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Der Euro-Schattenstaat und seine Gegner

Andreas Becker4. April 2013

In Europa wächst der Widerstand gegen den "Euro-Schattenstaat" - eine demokratisch nicht legitimierte Wirtschaftsregierung. Daran könnte die Eurozone zerbrechen.

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UNIVERSAL CITY, CA - OCTOBER 15: Darth Vader speaks onstage during Spike TV's "SCREAM 2011" awards held at Universal Studios on October 15, 2011 in Universal City, California. (Photo by Kevin Winter/Getty Images)
Darth VaderBild: Getty Images

Welcher grausame Herrscher zwingt den Griechen immer neue Sparpakete auf? Und welche dunkle Macht bricht den Widerstand der Zyprer innerhalb weniger Tage? Die Antwort: der Euro-Schattenstaat.

Schattenstaat – ein Begriff wie aus einem Fantasy-Märchen oder der Star-Wars-Saga. Doch es ist kein Verschwörungstheoretiker, der hier dunkel raunt, sondern ein bekannter Ökonom: Thomas Mayer, der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank. "Sie haben in diesem Euro-Schattenstaat eine Schattenregierung, das ist der Europäische Rat. Es gibt eine Schattenexekutive, die Eurogruppe. Und es gibt eine mobile Einsatztruppe, eine Task Force, um Disziplin durchzusetzen, wo sie gröblich verletzt wurde, das ist die Troika."

Ohne diesen Schattenstaat wäre der Euro zurzeit nicht lebensfähig, sagt Mayer. Denn es gebe nur zwei Möglichkeiten, eine Währungsunion zu organisieren. Möglichkeit 1: Die Zentralbank ist wirklich unabhängig und allein der Stabilität der Währung verpflichtet. Und die Mitgliedsstaaten sind souverän, halten sich aber an vereinbarte Regeln. Das war die ursprüngliche Idee der Europäischen Währungsunion mit den Maastrichter Stabilitätskriterien.

Gespaltenes Euro- Europa - Nord gegen Süd?

Das Ende der Unabhängigkeit

Doch an die hat sich keiner gehalten, und so bleibt nur Möglichkeit 2: Dabei ist die EZB keine unabhängige Hüterin der Währung mehr, sondern politische Akteurin. Das wurde deutlich, als sie Zypern weitere Notkredite verweigerte und die Regierung in Nikosia so zum Einlenken zwang. Und das zeigte sich auch bei der Ankündigung von EZB-Chef Mario Draghi, notfalls Staatsanleihen der Krisenländer in unbegrenzter Höhe aufzukaufen.

"Wenn sich die Krisenländer nicht erholen und ihre Wettbewerbsfähigkeit wiedergewinnen, dann werden trotz des Versprechens von Draghi die Risikoprämien steigen. Draghi muss dann irgendwann handeln – und dann wird es spannend", sagt Friedrich Sell, Wirtschaftsprofessor an der Universität der Bundeswehr in München. Spannend deshalb, weil die EZB dann soviel Geld in den Markt pumpen müsste, dass die Inflation deutlich ansteigt.

Weil also die EZB inzwischen eine politische Notenbank ist, die die Schulden ihrer Mitglieder finanziert, und weil der Euro, wie Ökonom Thomas Mayer sagt, ein Staatsschuldgeld ist, braucht die EZB für ihre Aufgabe auch einen Staat. "Wenn sie keinen Staat haben – und das ist leider im Euroland die Situation – dann können sie das dadurch umgehen, dass sie einen Schattenstaat, einen Euro-Schattenstaat konstruieren", so Mayer.

Merkel und Hitler auf einem Plakat während einer Demonstration in Athen. Auf dem Plakat steht: "Kauf keine deutschen Produkte. Widerstand gegen das Vierte Reich" EPA/ORESTIS PANAGIOTOU +++(c) dpa - Bildfunk+++
Demonstration in Athen: Auf dem Plakat steht "Widerstand gegen das Vierte Reich"Bild: picture-alliance/dpa

Wachsender Widerstand

Genau das sei im Lauf des vergangenen Jahres geschehen. Die Grundlage des Euro-Schattenstaats bilden Verträge, von denen viele Europäer noch nie etwas gehört haben. Wer kennt schon die Gesetzespakete Two-Pack und Six-Pack? Und wer weiß, worum es genau beim Fiskalpakt geht? "Dieses Netzwerk von Verträgen schränkt die nationalstaatliche Souveränität ein und erlegt den Nationalstaaten eine gewisse Disziplin auf, damit sie in einem System des Staatsschuldgeldes operieren können", sagt Mayer.

Doch der Schattenstaat und seine Regeln treffen zunehmend auf Widerstand. Die Regierung Zyperns wehrte sich lange gegen das Rettungspaket und drohte bei den Verhandlungen sogar mit der Pleite des eigenen Landes. Und in Italien wählten die Bürger zuletzt eine Regierung ab, die sie nie gewählt hatten. Für Thomas Mayer ein deutliches Zeichen: "Die italienischen Wähler haben mit Mario Monti den Vertreter des Schattenstaats abgewählt."

Inzwischen gibt es im italienischen Parlament keine Mehrheit mehr, das Land ist unregierbar. Die Arbeitslosigkeit in der Eurozone steigt, die Wirtschaft schrumpft, Proteste gegen Sparpläne sind in Griechenland, Spanien und anderen Krisenstaaten an der Tagesordnung.

Eurozone = Rubelzone?

"Jetzt haben wir ein Problem: Wir haben ein System mit Staatsschuldgeld und einer Staatszentralbank - aber der Staat funktioniert nicht", so Ökonom Thomas Mayer. "Dafür gibt es ein historisches Beispiel, das ist die Rubelzone."

Thomas Mayer, Ex-Chefvolkswirt der Deutschen Bank Foto: Peter Endig
Thomas Mayer, Ex-Chefvolkswirt der Deutschen BankBild: picture alliance/ZB

Die Rubelzone war die Währungsunion der ehemaligen Sowjetrepubliken nach dem Zusammenbruch der UdSSR. Die Mitgliedsstaaten trauten sich politisch kaum über den Weg, gleichzeitig finanzierten sie über die Zentralbank ihre Schulden. 1992 hatten die baltischen Staaten genug von der hohen Inflation und verließen die Rubelzone. Mit dem Ausstieg Russlands ein Jahr später war die post-sowjetische Währungsunion endgültig gescheitert.

"Wenn wir es nicht schaffen, die Autorität des Schattenstaats aufrechtzuerhalten, dann droht uns das Schicksal der Rubelzone", sagt Mayer. Auch deshalb habe sich Brüssel gegen Zypern durchsetzen müssen. Der drohende "Showdown" mit Italien, dem drittgrößten Land der Eurozone, könnte dagegen das Ende der Währungsunion einläuten.



Die Interviews für diesen Text wurden im Rahmen einer Veranstaltung der Akademie für Politische Bildung Tutzing geführt.