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Politik

Der IS muss politisch besiegt werden

23. Februar 2017

Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) hat zahlreiche Niederlagen erlitten. Bezwungen ist sie aber noch lange nicht, warnen arabische Autoren. Für einen erfolgreichen Kampf reichten militärische Mittel nicht aus.

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Irak startet Anti-IS-Offensive in West-Mossul
Bild: Getty Images/AFP/A. Al-Rubaye

Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) dürfte absehbar aus Mossul vertrieben sein. Die internationale, vom Irak angeführte Koalition hat bereits den Ostteil der Stadt befreit. Jetzt schickt sie sich an, den Westteil von den Dschihadisten zurückzuerobern. Der erfolgreiche Abschluss des Unternehmens gilt als eine Frage der Zeit.

Fraglich ist, wie die Zukunft des IS nach dem Verlust seiner bedeutendsten Hochburg im Irak aussehen wird. Dass er eine Zukunft hat, steht gemäß einer Umfrage des (im katarischen Doha ansässigen) Arab Center for Research and Policy Studies außer Zweifel. Die Studienautoren fragten in neun bedeutenden arabischen Ländern - darunter Tunesien, Ägypten und Saudi-Arabien - nach der Akzeptanz des IS. Einbezogen wurden zudem die Antworten von 900 syrischen Flüchtlingen.

Demnach begrüßen 59 Prozent der Befragten die Militärschläge der US-geführten internationalen Koalition gegen den IS. 37 Prozent der Befragten sind allerdings dagegen. Fast drei Viertel - 72 Prozent - haben vom IS einen negativen Eindruck - aber immerhin elf Prozent einen positiven oder sogar sehr positiven.

Die postfaktische Welt des IS

Diese elf Prozent Zustimmung, die der IS im Nahen Osten und Nordafrika genießt, könnten ihm langfristig das Überleben sichern. Zum einen könnten die Sympathisanten bereit sein, die IS-Kämpfer nach ihrer Flucht aus Mossul und anderen befreiten Orten in irgendeiner Form zu unterstützen. Vor allem aber könnten sie zu den Ersten zählen, die sich dem IS auch als Kämpfer anschließen.

Irak | video still des mutmaßlichen IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi
Herr dschihadistischer Idyllen: Der "Kalif" des IS, Abu Bakr al-Baghdadi Bild: REUTERS

Dass der IS trotz aller Niederlagen noch eine Zukunft hat, legt eine Studie des in London ansässigen King's College nahe. Es sei zu früh, sich auf eine Welt ohne den IS einzustellen, warnen die Autoren. Notfalls würden sich die Dschihadisten eine Zeit lang aus der realen in die virtuelle Welt zurückziehen und ihren Kampf von dort aus führen.

Die Welt des Internets könnte künftig zur wesentlichen Rekrutierungsbasis der radikalen Islamisten werden. Dort, so schreiben die Autoren des King's College, zeichnen die IS-Propagandisten ein hochgradig idealisiertes Bild ihrer Miliz, das mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun habe, aber gerade darum umso wirksamer sei. Wie gut diese Taktik ankommt, wissen die Strategen des IS nur zu genau. "Mediale Waffen können stärker werden als Atomwaffen", schreiben sie in einem Strategiepapier.

Das Elend der arabischen Welt

Warum begeistern sich Teile der arabischen Bevölkerung so sehr für den IS? Das Arab Center for Research and Policy Studies nennt fünf wesentliche Gründe. So leben viele Araber unter schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen. Auch die Widrigkeiten der Politik - mangelnde Beteiligungsmöglichkeiten am politischen Leben, schlechte Regierungsarbeit und fehlende politische Freiheiten - fördern den Hang zum Fundamentalismus oder gar Dschihadismus.

Irak Tikrit Kämpfe Eroberung Irakische Armee
Verkehrte IS-Welt: Schiitische Paramilitärs hängen die Flagge der Dschihadisten mit dem Kopf nach unten aufBild: Reuters/Mushtaq Muhammed

Ebenso arbeiteten die westlichen Staaten dem Fundamentalismus zu, heißt es in der Studie weiter. Dies sei etwa im Jahr 1991 der Fall gewesen. Damals verzichtete die westliche Staatengemeinschaft darauf, gegen die Absetzung der durch demokratische Wahlen in Algerien an die Macht gekommenen Islamischen Heilsfront zu protestieren. Das habe sie erhebliche Sympathien in der arabischen Welt gekostet. Auch die Auswirkungen der US-Invasion im Irak hätten radikale Ansichten in der Bevölkerung befördert.

Schwieriges Verhältnis zur Moderne

Aber auch ideologische Motive spielten und spielen beim IS und anderen islamistischen Organisationen eine große Rolle: etwa "manipulierte" heilige Quellen, wie es in der Studie heißt. Zudem bräuchten Fundamentalisten sich ihr Publikum nicht ganz neu zu erschaffen. Stattdessen nutzten sie den Umstand aus, dass viele Muslime gründlich mit ihrer Kultur verwachsen seien und damit zunächst einmal offen auf religiöse Angebote reagierten - auch dann, wenn in diesen extremistische oder abseitige Positionen formuliert würden.

IS Tunnel Terroristen Mossul Irak
Dschihadistische Unterwelten: Irakischer Polizist im IS-Tunnelsystem nach der Einnahme des Ostteils von MossulBild: Reuters/Z.Bensemra

Als weiteren Faktor für den Erfolg fundamentalistischer Weltbilder nennt die Studie ein besonderes Verhältnis weiter Bevölkerungskreise in der arabischen Welt zur Moderne. Der Radikalismus im Nahen Osten und Nordafrika nähre sich aus der Spannung zwischen Tradition und einer teils sehr rasch voranschreitenden Moderne: "So verstärkt der Radikalismus ein Weltbild, das anfänglich womöglich auf falschen Voraussetzungen beruhte, dann aber nahezu sämtliche Bereiche des Lebens prägte: Politik, Erziehung, die Rolle der Religion in der Gesellschaft und - vielleicht am grundlegendsten - die Moderne selbst."

Eine selbstzerstörerische Dynamik

Alle diese Umstände, schreibt der libanesische Historiker Georges Corm, hätten in der arabischen Welt eine "selbstzerstörerische Dynamik" entstehen lassen. Darum, so argumentiert auch der Politologe Ram Khouri auf der Website vom Al-Jazeera, werde sich die Attraktivität des IS allein mit militärischen Mitteln nicht besiegen lassen. Im Gegenteil: "Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sowohl die Unterstützer als auch die Sympathien für den IS weiter steigen werden, wenn er zwar zerschlagen wird, aber nichts getan wird, um die elenden Umstände zu verbessern, die Millionen verzweifelter Araber dazu gebracht haben, sich als letzte Rettung an den IS zu wenden."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika