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Der Handlungsdruck wächst

Rolf Wenkel15. April 2003

Die sechs führenden deutschen Wirtschaftsinstitute haben am Dienstag (15.4.) ihr gemeinsames Frühjahrsgutachten vorgelegt. Sie haben ihre eigene Herbstprognose deutlich nach unten revidiert. Rolf Wenkel kommentiert.

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Die deutsche Wirtschaft wird auch nach einem raschen Ende des Irak-Krieges und trotz sinkender Ölpreise nur verhalten wachsen. Die Institute rechnen mit einem Wachstum von 0,5 Prozent in diesem und 1,8 Prozent im nächsten Jahr. Vor einem halben Jahr hatten sie noch ein Wachstum von 1,4 Prozent in diesem und 2,25 Prozent im nächsten Jahr vorausgesagt.

Was die führenden deutschen Wirtschaftsforscher der Bundesregierung vorgelegt haben, wird den Druck auf Kanzler Gerhard Schröder, Finanzminister Hans Eichel und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement gleich in mehrfacher Hinsicht erhöhen. Eher nebensächlich scheint auf den ersten Blick, dass Wirtschaftsminister Clement nun unter Druck gerät, seine offizielle Wachstumsprognose von einem Prozent zu revidieren. An diese Prognose hat seit der Jahreswende ohnehin niemand mehr geglaubt - man könnte dies als typischen Regierungsoptimismus abtun und zur Tagesordnung übergehen.

Doch die Sache hat einen kleinen Haken: Was die Regierung offiziell an Wachstum für möglich hält, ist zugleich auch Grundlage für die Schätzung der Steuereinnahmen und für die Beschäftigung. Und da macht ein Unterschied von einem halben Prozentpunkt sehr viel aus.

Sollte die Wirtschaft in diesem Jahr tatsächlich weniger als ein Prozent wachsen - wovon übrigens auch die EU-Kommission und der Internationale Währungsfonds ausgehen - dann dürften die Steuereinnahmen weit hinter den Planungen von Bundesfinanzminister Hans Eichel zurückbleiben. Schon durch den jüngsten Steuerkompromiss, in dem die Regierung in der Länderkammer nicht alle Pläne durchsetzen konnte, werden die Einnahmen voraussichtlich um gut zehn Milliarden Euro hinter den Planungen zurückbleiben.

Damit gerät die Finanzpolitik von Hans Eichel unter erheblichen Konsolidierungsdruck. Und er gerät in ein Dilemma. Die Einnahmen kann er nicht erhöhen, denn schon jetzt hat die Steuerpolitik, wie die Institute es ausdrücken, eine "restriktive", sprich konjunkturdämpfende Wirkung. Bleibt die Ausgabenseite. Doch auch hier warnen die Institute zu recht, "ein Sparkurs darf nicht zu einer Abnahme wachstumsfördernder öffentlicher Investitionen führen". Schon jetzt aber stehen die öffentlichen Haushalte, vor allem die Kommunen, vor dem Problem, dass sie nicht genug Investitionen finanzieren können, vor allem in Schulen und Bildung, also in die Voraussetzungen für das Wachstum von morgen.

Bleibt nur ein Weg: Mehr Schulden machen. So ist es kein Wunder, dass die Institute der Regierung in diesem Jahr ein abermaliges, klares Verfehlen der Maastrichter Defizit- Kriterien voraussagen. Die Grenze für die Neuverschuldung nach den EU-Stabilitätskriterien liegt bekanntlich bei drei Prozent des jährlichen Bruttoinlands-Produkts. Schon im vergangenen Jahr wurde sie überschritten, und auch diesmal rechnen die Institute mit einer Quote von 3,4 Prozent.

Auch die Beschäftigung wird weiter sinken und damit nicht nur dem Fiskus, sondern auch den Sozialversicherungen weniger Geld in die Kassen spülen. In Jahresdurchschnitt erwarten die Institute 4,45 Millionen Arbeitslose in diesem und sogar 4,5 Millionen im nächsten Jahr.

Trübe Aussichten also. Und was noch schlimmer ist: Wer unter Druck gerät, neigt dazu, Fehler zu machen. Mitte Mai werden die Steuerschätzer dem Finanzminster neue, revidierte Schätzungen liefern, und es ist zu befürchten, dass der Finanzminister dann hektisch ein neues Sparpaket schnürt - was die Binnennachfrage nur noch weiter dämpfen kann.

Vielleicht sollte die Regierung den Mut aufbringen, in diesem Jahr bewusst auf den Versuch zu verzichten, die EU-Stabilitätskriterien einzuhalten. Sie sollte nicht nur bei den angekündigten Steuerentlastungen bleiben, sondern auch weitere Steuererhöhungen ausschließen, auch um den Preis, mehr Schulden machen zu müssen. So könnte vielleicht das Wachstum im nächsten Jahr etwas höher ausfallen als die von den Instituten vorausgesagten 1,8 Prozent. Dann könnte man sich im nächsten Jahr unter besseren Voraussetzungen an eine Hauhaltskonsolidierung machen und vielleicht sogar 2006 einen ausgeglichenen Haushalt aufstellen - denn davon träumt Hans Eichel immer noch.