Der gläserne Fußballprofi
6. Juli 2009So manch ein Fußballer ist ein Schlitzohr. Kaum guckt der Trainer, schon wird der Sprint angezogen, gegrätscht und gekämpft. Guckt er nicht, reicht auch der Schlendergang. Diese Zeiten sind – zumindest auf Profiebene – vorbei. Fernsehkameras überwachen jeden Schritt, jede Geste und Mikrofone jedes Wort. Und es könnte für manch einen Spieler bald noch schlimmer kommen. Die Top-Clubs in Europa nutzen sie bereits – eine Fußball-Analyse-Software. Acht wärmeempfindliche Kameras unter dem Stadiondach scannen das Spielfeld und zeichnen jede Bewegung auf.
Auswechslungen wissenschaftlich begründen
"Mathematische Formeln verfolgen durch eine Software den kompletten Spielverlauf und detektieren jede Bewegung, jede Ballabgabe, jede Ballannahme, jeden Fehlpass, jede denkbare Aktion und ordnen sie dem jeweiligen Spieler zu", erklärt Gottfried Hermeyer. Er ist Kurator des Heinz-Nixdorf Museums in Paderborn und betreut die Ausstellung Computer und Sport. Hermeyer steht vor einem Bildschirm auf dem die Auswertung des Champions-League-Finals zwischen dem FC Barcelona und Arsenal London aus dem Jahre 2006 abgespielt wird. Runde Punkte mit Nummern huschen über den Platz. "Jeder Punkt stellt einen Spieler da", sagt Hermeyer.
Am Bildrand ist das Profil von Ronaldinho eingeblendet. Es läuft die 23. Minute und der Brasilianer ist noch keinen Meter gesprintet – sagt die Software. Ihren mathematischen Augen entgeht nichts. Der Fußballer wird zum gläsernen Profi.
Nach einem Spiel können, in grafischer und tabellarischer Darstellung, exakte Laufprofile für jeden einzelnen Spieler erstellt werden. "Der subjektive Eindruck wird durch objektive Zahlen ersetzt", schwärmt Hermeyer. Wer hat wie oft mit links oder mit rechts geschossen? Wie lange halten die Spieler den Ball? Nichts bleibt mehr verborgen. Damit aber nicht genug. Der Trainer muss sich nicht damit begnügen, die Daten erst nach der Partie zu erhalten, er kann auch während des Spiels seinen Kollegen Laptop, um Rat bitten und eine Auswechslung wissenschaftlich begründen. "Elektroden im T-Shirt nehmen physiologische Werte auf und leiten sie drahtlos per Funk weiter", erklärt Tim Meier, Arzt des Deutschen Fußballbundes beim Besuch der Ausstellung.
"Daten allein bringen es nicht"
Die Verknüpfung von intelligenter Sportkleidung und videogestützter Analyse des Spielgeschehens ermöglicht es, die Anstrengung eines Spielers in jeder Situation feststellen zu können. Der Trainer kann also den Sprint seines Spielers sehen und gleichzeitig die Herz-Kreislaufreaktion, also den Puls ablesen. So erkennt er an der Seitenlinie anhand objektiver Daten, wer müde ist und wer noch fit ist.
Insgesamt kann die Fußball-Analyse-Software rund 2500 Ereignisse pro Spiel erfassen. Der neue Co-Trainer Laptop nimmt also keinem Menschen den Job weg. "Es entsteht eine sehr große Datenmenge.
Der arme Trainer, der hinterher mit dieser Datenmenge umgehen muss, der braucht Hilfestellung und Anleitung, damit er weiß, welche Daten wichtig sind und welche nicht so wichtig sind", sagt Joachim Mester, Professor für Trainingswissenschaften an der Deutschen Sporthochschule in Köln. "Das geht wirklich nur über eine vernünftige, solide Arbeit. Die Daten alleine, die bringen es nicht."
Die Trainerstäbe werden also eher größer, da es jede Menge Daten auszuwerten gibt, aus denen die richtigen Schlüsse gezogen werden müssen. Michael Hermeyer, der Kurator der Ausstellung Computer und Sport in Paderborn, schätzt, dass rund ein Drittel der Bundesligisten schon mit der Fußball-Analyse-Software arbeitet, darunter Bayern München und 1899 Hoffenheim.
Autor: Benjamin Wüst
Redaktion: Arnulf Boettcher