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Überleben, um anderen zu helfen

15. April 2010

Anwalt Alirio Uribe aus Bogotá ist ausnahmsweise in eigener Mission unterwegs: Denn Menschenrechtsverteidiger wie er müssen in Kolumbien zunehmend um ihr Leben fürchten. Uribe hofft auf Unterstützung aus Deutschland.

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Maskierter Demonstrant mit Fackel und Kreuz während eines Gedenkmarsches für Gewaltopfer in Bogotá AP Photo/Fernando Vergara
Gedenkmarsch für Opfer politischer Gewalt in BogotáBild: AP

"Normalerweise", sagt der kolumbianische Anwalt Alirio Uribe fast entschuldigend, "normalerweise beschäftigen sich Anwälte mit der Verteidigung der Rechte anderer." Doch was ist in einem Land schon normal, in dem seit mehr als einem halben Jahrhundert Bürgerkrieg herrscht und allein in den letzten acht Jahren mehr als 14.000 Zivilisten ermordet wurden. "Wenn wir jetzt eine Kampagne zu unserer eigenen Verteidigung führen müssen, zeigt das, wie schwierig die Lage ist", betont der 47-Jährige während eines Pressegesprächs, das der Verein "kolko- e.V. - Menschenrechte für Kolumbien" in Berlin organisiert hat.

Das Recht, Menschenrechte zu verteidigen

Alirio Uribe ist in Deutschland unterwegs im Auftrag der Kampagne "Für das Recht, die Menschenrechte zu verteidigen", zu der mehrere Nichtregierungsorganisationen aufgerufen haben. Im Berliner Auswärtigen Amt hat er berichtet, wie Menschenrechtsaktivisten in Kolumbien drangsaliert werden, und er hofft, dass die Deutschen das ansprechen, wenn sie demnächst den kolumbianischen Vizepräsidenten Francisco Santos zu Gast haben. Mehr Rückendeckung erwartet er von den Regierungen der Europäischen Union und deren Botschaften in Kolumbien. Die EU hat immerhin spezielle Richtlinien zum Schutz für Menschenrechtsverteidiger beschlossen.

"Offensive Geheimdienstarbeit"

Menschenrechtsanwalt Alitrio Uribe in seiner Kanzlei Foto: Anne Herrberg
Anwalt Alirio Uribe: der letzte ÜberlebendeBild: DW/ Anne Herrberg

Besonders dramatisch ist die Situation von Leuten wie Alirio Uribe, weil sie neuerdings davon ausgehen müssen, dass die Angriffe auf sie nicht nur von rechtsextremen Todesschwadronen oder Militärs kommen. Auch eine Behörde, die dem Präsidenten direkt untersteht, nämlich der Geheimdienst DAS, war daran beteiligt und ist es möglicherweise noch. Es habe ein Konzept der "offensiven Geheimdienstarbeit" gegeben, berichtet Uribe. "In den letzten Jahren gab es mehr als 70 Angriffe und Drohungen gegen unser Anwaltskollektiv, man hat sogar Personen mit bewaffneten Fahrzeugen attackiert. Einer Anwältin unseres Büros hat man eine enthauptete, blutbefleckte Puppe geschickt, mit der Drohung, ihre Tochter zu töten. Heute haben wir festgestellt, dass hinter all dem der Geheimdienst steckte."

"Informationen für den Präsidenten"

Vor reichlich einem Jahr brachten Aussagen von Ex-Geheimdienstlern die illegale Operation gegen Oppositionspolitiker, Richter, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten ans Licht. Ein Skandal im Schlepptau eines anderen Riesenskandals, nämlich der Verbindung von Politikern und ultrarechten Paramilitärs. Seit Februar läuft in Kolumbien ein Prozess gegen frühere DAS-Chefs und Geheimdienstler, die unter anderem Todeslisten erstellt und Morde in Auftrag gegeben haben sollen. Spuren führen auch in den Präsidentenpalast.

Anwalt Alirio Uribe befragte als Nebenkläger die Ex-Geheimdienstler, in wessen Auftrag E-mails, Briefe, Telefonate ausgespäht und sogar - wie in seinem eigenen Fall - Mülltonnen durchwühlt wurden. "Als ich sie fragte, für wen die Ergebnisse strategischer Geheimdienstarbeit bestimmt gewesen seien, die im Inneren des DAS erarbeitet wurden, sagten alle, diese Information sei für den Präsidenten bestimmt gewesen", berichtet Alirio Uribe, der in seiner Heimat üblicherweise eine kugelsichere Weste trägt und ein gepanzertes Fahrzeug benutzt.

Das Land der Todeslisten

Alirio Uribe hat nur den Nachnamen und den Anwaltsberuf mit dem seit acht Jahren regierenden konservativen Präsidenten Alvaro Uribe gemeinsam. Ansonsten ist er einer der prominentesten inländischen Gegenspieler des Staatsoberhauptes, dem viele in Kolumbien Verantwortung für den schmutzigen Krieg im eigenen Lande anlasten.

Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe AP Photo/Colombia Presidential Press Office, Felipe Ariza
Präsident Alvaro Uribe: Verantwortung für schmutzigen Krieg?Bild: AP

Kolumbien ist das Land der Todeslisten. Schon Mitte der 1990er Jahre entdeckte Alirio Uribe durch Zufall während eines Prozesses seinen Namen auf einer Geheimdienst-Liste von einigen Hundert angeblichen Helfern der Guerrilla ELN (Ejército de Liberación Nacional). Der Name stand auf einer Seite mit ungefähr 40 anderen Verdächtigten. Uribe hat das Blatt bis heute aufgehoben und sich kürzlich die Mühe gemacht nachzusehen, was aus den vielen Anderen geworden ist, die mit ihm auf der Liste stehen: "Ich musste feststellen - der einzige Überlebende bin ich. Das war ein ziemlicher Schock, weil es zeigt, wie die Ausspähung durch den Geheimdienst quasi die erste Phase des schmutzigen Krieges im Lande ist."

Den Bock zum Gärtner machen

Uribe, dessen Anwaltskollektiv "José Alvear Restrepo" seit Jahrzehnten Gewaltopfer vertritt, weiß, dass bisher möglicherweise seine Prominenz die beste Garantie für sein Leben war. Auf internationalen Druck hin läßt ihm die Regierung sogar speziellen Schutz angedeihen. Zuständig dafür ist: der Geheimdienst DAS. Die Regierung erwägt allerdings, den Schutz gefährdeter Personen künftig an private Sicherheitsdienste zu übertragen. Das hieße erneut, den Bock zum Gärtner zu machen, denn viele dieser Unternehmen haben enge Kontakte zur paramilitärischen Rechten.

Zu Uribes Forderungen gehört deshalb, die Schutzprogramme im Justiz- und Innenministerium zu koordinieren und Leibwächter und Fahrer auszuwählen, die keine Beziehungen zu illegalen bewaffneten Gruppen hatten. Den Präsidenten seines Landes fordert er auf, die Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidigern zu beenden. Auf die Frage, was er sich von der Kampagne erhofft, hat Uribe eine schlichte Antwort: "Überleben und wieder mehr Zeit für meine eigentliche Aufgabe als Anwalt haben." Nämlich sich um andere zu kümmern, statt um sich selbst.

Autor: Bernd Gräßler

Redaktion: Anne Herrberg