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Der Durchsetzer

Volker Wagener6. April 2014

Er hat Deutschland reformiert und wurde dafür angefeindet. Und er sagte Nein zum Irakfeldzug der USA, was ihm Lob einbrachte. Gerhard Schröder, sieben Jahre Bundeskanzler, wird 70 und bleibt umstritten.

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Gerhard Schröder 2005 auf der IAA Frankfurt - Foto: Uwe Zucchi (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Er hatte immer schon etwas Irritierendes. Zum Visionär, wie Willy Brandt einer war, taugte Gerhard Schröder nicht. Dafür hatte er sich zu früh vom Weltverbesserer zum Realpolitiker gehäutet. Er habe die Revolution, die er als Jungsozialist noch plante, als Kanzler verhindert, kalauert er noch heute gerne bei öffentlichen Veranstaltungen. Und eine auf Kompetenz beruhende Autorität wie Helmut Schmidt konnte er auch nicht vorweisen. Da war Schröder einfach nicht Spezialist genug. Aber durchsetzen konnte sich der dritte sozialdemokratische Bundeskanzler. Und damit unterschied sich Schröder von Brandt und Schmidt.

Manche, die ihn aus der Nähe kennen, sprechen sogar von einem Charisma der Aggression. Und auch sonst war manches auffällig anders bei ihm. Die Medien nannten ihn "Genosse der Bosse", dabei kam er von ganz unten. Als Sozialdemokrat mangelt es Schröder an "Sozi-Genen", finden viele in der SPD. Und obwohl ein glänzender Wahl-Kämpfer, konnte er eines wirklich gar nicht: verlieren. Unvergessen sein fast rüpelartiger TV-Auftritt am Wahlabend 2005, als er die Macht an Angela Merkel verloren hatte und es nicht wahrhaben wollte.

Gerhard Schröder konnte als Kanzler mit den Medien, aber weniger mit seiner Parteibasis, schon gar nicht mit dem linken SPD-Flügel. Und in der Bevölkerung gilt er bis heute nicht als Sympathieträger. Vielleicht liegt das daran, dass er während seiner Regierungszeit von 1998 bis 2005 oft etwas halbstark daherkam und harsch im Umgang mit anderen war. Worüber sich Schröder wohl bewusst ist. Vorausgegangene Kränkungen seien die Ursache für diesen Ehrgeiz, hat er mal gesagt. Eine Rückschau auf Leben und Karriere lohnt sich also.

Von ganz unten - eine sozialdemokratische Karriere

Kindheit, Jugend und Studienjahre von Gerhard Schröder sind aus dem Stoff, aus dem schon immer sozialdemokratische Aufsteiger-Geschichten geschrieben wurden. Kurz: Er hatte keine Chance, aber er nutzte sie. Er habe jahrelang "Fensterkitt gefressen", hat er mal erwähnt. Eine typische Schröder-Formel mit der er Assoziationen wecken konnte und wollte. Bettelarm war sie, die Familie. Zu acht teilten sie sich in den Nachkriegsjahren 30 Quadratmeter. Auf dem Brot fehlte die Wurst und Kleider gab es nur von der Fürsorge. Wir waren die Asozialen, sagt Schröder im Rückblick. Seinen Vater hat er nie gesehen, er fiel in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges in Rumänien.

Erste Anerkennung holt sich der junge Schröder über den Fußball. Er ist kein Filigrantechniker, aber ein Kämpfer und der Star der Mannschaft. Schröder ist nun integriert in die Dorfgemeinschaft. In der Schule tut er nicht mehr als nötig. Mit 14 beginnt er eine Lehre in einem Porzellanwarengeschäft. Doch er will mehr. Die Mittlere Reife und danach das Abitur schafft er auf dem zweiten Bildungsweg. Tagsüber arbeiten, abends lernen - die Ochsentour. Er studiert Jura und ist inzwischen der SPD beigetreten. Nebenbei muss er Geld verdienen - auf dem Bau. Dort wird er als "Doktor Schröder" bekannt, denn er politisiert unter den Malochern.

Ein "68er" wird er weniger aus ideologischen Motiven. Was ihn nach links treibt, ist sein Erleben der Ausgrenzung durch die, die von Geburt an auf der Sonnenseite des Lebens zuhause sind. Seine Herkunft und sein erfolgreicher Weg nach oben nähren seinen Selbstbehauptungswillen und befeuern seinen Ehrgeiz. Gerhard Schröder ist kein klassischer Intelektueller, im Gegenteil: Weil er ganz oben angekommen ist, aber die kleinen Verhältnisse genau kennt, gibt er gerne und genüsslich den Antityp. Er liebt Currywurst und Flaschenbier im Stehen und spielt gern und oft den Underdog. Seine edlen Anzüge, die Maßschuhe, die teuren Zigarren, alles kein Widerspruch für Schröder. Er kennt das Leben von ganz unten und auch von oben.

