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Der Homo naledi: Sensation oder nur große Show?

Johan von Mirbach11. September 2015

Die Begeisterung über die "neue Gattung Mensch" war gigantisch. Die Präsentation der Knochen in Südafrika geriet zu einer medialen Riesenschau. Da ist ein offenbar bisschen Skepsis angebracht, erfahren wir im Interview.

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Südafrika Homo Naledi Überreste neuer Menschenart entdeckt?
Bild: picture-alliance/ National Geographic/ Mark Thiessen

Schon vor zwei Jahren wurden mehrere Skelette eines unbekannten Hominiden in einer Höhle im Nordwesten von Johannesburg gefunden. Jetzt präsentierte das Wissenschaftlerteam um den Anthropologen Lee Berger seine Ergebnisse: Die Forscher versichern, eine völlig neue Menschenart entdeckt zu haben. Doch es gibt viele offene Fragen und einige Erkenntnisse sind schlichtweg falsch, versicherte uns Christoph Zollikofer, Anthropologe von der Universität Zürich, im Interview.

DW: Gehört der Homo naledi wirklich zur Gattung Mensch?

Zollikofer: Das ist eine typische Medienfrage: Gattung ist kein biologisches Konzept. Es gibt in der Natur keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Individuen, Gruppen und Gattungen. Es gibt fließende Übergänge. Man kann aber natürlich wegen der Unterscheidung alles was zweibeinig ist als Homo definieren. Wenn man sich dann aber die Hand des gefunden Fossils anschaut, dann ist das fraglich. Diese Hand ist gleichzeitig eine Greif- und eine Kletterhand. Diese Namensgebung ist gut für Schlagzeilen, aber mehr nicht.

Anthropologe Christoph Zollikofer
Bild: Christoph Zollikofer

Ist der Homo naledi denn wenigstens eine neue Art?

Genauso schlagzeilenträchtig ist die Idee, dass es eine neue Art ist. Diese Publikation ist zu 90 Prozent auf die Medien ausgerichtet und nicht auf die Wissenschaftlerkollegen. Ich nenne diese neue Spezies eine mediatische Spezies, und die ist meistens recht kurzlebig.

Kann er auch zu einer bereits entdeckten Gattung gehören?

Meine Intuition ist: Es ist ein früher Vertreter eines Homo erectus. Die Kombination der Merkmale ist eigentlich bekannt. Das ist jetzt aber auch Spekulation, da niemand das genaue biologische Alter weiß. Unter der Annahme, dass er zwei Millionen alt ist könnte man sagen dass es eine frühe Ausprägung des Homo erectus ist, also keine neue Art.

Ist er denn wenigstens unser Vorfahr?

Er ist nicht unbedingt ein direkter Vorfahr. Das ist ein metaphorischer Begriff. Er ist nicht unser direkter Urahn. Das ist auch wieder so ein Begriff für die Medien: Wenn man sagt Vorfahre dann denkt der Mann/die Frau auf der Straße: 'Von dem stamme ich ab'.

Das Gegenteil ist der Fall! Wenn man ein Fossil findet, kann man mit nahezu 100-prozentiger Sicherheit sagen, dass wir keine direkten Nachkommen sind. Aber natürlich darf man den Begriff Vorfahr im übertragenen Sinne verwenden. Das ist nicht jedem klar, dass das in der Medienmitteilung so gemeint ist.

Liegt das Skelett wirklich auf einem Urzeitfriedhof?

Das ist nur eine von mehreren Möglichkeiten, die in den Schlagzeilen bewusst gepuscht wurden. Ich finde das geradezu naiv, einen Friedhof zu postulieren. Das ist typisch menschlich, immer irgendeine Absicht zu unterstellen. Wenn wir eine Situation sehen dann suchen wir immer nach Mustern - wir denken, das muss jemand so arrangiert haben. Das sagt mehr über unsere Denkweise aus als über die Fossilien selbst. Die Biologie ist voll von unwahrscheinlichen Situationen, die man erst einmal nicht erklären kann und trotzdem sind sie da und dann ist die Verlockung groß, eine schnelle Erklärung zu finden.

Südafrika Homo Naledi Überreste neuer Menschenart entdeckt?
Bild: picture-alliance/AP Photo/Robert Clark/National Geographic, Lee Berger/University of the Witwatersrand

Und was ist mit den Knochen in der Höhle?

Wenn man sich den Fundort genauer anschaut, ist die Idee mit dem Friedhof sehr unwahrscheinlich. Überlegen Sie einmal: Laut der Publikation hat es nie einen direkten Zugang zu der Kammern gegeben. Also musste unser Urzeitmensch dort hinuntersteigen, sich über mehrere hundert Meter bei vollkommener Dunkelheit und Enge durch die Höhle zwängen und gleichzeitig die Kadaver der Artgenossen mitschleifen. Das macht schon rein praktisch überhaupt keinen Sinn.

Warum ist es so schwierig, das Alter der Knochen zu bestimmen?

Das Hauptproblem sind die Sedimente. In Höhlen ist es nicht so, dass periodisch mal ein Vulkan ausbricht, dessen Asche man datieren könnte. Ab und zu spülen Überschwemmungen alles durcheinander. Dort herrscht ein gigantisches Durcheinander wie auf einer Müllhalde. Das Gestein dort kann man auch nicht datieren, denn die Knochen liegen im lockeren Sediment. Offenbar sind sie zu alt für eine Radiokarbondatierung, also sicher älter als 50.000 Jahre. Das ist alles sehr ungünstig. Es gibt ja auch keine Beifunde in Form von Tieren. Das fehlende Alter ist einer der großen Schwachpunkte der Publikation. Die hängen dort völlig in der Luft.

Wie bewerten Sie die Erkenntnisse ihrer Kollegen grundsätzlich?

Ich hätte mir mehr Zeit gelassen mit so einer Publikation. Wir hatten einmal einen Fund in Georgien. Bis zur Publikation sind sieben Jahre vergangen. Wir haben einige Dinge schlicht nicht verstanden und jahrelang daran gearbeitet unsere Erkenntnisse zu verifizieren. Und natürlich gab es auch die Diskussion: 'Sollen wir den jetzt Homo georgicus nennen?' Das wäre eine super Schlagzeile geworden. Aber es trägt nicht zur wissenschaftlichen Diskussion bei.