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Der erste Defizitsünder

Martin Schrader29. Juli 2002

Zum ersten Mal hat die Europäische Union (EU) ein Verfahren gegen ein Mitgliedsland wegen eines Verstoßes gegen den Stabilitätspakt eingeleitet. Betroffen ist Portugal, das seine zulässige Neuverschuldung überschritt.

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EU-Finanzkommissar Pedro Solbes: Ernste Versäumnisse in PortugalBild: AP

Wie die portugiesische Regierung am späten Donnerstag (25. Juli 2002) mitteilte, lag das Haushaltsdefizit des Landes im vergangenen Jahr bei 4,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Es überstieg damit die maximal zulässige Grenze von 3,0 Prozent um mehr als ein Drittel. Nun droht Portugal mehr als nur ein "Blauer Brief", den das Land im Südwesten Europas – ebenso wie Deutschland – im Februar nur mit Mühe abwenden konnte.

Der EU-Finanzkommissar Pedro Solbes übte wegen der späten Bekanntgabe des hohen Defizits heftige Kritik an der portugiesischen Regierung. Er sprach in Brüssel von "ernsthaften Versäumnissen in der Erstellung der Statistiken über den Haushalt und die Verschuldung in Portugal". Die Budgetüberwachung könne nicht richtig funktionieren, wenn die EU-Mitgliedsländern den Daten über ihre Staatsfinanzen nicht äußerste Aufmerksamkeit schenkten. Mit der Einleitung des Verfahrens wolle er das "strikte und wirksame Funktionieren" des 1996 vereinbarten Stabilitäts- und Wachstumspaktes in der Eurozone gewährleisten, erklärte Solbes.

Millionen-Bußgeld unwahrscheinlich

Die EU-Kommission wird nun in den nächsten Wochen einen Bericht über Portugals Finanzsituation erstellen. Auf Basis dieses Berichts müssen die 15 EU-Finanzminister mit Mehrheit entscheiden, ob in Portugal tatsächlich ein "übermäßiges" Defizit vorliegt. Sollte der Ministerrat dieses offiziell feststellen, droht dem Land ein Bußgeld in Höhe von 380 Millionen Euro.

Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass die Mitgliedstaaten eine derartige Strenge walten lassen werden. Zu groß sind vielfach die Budgetprobleme im eigenen Land. Wie DW-WORLD aus Kreisen des Bundesfinanzministeriums erfuhr, sei es "geradezu abstrus, davon auszugehen, dass gegen Portugal eine Millionen-Strafe verhängt wird". Das Land wird also voraussichtlich mit der Bekundung seines Willens zur Besserung und klar erkennbaren Sparschritten teure Sanktionen erfolgreich abwenden können.

Probe aufs Exempel

Volkswirte warnten derweil vor schlimmen Folgen, falls die EU-Finanzminister Gnade vor Recht walten lassen sollten. "Das ist die Probe aufs Exempel, ob es die EU ernst meint mit der Stabilität von Staatsfinanzen und Währung", sagte Ralf Solveen, Volkswirt bei der Commerzbank, im Gespräch mit DW-WORLD. "Wenn die portugiesische Regierung ungeschoren davon kommt, ist das ein Zeichen, dass man mit der Ankündigung des Stabilitätspaktes bei der Einführung des Euros nur die Finanzmärkte beruhigen wollte und das Ziel disziplinierter Haushaltsführung nicht ernsthaft anvisierte." Solveen hält auch negative Auswirkungen auf den Euro für möglich, falls die EU in diesem deutlichen Fall keine Sanktionen aussprechen sollte.

Portugals Finanzministerin Manuela Ferreira Leite gab sich trotz der möglichen Sanktionen optimistisch. "Das Defizitverfahren erschreckt uns nicht, denn eine Lösung ist möglich", bekundete sie in Lissabon. Sie sei fest davon überzeugt, die Situation bereinigen zu können. In diesem Jahr sei ein Defizit von 2,8 Prozent des BIP weiter möglich. Einzelheiten über die zu treffenden Maßnahmen nannte Frau Leite aber nicht.