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Der Eifel-Graf: Norbert Scheuer

Katja Lückert3. März 2006

In Deutschland hat sich eine Literatur entwickelt, die Geschichten in einer bestimmten Region ansiedelt. Die Eifel ist der Schauplatz von Norbert Scheuers Erzählungen. Ein Besuch bei ihm.

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Die Eifel als Schauplatz von Scheuers ErzählungenBild: dpa - Report

Ich bin zu früh in Kall. Habe die schmale, steile Straße, an der das hübsche Haus mit den lila gestrichenen Fensterleibungen steht, schon gefunden. Um mir ein bisschen die Zeit bis zum Treffen mit Norbert Scheuer zu vertreiben, lenke ich das Auto in die verschiedenen Feldwege, die auf sein Haus zu führen. Mein Kölner Kennzeichen bleibt nicht lange unentdeckt. Man sehe ja, dass ich von auswärts komme, sagt eine Frau, über den Rand ihres runtergekurbelten Autofensters hinweg. Wen ich denn bloß suche? "Den Schriftsteller Norbert Scheuer", antworte ich. "Kennen Sie den?" "Ja", sagt die Frau. Mehr nicht.

Norbert Scheuer
Norbert ScheuerBild: Elvira Scheuer

Für den 1951 geborenen Autor ist diese Region ein Mikrokosmos, in dem sich Charaktere und Mentalitäten besonders gut studieren lassen. Die Geschichten, die dabei herauskommen sind allerdings nicht provinziell, sondern allgemeingültig und von hoher literarischer Qualität. "Ich kann natürlich jetzt nicht wirklich sagen, was die Leute denken", sagt Norbert Scheuer. "Aber ich hab' das Gefühl, die lesen das nicht. Ich find' s eigentlich auch nicht so schlecht, weil es mir doch Freiheiten lässt. Wenn ich mit dem Gefühl rumlaufen würde, jeder würde mich als Schriftsteller identifizieren, dann wär' mir das ein bisschen unangenehm."

Der Nachbar als literarischer Held

Wir gehen durch das verwinkelte Bauernhaus - besser gesagt durch die ehemaligen Stallungen, das Haupthaus war längst abgebrannt, als Norbert Scheuer mit seiner Familie in die Eifel zurückkehrte und das Haus kaufte - wegen der Kinder, sagt er. "Ich dachte, es ist viel schöner für die Kinder draußen rum zu stromern, alle Freiheiten zu besitzen, genauso, wie ich sie früher in der Eifel hatte. Dann war ich wieder hier und hab die Sachen aus der Distanz gesehen. Ich gehörte nicht mehr dazu, war aber direkt vor Ort und dann habe ich angefangen über diese Gegend direkt zu schreiben."

"Kall. Eifel" heißt Norbert Scheuers neuestes Buch, in dem er in 45 Erzählungen sein teilweise schon aus anderen Romanen und Erzählungen bekanntes Eifler Figurenkabinett vor dem Leser paradieren lässt. Den Friseur Delamont, Vicentini, einen alten Mann, der mit einem Akupunktur-Gerät durch die Gegend reist, die Wirtschaft Arimond, das Schuhgeschäft Lejeune, Braden, der im Zementwerk arbeitet, und für den es auch in seiner Freizeit nur Steine und Versteinerungen gibt und - nicht zuletzt: Bradens ewige unerfüllte Liebe namens Milli. "Und dann hat sich so ein Kosmos von Figuren entwickelt, der im Grunde unbegrenzt ausbaubar ist. Aber gleichzeitig treten damit natürlich auch Probleme auf, weil der Ort auf der einen Seite so ganz konkret ist. Man kann ihn auf der Landkarte finden, obwohl ich ja im Vorwort sage, dass man ihn nicht da finden kann, sondern ich versuche natürlich, einen universellen Ort zu beschreiben, wo sich im Grunde jeder wiederfinden kann."

Hoffnungslose Figuren

Scheuers Figuren scheinen eher unglückliche Charaktere zu sein. Nicht depressiv in einem psychoanalytischen Sinne, sondern in ihr Provinz-Dasein Geworfene ohne die wirkliche Fähigkeit über ihr Schicksal nachzudenken, geschweige denn es in die Hand zu nehmen. Fast könnte man ihnen eine gewisse Dumpfheit attestieren, wenn nicht immer wieder auch ein wenig Witz, Bauernschläue und besonders der schiere Überlebenswille aus ihnen hervorbrechen würde.

"Ich denke mir, dass die Leute hoffnungslos sind, aber die entscheidende Frage ist, was versteht man unter Hoffnung, was versteht man unter Glück? Wenn man meine Literatur liest, dann findet man keine andere Welt, keine heile Welt, sondern man findet sozusagen genau dieselben Brüche und genau das, was einem im realen Leben begegnet. Und wenn man das dann plötzlich in der Literatur liest, dann kann das so was wie eine Enttäuschung bei einem hervorrufen."

Genießer der Stille

Wir sitzen am Küchentisch, trinken Tee und öffnen der Katze das Fenster, damit sie in den Garten huschen kann. Das Meiste, was gut oder schlecht an einer Gegend sei, stamme von einem selbst, schreibt Scheuer in seinem letzten Roman mit dem Titel: "Flussabwärts". Er selbst liebt die Landschaft der Nordeifel, die Stille und die Möglichkeit in der Natur mit sich allein zu sein. "Typische Geräusche sind für mich das Rauschen der Buchenwälder, man kann das unterscheiden, ob jetzt der Wind durch einen Fichtenwald geht oder durch einen Buchenwald, oder durch ein Kornfeld. Man hört natürlich auch hier immer die Geräusche der Zivilisation mit. Irgendwo ist da eine Umgehungsstraße, dann hört man die vorbeifahrenden Autos oder Windkrafträder, wenn man spazieren geht. Aber es ist nicht so dieses dauernde Grundrauschen, das man in der Stadt hat."

In Scheuers Texten hört der Leser immer wieder den ohrenbetäubenden Lärm des Zementwerks Lafarge, des größten Arbeitgebers der Region, in dem viele Menschen aus Kall und den umliegenden Dörfern täglich arbeiten. Sie leiden unter der Monotonie der Arbeit, dem Staub und dem Krach der Zementmühlen. Aber wer ins Zementwerk geht, muss nicht pendeln, nach Euskirchen oder in das eine Stunde entfernte Köln. Auch das ist ein kleines Glück für Viele. "Eigentlich kommt es nur darauf an, irgendwie mit dem Leben fertig zu werden. Man muss mit den Gegebenheiten, in denen man lebt, einfach irgendwie zurechtkommen."