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"Dieser Panik-Virus ist sehr ansteckend"

Lucia Walton/fab14. Januar 2015

Der Rubel ist im freien Fall. Dazu kommen fallende Ölpreise. Die Auswirkungen auf die Bevölkerung und auf ausländische Unternehmen sind groß, erläutert der Geschäftsmann Gerhard Hessel im DW-Gespräch.

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Rubelnoten (Foto: Reuters/E. Korniyenko)
Bild: Reuters/E. Korniyenko

Deutsche Welle: Ihre Firma produziert Wasserfilter und hat ihre Hauptproduktionsstätten in Deutschland und Polen. Sie exportieren ihre Waren nach Russland. Welche Auswirkungen hat der Verfall des Rubels auf ihr Geschäft?

Gerhard Hessel: Es ist frustierend. Unsere Premiums-Filter sind sowieso recht teuer wegen der Logistik und der Steuern. Doch wenn wir jetzt den schlechten Stand des Rubels mit kalkulieren wird der Preis exorbitant. Wir befürchten, dass unsere Kunden nicht mehr bereit sind, soviel zu bezahlen - selbst wenn es sehr reiche russische Kunden sind. Ich glaube aber auch, dass das alle Premium-Produkte betrifft wie zum Beispiel Autos und Schmuck.

Sie reisen oft von Berlin nach Moskau. Haben Sie schon einen Wandel in der russischen Hauptstadt angesichts des Rubelverfalls bemerkt?

Die Leute im Supermarkt zum Beispiel staunen über die gestiegenen Preise. Viele müssen ihre Einkaufsgewohnheiten ändern oder an die neuen Realitäten anpassen. Sie werden sich diese guten Produkte, die aus dem Westen importiert werden, nicht mehr leisten können. Denn sie haben schlicht nicht mehr das Geld dafür. Für die Russen ist das Neujahrsfest die wichtigste Urlaubsreisezeit des Jahres, und da war es für viele ein großer Schock, als sie feststellten, dass sie ihre geplanten Ferienreisen ins Ausland nicht bezahlen konnten und sie stornieren mussten. Das merken auch die Reisebüros. Das ist die neue Realität.

Gerhard Hessel (Foto: privat)
Gerhard Hessel, Bestwater RussiaBild: privat

Heisst das, dass die russische Bevölkerung jetzt verstärkt heimische Produkte kaufen muss, nicht nur im Lebensmittelbereich?

Die russische Produktion ist unterentwickelt. Das weiß jeder. Und dazu kommt eine gewisse Verunsicherung, selbst bei denjenigen, die viel Geld haben. Sie fangen an zu sparen, weil sie nicht sicher sind, was die Zukunft bringt. Auf der anderen Seite sind die heimischen Produkte oft von minderwertiger Qualität. Die Menschen müssen sich also entscheiden, wieviel Geld sie für welche Produkte ausgeben wollen – das ist nicht leicht.

Es scheint, dass die Russen doppelt leiden müssen. Zum einen wegen der sinkenden Ölpreise und zum anderen durch die vom Westen verhängten Sanktionen. Glauben Sie, dass die Menschen dies als eine kurze Phase ansehen oder tatsächlich eine längere Durststrecke befürchten und vielleicht sogar darüber nachdenken, das Land zu verlassen? Droht Russland ein "Brain Drain"?

Ja und Nein. Viele Menschen machen noch eine gute Miene zum bösen Spiel, aber die Unsicherheit wächst. Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgens auf und stellen fest, Ihr Lohn ist 40 Prozent weniger wert. Das ist wahnsinnig. Dazu kommen noch die vielen Flüchtlinge aus der Ostukraine, das sind qualifizierte Leute, aber sie drücken die Gehälter zusätzlich. Dieser Zuzug von qualifiziertem Personal nach Moskau könnte auf der anderen Seite einen Brain Drain auslösen. Die Russen könnten sich überlegen, woanders, außerhalb Russlands, zu arbeiten.

Anzheigetafel für Wechselkurse (Foto: picture-alliance/dpa/Maxim Shipenkov)
Wechselkurse in Moskau Ende Dezmeber 2014Bild: picture-alliance/dpa/Maxim Shipenkov

Das wäre dann ein weiterer Schlag für die russische Wirtschaft. Als Unternehmer, der zwischen Deutschland und Russland arbeitet, was mussten Sie in ihrem Geschäft ändern?

Als erstes mussten wir uns auf die neuen Wechselkurse einstellen. Deshalb haben wir unsere Preise nicht mehr in Rubel festgelegt, sondern in Euro. In dieser schwierigen Zeit können wir es uns nicht leisten, unsere Kunden zu verlieren, wir können uns aber auch keine Verluste leisten. Wir mussten unseren Geschäftspartnern erklären, dass kein Weg an den Euro-Preisen vorbeiführt. Wir mussten ihnen auch sagen, dass wir ihnen keine Rabatte oder Bonuszahlungen einräumen können. Das ist sehr abschreckend. In diesem Premium-Segment erwarten alle Rabatte. Wir können ihnen aber lediglich guten Service versprechen.

Hat die russische Seele durch diese Entwicklung Schaden genommen? Haben die Menschen ihr Selbstvertrauen verloren?

Russland hat in den letzten 20 Jahren viele Härten erlitten. Die Menschen erinnern sich noch an die Rubelkrise 1998. Dieser Panikvirus ist sehr ansteckend. Wenn Sie die Leute vor ihrer Bank Schlange stehen sehen, dann wirkt der Virus sehr schnell, und Sie rennen auch zur Bank, um Ihr ganzes Geld abzuheben. Besonders in großen Städten haben die Menschen viel zu verlieren. Deshalb versuchen sie entweder ihr Geld in Euros umzutauschen oder wollen es zumindest bar in der Tasche haben. In kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg merken die Menschen das weniger. Sie bekommen ihren Lohn in Rubel und sie reisen wenig. Sie haben also dieses Ungleichgewicht zwischen den großen Städten, wo hohe Löhne und Gehälter gezahlt werden, und den Rest des Landes, wo der Wandel noch nicht angekommen ist.

Gerhard Wessel ist Entwicklungsdirektor bei Bestwater Russia mit Hauptsitz in Berlin.

Das Gespräch führte Lucia Walton.