Der "große Bach"
4. März 2014Wenn Musikkenner in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vom "großen Bach" sprachen, meinten sie nicht den berühmten Thomaskantor, den 1750 verstorbenen Johann Sebastian, sondern seinen zweitältesten Sohn, Carl Philipp Emanuel Bach, der vor 300 Jahren, am 8. März 1714 geboren wurde. Unter den vier Bach-Söhnen, die Berufsmusiker wurden, galt er als ein Avantgardist, als Revolutionär, der den musikalischen "Sturm und Drang", die neue Epoche der "Empfindsamkeit" eingeläutet hat.
"Seine ganze Seele ist dabei in Arbeit. Seele, Ausdruck, Rührung, das hat Bach erst dem Clavier gegeben", so beschrieb der Musikschriftsteller Johann Friedrich Reichardt das Klavierspiel Carl Philipp Emanuel Bachs. Sogar für die nachfolgende Musikergeneration der Wiener Klassiker blieb er ein Idol. So soll Mozart gesagt haben: "Er ist der Vater, wir sind die Bub'n". Und Beethoven meinte 1809 in einem Brief an seinen Verleger: "Von Emanuel Bachs Klavierwerken habe ich nur einige Sachen, und doch müssen einige jedem wahren Künstler gewiß nicht allein zum hohen Genuß sondern auch zum Studium dienen."
Unterricht beim Vater
Carl Philipp Emanuel Bach wurde am 8. März 1714 in Weimar geboren. Taufpate war ein prominenter Freund seines Vaters: Georg Philipp Telemann.Wie bei allen seinen Kindern hat Vater Bach die Musikausbildung seines Sohnes selbst übernommen. Dadurch hätte er das "besondre Glück" gehabt, schreibt Carl Philipp Emanuel in seiner Autobiographie, "das Vortreflichste von aller Art von Musik zu hören und sehr viele Bekanntschaften mit Meistern vom ersten Range zu machen, und zum Theil ihre Freundschaft zu erhalten."
"Neumodischer Tand"
1738 erhielt Carl Philipp Emanuel Bach ein verlockendes Angebot aus Berlin: Kronprinz Friedrich - der spätere Preußenkönig Friedrich II. - wollte "den Bach" als Cembalisten für seine Hofkapelle engagieren. Vater Bach warnte den Sohn zwar vor der Oberflächlichkeit der Musik am preußischen Hof, "das ist Berliner Blau, das verschießt!" meinte er, doch der Bach-Sohn wollte eigene Wege gehen, wechselte nach Berlin - und blieb 30 Jahre.
Am Hof lernte er die neuesten Musikstile der Zeit kennen. Aber der Dienst langweilte ihn zunehmend, denn seine Aufgabe bestand hauptsächlich in der Begleitung des Flöte spielenden Königs. Von den kühnen und leidenschaftlichen Kompositionen für Tasteninstrumente, derentwegen der Carl Philipp Emanuel damals schon in ganz Deutschland gerühmt wurde, wollte der königliche Dienstherr nichts wissen, das war in seinen Ohren "neumodischer Tand". Dieser "Tand" fand allerdings rasch Fans in bürgerlichen Musizier- und Gesprächskreisen. Und: Eine radikalere Abkehr vom gelehrten Stil seines Vaters Johann Sebastian wäre schlicht unvorstellbar.
Mehrfach bat Carl Philipp Emanuel um Entlassung aus preußischen Diensten, doch Friedrich der Große wollte auf seinen "Mann am Clavier" nicht verzichten. Erst 1768 ließ Friedrich seinen Cembalisten ziehen, als der Rat der Stadt Hamburg Bach den Posten des Musikdirektors der fünf großen Stadtkirchen anbot - als Nachfolger seines Patenonkels Georg Philipp Telemann, der im Jahr zuvor verstorben war.
Konzertveranstalter in Hamburg
Nun hatte Bach Kirchenmusik und Festmusiken zu feierlichen Anlässen zu liefern. So entstanden in dieser Zeit vor allem Oratorien und Symphonien. Endlich fühlte Carl Philipp Emanuel Bach sich auch als freier Künstler. Er veranstaltete eigene Konzerte und - wie zuvor sein Patenonkel Telemann - wurde ein eigenständiger Geschäftsmann, der seine Werke im Eigenverlag vermarktete.
Als Bach 1779 seine erste Sammlung der "Clavier-Stücke für Kenner und Liebhaber" veröffentlichte, schrieb der "Hamburger Correspondent" eine enthusiastische Kritik: "Seine Erfindungskraft scheint unbegrenzt zu sein. Jede seiner Sonaten ist ein neues Original. Und wenn man nun diese Meisterstücke von Bach selbst spielen hört! O da steht man und weiß nicht, ob man den Spieler oder den Komponisten mehr bewundern soll."
Delikatesse und Feuer
Ähnlich urteilte auch der englische Musikreisende Charles Burney, als er ihn 1772 in Hamburg einen Besuch abstattete: "Herr Bach war zu verbindlich, sich an sein Lieblingsinstrument, ein Silbermannisches Clavier zu setzen, auf welchem er drei oder viere von seinen besten schwersten Kompositions mit der Delikatesse, mit der Precision und mit dem Feuer spielte, wegen welcher er unter seinen Landsleuten mit Recht so berühmt ist."
Aus der Seele spielen
20 Jahre wirkte Carl Philipp Emanuel in Hamburg und wurde zum bahnbrechenden Exponenten der musikalischen "Empfindsamkeit". Dieser Stil, der von der Aufklärung geprägt war, war voller Exzentrik, plötzliche Stimmungskontraste und lyrische Melodiebögen. In seinen eigenen Worten beschrieb Bach seine Ästhetik so:
Mich deucht, die Musik müsse vornemlich das Herz rühren. Zum wahren Musizieren gehört eine Freyheit, die alles sclavische und maschinenmäßige ausschliesset. Aus der Seele muss man spielen, und nicht wie ein abgerichteter Vogel.“
Wichtige Hinweise auf seine Musikanschauung liefert auch seine Klavierschule "Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen". Das Buch war schon zu seinen Lebzeiten ein Renner. In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde es zur wichtigsten Informationsquelle für die Wiederentdeckung der Alten Musik und die historische Aufführungspraxis.
Wie innovativ Carl Philipp Emanuel Bach als Lehrer, Komponist und Pianist tatsächlich war, das hat der Dichter und Komponist Christian Friedrich Daniel Schubart schon 1775 erkannt: "Bach führt die Clavieristen an, wie Klopstock die Dichter. Seine Setz- und Spielart ist gleich unnachahmlich: Unerschöpflich in melodischen Sätzen, voll Tiefsinn in harmonischen Gängen. Er macht nicht nur für unsere, sondern auch für die Folgezeit Epoche."
Der Jubilar
Um den 300. Geburtstag von Carl Philipp Emanuel Bach gebührend zu feiern, haben sich die Bach-Städte Hamburg, Berlin, Potsdam, Frankfurt (Oder), Leipzig und Weimar zusammengetan und das Städtenetzwerk "C.P.E. Bach 1714" gegründet. Jede Stadt bietet im Jubiläumsjahr so ein umfangreiches ein Programm mit Konzerten, Vorträgen und Ausstellungen rund um Bachs Leben und sein kompositorisches Schaffen.