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Rehns Schleudersitz

20. September 2006

Den undankbarsten Job in der EU-Spitze hat derzeit der Erweiterungskommissar Olli Rehn. Er muss im Herbst eine ganze Reihe von Empfehlungen zu Beitragskandidaten abgeben und sitzt dabei zwischen allen Stühlen.

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Grafik: Kolumne fern.schreiber Brüssel

Den Sommer über hat die Generaldirektion Erweiterung durchgearbeitet. Der sonst in Brüssel übliche Sommerschlaf fiel weitgehend aus. Nächsten Dienstag ist der Bericht zu den Beitrittsländern Rumänien und Bulgarien fällig. Olli Rehn hat sich dazu entschlossen, trotz schwerer Bedenken wegen der mangelnden Korruptionsbekämpfung und fehlender Verwaltungsstrukturen zur Auszahlung von EU-Geldern, den Beitritt zum 01. Januar 2007 zu empfehlen. Die beiden Länder sind nicht optimal vorbereitet, vor allzu konkreten und harten Auflagen schreckt der stille Finne Rehn aber zurück. Das will er lieber den Außenministern der Mitgliedsstaaten überlassen.

Grafik für Kommentar oder Fernschreiber-Kolumne,

Die Verfechter eines harten Kurses gegenüber den Balkanstaaten üben jetzt schon Kritik, obwohl das Werk noch gar nicht gedruckt ist. Hätte Olli Rehn die eigentlich fällige Notbremse gezogen, würden Rumänien und Bulgarien erst 2008 beitreten. Dann aber auf jeden Fall, denn dieses Beitrittsdatum ist ihnen vertraglich zugesichert. Der Reformeifer wäre vollends zum Erliegen gekommen, in Bulgarien und Rumänien hätte ein Nein aus Brüssel wohl innenpolitische Erdbeben ausgelöst.

Achselzucken bei den Kommissionsbeamten.

Richtig ratlos steht der Erweiterungschef dem Problem Türkei und Zypern gegenüber. Zwar haben die formellen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei begonnen, aber seit einem Jahr mauert die türkische Regierunge in Sachen Anerkennung des EU-Mitgliedes Zypern, dessen Nordteil die Türkei besetzt hält. Sollten es die türkischen Behörden bis Ende des Jahres nicht zulassen, dass zyprische Schiffe türkische Häfen anlaufen und zyprische Flugzeuge in der Türkei landen, müsste die EU die Verhandlungen mit der Türkei als Strafe eigentlich aussetzen. Vor diesem drastischen Schritt, der die Europamüdigkeit in der Türkei noch erhöhen würde, schreckt Olli Rehn noch zurück. Um sich und der türkischen Regierung mehr Zeit zu geben, hat der Erweiterungskommissar die Veröffentlichung des nächsten Türkei-Berichts erst einmal um zwei Wochen auf den 8. November verschoben. Ob das ausreicht, ist fraglich.

Rehns Kalkül

Angeblich bastelt Olli Rehn an einer Kompromissformel, die es erlaubt, dass unliebsame Streitthema bis nach den Wahlen in der Türkei irgendwann 2007 ruhen zu lassen. Die Türkei-Freunde in der EU finden das gut. Die EU-Mitgliedsländer, die dem Türkeibeitritt eher skeptisch gegenüberstehen (Frankreich, Deutschland, Österreich), werfen Olli Rehn zu große Nachsichtigkeit vor. Wie er sich auch entscheiden wird, er wird viel Prügel einstecken müssen. Von einem drohenden Zusammenprall zweier Züge, spricht Olli Rehn in diesem Zusammenhang gerne.

Und da sind da auch noch die fälligen Fortschrittsberichte für das Beitrittsland Kroatien und die übrigen Kandidatenländer auf dem Balkan. Die sollten eigentlich auch nicht zu milde ausfallen, um den Reformwillen zu stärken. Wenn man aber Rumänen und Bulgaren 2007 hereinlässt, könnten die Balkanländer ebenfalls darauf pochen, dass man es mit Korruptionsbekämpfung und den Justizreformen ja nun so ernst auch nicht nehmen muss. Also schließt sich der Kreis und Olli Rehn hat einen Job, um den ihn in diesen Tagen in Brüssel niemand beneidet. (Bernd Riegert, Brüssel)

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