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Der Kampf einer kurdischen Bürgermeisterin

Ulrike Mast-Kirschning7. Dezember 2005

Gleichberechtigung und Partizipation von Frauen an der politischen Macht - damit sieht es nach wie vor schlecht aus in der Türkei. Trotzdem: Şükran Aydın hat es in ihrer Stadt bis ganz nach oben geschafft.

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Zeichen der Stärke: Kurdische Frauen demonstrieren in IstanbulBild: AP

In den Kommunen bewerben sich bei Wahlen zwar mehr und mehr Frauen um die über 3000 Mandate landesweit, aber nur insgesamt 18 haben es gegenwärtig zu einem Sitz im Gemeinderat gebracht. In dem kleinen Städtchen Bismil, im Osten der Türkei, nicht weit entfernt von der irakischen Grenze, hat es eine Frau gleich bis ganz nach oben geschafft: Nicht einmal von der eigenen prokurdischen DHP Partei als Spitzenkandidatin aufgestellt, setzte sich Şükran Aydın bei den Kommunalwahlen im vergangen Jahr gegen alle männlichen Bewerber durch: "Mich hat das Volk gewählt, nicht meine Partei. Ich wurde überwiegend mit den Stimmen der Frauen gewählt", sagt Aydın.

Zum Amtsantritt bekam Şükran Aydın über 170 Blumensträuße - überwiegend von Frauen, wie sie betont. Auch das gibt ihr Kraft, die verschuldete Gemeinde aus den roten Zahlen zu bringen. Aber die eigentliche Energie holt sie aus sich selbst.

Starke Frauen

Demokratie und Frieden will sie in ihrer Gemeinde erreichen - einen Ort schaffen, wo Kinder keine Gewalt erfahren und nicht getötet werden, wo die Menschen in Respekt und guter Nachbarschaft zusammenleben. Dber nicht nur dort. Sie ist überzeugt: Dafür braucht es vor allem die Stärkung der Frauen, sagt die Politikerin.

Über ihr eigenes Leben zu reden fällt ihr schwerer. Nachdem ihr Mann im Sommer 1991 von der Polizei abgeholt wurde, hat sie ihn nie wieder gesehen. Wenige Tage nach seiner Verhaftung fand man ihn - ermordet, von Spuren schwerster Folter gezeichnet. Das Begräbnis des charismatischen kurdischen Politikers Vedat Aydın am 10. Juli 1991 in Diyarbakir entwickelte sich zur großen Demonstration. Die Polizei griff erneut ein, mindestens drei weitere Menschen kamen dabei ums Leben. 116 Menschen, erzählt die heute 46-Jährige, wurden darüber hinaus verhaftet und sind bis heute verschwunden.

Verfolgung und Überwachung

Danach wurde auch sie das Ziel polizeilicher Maßnahmen. Immer wieder wurde sie auf offener Straße verhaftet, in Einzelhaft eingeschüchtert und unter enormen psychischen Druck gesetzt, mit Vergewaltigung bedroht. "Sie wollten, dass ich die Stadt verlasse, dann haben sie versucht mich zu zerstören", sagt sie. Irgendwann hätte das nachgelassen - trotzdem sei die Bedrohung und Überwachung auch weiterhin allgegenwärtig: "Ich werde verfolgt, deshalb versuche ich nicht allein zu sein, es sind immer ein paar Leute bei mir. Ich habe mich daran gewöhnt, ich habe keine Angst mehr davor, auch wenn sie mich verhaften wollen", sagt Aydın. "Man muss sich damit abfinden, wenn man diesen Job tut." So werde beispielsweise ihr Telefon abgehört. Sie versuche die Mithörer dann bewusst in die Irre zu leiten. "Wenn ich unterwegs bin in Richtung Diyarbakir, erzähle ich dem Gesprächspartner, ich bin auf dem Weg in andere Städte, zum Beispiel nach Mardin oder Batman."

Fortbildungen für Frauen

Im Vorzimmer der Bürgermeisterin von Bismil gibt es keine Sekretärin, stattdessen vier offenbar gut trainierte Männer. Sie tragen dafür Sorge, dass nur erwünschte Besucher den Schreibtisch ihrer Chefin erreichen können. Dort plant sie Projekte, die vor allem die Frauen nach vorne bringen sollen.

So befinden sich jetzt 100 junge Frauen in einer neuen Fortbildungsmaßnahme im Textilbereich. Sie machen eine Art Ausbildung zur Schneiderin. Im Rahmen eines anderen Projekts sollen mehr als 200 Frauen zu Teppichweberinnen ausgebildet werden. "Wir bemühen uns besonders um die Beschäftigung der Frauen, aber konkret können wir immer noch zu wenig machen", sagt Aydın.

Mit dem Leben "abgeschlossen"

Ein Leben in Würde statt Armut und Arbeitslosigkeit - daran will sie arbeiten für die Menschen in Bismil. Die Würde ihrer eigenen Kinder hat sie nicht immer schützen können. Nicht nur ihr, sondern auch dem ältesten Sohn wurden immer wieder die Fotos des geschundenen Vaters vorgelegt, ihm wurden seine Schreie unter der Folter auf Tonband vorgespielt. Der Sohn hielt es nicht mehr aus, er verließ die Türkei und floh in die Schweiz.

Ungeachtet dessen, dass sie selbst seit 15 Jahren das Opfer der türkischen Politik ist, engagiert sich Şükran Aydın weiter für die Bürger in Bismil. "Ich habe schon mit dem Leben abgeschlossen" sagt sie, "deshalb mache ich weiter".