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Ex-Diktator vor Gericht

Alexander Göbel14. Januar 2008

Ein halbes Jahr lang waren die Verhandlungen vor dem UN-Tribunal für Sierra Leone gegen Liberias Ex-Diktator Taylor unterbrochen. Nun wird in Den Haag weiter verhandelt - aus Sicherheitsgründen. Eine Reportage.

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Liberias Ex-Diktator Charles Taylor in Den Haag (7.1.2008, Quelle: AP)
Der Vorwurf: Rekrutierung von Kindersoldaten, Zwangsarbeit und MordBild: AP

Ein neuer Verhandlungstag im Prozess gegen Charles Taylor – live aus Den Haag, übertragen in Saal 1 des Sondergerichts in Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones. Schon am frühen Morgen saßen mehr als 40 Besucher dicht gedrängt auf den Zuschauerbänken. Sie starren auf die vier großen Bildschirme und trauen ihren Ohren nicht, als Wamunya Sherif, einer der engsten Vertrauten von Charles Taylor, seinen früheren Chef schwer belastet. Sherif gilt als einer der Hauptzeugen der Anklage.

Schwer bewacht von zwei Sicherheitsbeamten sitzt Taylor in der zweiten Reihe, er trägt einen eleganten blauen Anzug mit weißgelber Krawatte, dazu eine getönte Brille mit Goldrand. Bei der Aussage seines früheren Ziehsohnes verzieht er keine Miene.

Charles Taylor im Gerichtssaal in Den Haag (7.1.2008, Quelle: AP)
Der Prozess wird live nach Freetown übertragenBild: picture-alliance/ dpa

Bei den Waffenlieferungen an die Rebellen der Revolutionary United Front in Sierra Leone in den 90er Jahren soll Liberias Ex-Diktator Charles Taylor selbst der wichtigste Strippenzieher gewesen sein, gewissermaßen der Pate der Rebellen. Die meisten Menschen in Sierra Leone hatten daran noch nie den geringsten Zweifel, auch nicht der 82-jährige Bob Johnson. Er lässt sich keinen Prozesstag entgehen. "Taylor ist einer derjenigen, die uns hier in Sierra Leone aufs Schlimmste haben leiden lassen". Er hat seinen Onkel verloren, in der Provinz, die Rebellen haben ihn erschossen: "Einfach so, weil er sie nicht unterstützen wollte" , erinnert er sich.

Unvorstellbare Grausamkeiten

Geschichten wie diese hört man oft in Sierra Leone. Geschichten unvorstellbarer Grausamkeiten, denen rund 120.000 Menschen zum Opfer fielen. John Abu-Kpawoh hat die Gewalt als Teenager überlebt. Heute ist er 26, studiert Umwelttechnik und gehört zur Elite seines Landes, doch vergessen kann er nicht: Bis auf seine Eltern wurde die ganze Familie getötet. Die Spuren des Krieges könne man noch heute sehen, so Abu-Kpawoh, schließlich sei der ja erst seit wenigen Jahren vorbei. "Die sichtbarsten Opfer humpeln hier in Freetown herum, es sind die Menschen, denen die Rebellen Hände oder Füße abgehackt haben. Oder die Frauen, die zum Geschlechtsverkehr mit ihren Söhnen gezwungen wurden; oder die Kindersoldaten", erklärt er. Das alles seien Dinge, die bekannt seien seit der Wahrheits- und Versöhnungskommission. "Und es ist nur folgerichtig, dass jetzt auch Mister Taylor für diese Verbrechen verantwortlich gemacht wird."

Natürlich ist Taylor nicht allein für den Krieg in Sierra Leone verantwortlich, das weiß jeder in Freetown. Aber Foday Sankoh, Rebellenführer der RUF, starb im Gefängnis und entging seinem Urteil, andere mutmaßliche Schlächter wie Johnny Paul Koroma von den Rebellen der AFRC sind untergetaucht oder wurden notgedrungen für tot erklärt. So wird der Prozess gegen Liberias Ex-Präsidenten Taylor zum Symbol – und zur Messlatte für Gerechtigkeit.

Urteil spätestens 2009

30.000 Seiten umfasst die Anklageschrift gegen Charles Taylor. Rekrutierung von Kindersoldaten, Mord, Zwangsarbeit, kurz: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Bis spätestens Ende 2009 soll das Urteil feststehen. Ob lebenslänglich oder nicht – das ist den Prozessbeobachtern in Freetown nicht so wichtig.

John Abu-Kpawoh ist zufrieden, dass mit Wamunya Sherif einer von Taylors engsten Vertrauten gegen ihn aussagt. Er selbst würde das auch tun, zu gerne würde er dem Mann in die Augen sehen, der ganz Westafrika destabilisiert hat: "Ich würde ihm gerne sagen: Sie haben die Jugend von Sierra Leone zerstört. Aber nicht nur das! Mister Taylor, Sie sind auch daran schuld, dass wir den letzten Platz auf dem Human Development Index belegen." Die Infrastruktur des Landes ist durch den Krieg total zerstört. Die Analphabetenrate ist hoch, viele Menschen hatten nie Gelegenheit, zur Schule zu gehen. Dazu kommen die Vertriebenen und die Flüchtlinge. "Und Taylor war der größte Financier dieses Krieges. Und deswegen bin ich froh, dass er vor Gericht steht."