 2011 ist der Kohleverbrauch noch um 9,4 Prozent gewachsen. 2013 waren es nur noch drei Prozent. Doch Wachstum bleibt Wachstum. Und der Kohleverbrauch muss schrumpfen. Einfach den Schalter umlegen und den Strom abschalten ist nicht möglich. Das würde das Wirtschaftswachstum strangulieren, und daran hängt die soziale Stabilität. Deshalb geht man in Peking realistisch davon aus, dass der Verbrauch bis 2020 pro Jahr nur noch um gut zwei Prozent steigt und dann seinen Peak erreicht, während der gesamte Energieverbrauch Chinas um rund sieben Prozent jährlich ansteigen wird. Umweltfreundliche Alternativen werden also einen immer größeren Anteil am Energiemix einnehmen.

Frank Sieren (Foto: GMF)
Frank Sieren

Die deutsche Energiewende ist ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was China vorhat. Neben dem bereits 2003 eröffneten Drei-Schluchten-Damm, dem weltgrößten seiner Art, kommen in den nächsten sechs Jahren weitere Projekte der Superlative hinzu: In der Inneren Mongolei entsteht das größte Solarkraftwerk und in Westchina der größte Windpark der Welt. Bei der Windkraft ist China schon jetzt weltweit die Nummer Eins, ebenso bei der Solarenergie.

Atomkraft in großem Stil

Der größte Unterschied der chinesischen Energiewende im Vergleich zur deutschen zeigt sich im Umgang mit der Atomkraft. Während die Deutschen mit aller Kraft aussteigen, steigen die Chinesen mit aller Kraft ein. Nach dem Gau im japanischen Fukushima zog man zwar auch in Asien erstmal die Notbremse. Aber der chinesischen Regierung bleibt gar nichts anderes übrig, als wieder in die Kernkraft zu investieren. Sie ist viel zu wichtig für das zukünftige Energienetz. Deshalb kommen zu den 20 bestehenden chinesischen Meilern in den nächsten Jahren 28 neue hinzu und es sind noch weitere geplant, darunter auch wieder ein Rekord: Das weltgrößte Atomkraftwerk wird in der Provinz Shandong gebaut. Vor Massenprotesten von Atomgegnern muss Peking sich dabei nicht fürchten. In China ist bei diesem Thema der Rückhalt im Volk viel größer als in Deutschland. Lieber nehmen die Menschen die potentielle Gefahr durch Atomkraftwerke auf sich, als einen Tag länger den unmittelbar schädlichen Smog zu atmen.

Bisher hatten vor allem westliche Länder eine gute Ausrede, nicht in umweltfreundliche Alternativen zu investieren: Gegenüber dem Kohlemoloch China sei jede Einsparung belanglos, denn ohne die Chinesen im Team ist die globale Katastrophe sowieso unausweichlich. Doch wenn China seine jetzigen Pläne weiter zielstrebig verfolgt, kann sich im Westen bald niemand mehr herausreden. Und mehr noch: Aus Schaden klug geworden, werden die Erfahrungen bei den alternativen Energien den Innovationfluss umkehren. China kann dann dem Westen erklären, wie man es besser macht. Bei allen Schäden, die durch Kohlefabriken entstehen, hat die Kohle also auch etwas Gutes. Sie zwingt Peking zum schnellen Handeln. Vielleicht nicht schnell genug aus der Sicht der Menschen, die in dem Smog leben müssen. Aber in Relation zu der Herausforderung, der sie gegenüber stehen schneller als jedes andere Land.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.