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Krebsmedikamente

Conor Dillon/Lisa Duhm3. Februar 2015

Für einige unheilbar kranke Krebspatienten ist die Experimentalmedizin die letzte Hoffnung. Der Krebsforscher Helmut Salih berichtet im DW Interview, wie Gesetze ihre mögliche Rettung verhindern.

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Probenröhrchen
Bild: Fotlia/kazoo80

Antikörper können aktive Krebszellen reduzieren oder sogar ausschalten. Das zeigt eine Reihe von Experimenten an sieben als unheilbar krank eingestuften Krebspatienten an der Universität Tübingen. Bei einigen Patienten registrierten die Forscher einen Rückfall, bei anderen allerdings verschwanden die Krebszellen. Die Forscher glauben daher, dass Antikörper ein wichtiges Mittel im Kampf gegen bestimmte Krebsarten sind.

In einem ungewöhnlichen Schritt entschied sich die Universität dafür, eine eigene Produktionsstätte für Antikörper einzurichten und die Produktion nicht - wie sonst üblich - an ein pharmazeutisches Unternehmen zu übergeben.

DW: Professor Salih, Sie und Ihr Team besitzen eine einsatzbereite, zwei Millionen Euro teure Produktionsanlage für Antikörper und warten nur darauf, Ihre Forschung an unheilbar kranken Krebspatienten fortzusetzen. Was verhindert zurzeit die Produktion?

Professor Helmut Salih: Das medizinische Produkt, das wir herstellen wollen, muss bestimmte technische Sicherheitskriterien erfüllen – es darf also keine Viren oder DNA der Wirtszelle enthalten und, mein Lieblingsbeispiel, es muss "stabil" sein (lacht). Das bedeutet, dass wir das Produkt für sechs Monate Temperaturen aussetzen müssen, die etwa im Kongo herrschen, ohne dass es seine Eigenschaften verändert. Wir sind nicht im Kongo. Und der Patient liegt im Krankenhaus und kann nur abwarten.

Prof. Dr. Helmut Salih
Krebsforscher Prof. Dr. Helmut SalihBild: Universität Tübingen

Sie sprechen von den EU-Richtlinien zur Qualitätssicherung bei der Arzneimittelproduktion.

Salih: Natürlich sind diese Richtlinien notwendig. Wenn ein neuer Impfstoff entwickelt wird, der 80 Millionen gesunden Deutschen verabreicht werden soll – dann ist Sicherheit sehr wichtig. Wenn aber ein Patient an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidet, für die es keine Therapie gibt, dann ist Sicherheit meiner Meinung nach zweitrangig. Wirksamkeit hat dann oberste Priorität.

Ein Beispiel: Wenn wir die Antikörper nach der Herstellung in ein Glasfläschchen umfüllen wollen, eine Phiole, dann muss die Teilchendichte im Raum 1000 Mal geringer sein als bei einer Operation am offenen Herzen. Wir behandeln aber Patienten mit einer lebensbedrohlichen Krankheit, die sie wahrscheinlich sehr bald töten wird. Ich finde, dass diese Richtlinien übertrieben sind.

Wenn wir die Richtlinien erfüllen, dann reduzieren wir damit das technische Risiko einer Substanz. Das wirkliche Risiko aber ist das biologische. Und die Richtlinien verhindern nicht, dass ein Antikörper Nebenwirkungen während der tatsächlichen Anwendung verursacht.

Ist die Therapie ausschließlich für unheilbar kranke Patienten vorgesehen?

Ja, das ist sehr wichtig.

Sie produzieren Arzneimittel, aber Sie haben keine Möglichkeit sie anzuwenden, weil sie die Richtlinien nicht erfüllen. Wie geht es jetzt weiter?

Meine Freunde und Mitarbeiter haben inzwischen fünf oder sechs Jahre darauf verwendet, Antikörper herzustellen. Unser Team besteht aus 20 Leuten, 19 davon beschäftigen sich mit der Einhaltung von Regularien. Nur ein einziger arbeitet tatsächlich daran, unser medizinisches Produkt zu verbessern. Ich finde: Hier läuft etwas falsch.

Eine Möglichkeit wäre eine Gesetzesänderung, um Universitäten oder akademischen Institutionen die Behandlung von unheilbar Kranken mit neuartigen Medikamenten zu erlauben – Medikamente, die, sagen wir, die Richtlinien nicht zu 100 Prozent erfüllen. Natürlich muss es bestimmte Standards geben. Aber eben nicht das volle Programm. Noch einmal: Mein Vorschlag gilt nur für unheilbar Kranke in einem akademischen Rahmen.

Die andere Option wäre ein intelligentes Finanzierungssystem, denn es gibt kaum Finanzierungsmöglichkeiten in unserem Bereich. Wenn das Gesetz uns die Einhaltung bestimmter Richtlinien vorschreibt, dann brauchen wir eine adäquate Finanzierung.

Können Sie nicht einfach die Produktion der Antikörper an pharmazeutische Unternehmen auslagern?

Der Grund, warum Medikamente fast ausschließlich von der Pharmaindustrie hergestellt werden, ist die pharmazeutische Produktion. Die können wir nicht leisten, weil sie viel Geld kostet und es keinerlei Förderung dafür gibt.

Ich finde nicht, dass wir die Entwicklung von Medikamenten ausschließlich der Pharmaindustrie überlassen sollten. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin dankbar für die Medikamente, die durch sie zur Verfügung stehen. Aber – so viel muss gesagt sein – pharmazeutische Unternehmen arbeiten nicht nur nach wissenschaftlichen Kriterien, wenn es um die Entwicklung bestimmter Produkte geht. Viele andere Faktoren beeinflussen diese Entscheidungen.

Was würden sie Menschen antworten, die sagen: Natürlich wollen die Universitäten mit auf diesen Zug aufspringen. Auf dem Feld der Krebsforschung gibt es Millionen zu verdienen. Ist es eine reale Gefahr, dass Universitäten nur noch das Geld sehen und nicht mehr den wissenschaftlichen Anspruch?

Lassen Sie mich die Frage umformulieren. Natürlich besteht dieses Risiko, aber was wäre der Unterschied zur Pharmaindustrie? Was wäre schlechter als die Pharmaindustrie? Die Pharmaindustrie will vor allem eines: Profit. Sie mag Interesse daran haben, etwas "Gutes" für den Patienten zu tun, und ich glaube, dass dort Menschen arbeiten, die genau dieses Ziel anstreben. Aber das grundlegende Bestreben der Pharmaindustrie ist nun mal Profit. Die Universitäten könnten ebenfalls nach Profit streben, wenn man die Richtlinien lockert. Aber sie wären wenigstens nicht schlimmer als die Pharmaindustrie, oder?

Professor Helmut Salih ist geschäftsführender Oberarzt und Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie/Internistische Onkologie am Universitätsklinikum Tübingen. Von 1999 bis 2000 arbeitete er in der Abteilung Krebsforschung des BMS Institut für pharmazeutische Forschung in den USA.