Gerhard Schröder wird 1978 neuer Juso-Vorsitzender - Foto: dpa
1978: Gerhard Schröder ist frisch gewählter Vorsitzender der JungsozialistenBild: picture-alliance/dpa


Der Durchsetzer - Deutschland wird modernisiert

Berührungsängste mit Unbekanntem waren Schröder auch fremd, als er 2003 die Reform "Agenda 2010" startete, mit der Leistungen des Staates zurückgeschraubt und dem Bürger mehr Eigenverantwortung abgefordert wurde. Dass ausgerechnet ein Sozialdemokrat den deutschen Sozialstaat zurechtstutzte, brachte Schröder über Jahre die erbitterte Gegnerschaft vor allem aus den eigenen Reihen ein. Was konservativ-liberale Regierungen immer mal wieder angekündigt und nie in Angriff genommen hatten, die Reform der staatlichen Sicherungssysteme, setzte Schröder nun um. "Entweder wir modernisieren, oder wir werden modernisiert", lautete sein Motto.

Doris Schröder-Köpf und Gerhard Schröder 1999 auf dem Werderball Bremen - Foto (dpa)
Mit Ehefrau Doris, edlem Zwirn und teurem TabakBild: picture-alliance/dpa

Schröders rot-grüne Regierung lockerte den Kündigungsschutz, verschärfte die Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose, legte Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammen. Eine Rosskur, die den Arbeitsmarkt in Deutschland veränderte - den Zahlen nach zu urteilen zum Besseren. Innerhalb von nur drei Jahren sank die Arbeitslosenzahl von über fünf auf unter drei Millionen. Doch große Teile der SPD schäumten, vor allem die Gewerkschaften, die Verbündeten der Sozialdemokratie. In Scharen traten Mitglieder aus. Schröder zog die Reform durch. Mit Erfolg. Deutschland erwies sich in den nachfolgenden Weltwirtschaftskrisen als stabiler als andere Volkswirtschaften. Schröders Agenda-Politik gilt seitdem als Vorbild - zum Beispiel für Frankreich.

Schröders Fähigkeit, gegen große Widerstände etwas durchzusetzen, hat ihm Applaus eingebracht - vor allem aus den Reihen der bürgerlichen Parteien. Die Agenda-Politik hätte auch das vorzeitige Ende seiner Kanzlerschaft bedeuten können, er hat sie dennoch umgesetzt. Irgendwann hat er seinen diskussionsfreudigen Genossen ein "basta" entgegengerufen. Es wurde sein Markenzeichen. Und so ganz nebenbei hat er immer mal wieder mit Lust und Häme seine eigene Partei geärgert, wenn er vom "Kartell der Mittelmäßigkeit" sprach und dabei auf das SPD-Führungspersonal abzielte.

Irak Nein, Kosovo Ja! - Schröders Außenpolitik

War seine Reform-Politik noch von großen Protesten der Bevölkerung begleitet, traf Schröders Nein zu einer deutschen Beteiligung am US-Feldzug gegen den Irak ganz die Stimmung im Lande. Auch das wird auf der politischen Habenseite des Kanzlers a.D. verbucht bleiben: die kategorische Verweigerung, deutsche Soldaten für ein internationales Kontingent zu stellen. Deutschland wird seitdem nicht mehr nur als kritikloser Verbündeter der USA wahrgenommen.

George W. Bush und Gerhard Schröder 2002 - Foto: Palu J. Roberts (AFP)
Keine Freunde: Schröder sagt Nein zum Irakfeldzug von George W. Bush (l.)Bild: Getty Images

Ganz anders Schröders Marschroute zuvor im Kosovokonflikt. Erstmals schickte eine Bundesregierung deutsche Soldaten im NATO-Verbund in einen Krieg. Ein Tabubruch. Aus "Nie wieder Krieg" wurde "Nie wieder Auschwitz". Damit brach Schröder den Grundsatz aus der Zeit Helmut Kohls, dass deutsche Soldaten niemals dort zum Einsatz kommen sollten, wo Angehörige der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg als Aggressoren und Besatzer aufgetreten waren. Die Aktion war umstritten und ist es bis heute.

Schröders Außenpolitik war in seinen sieben Jahren und 27 Tagen Kanzlerschaft geprägt von einer Unabhängigkeit gegenüber dem bis dahin festen Westanbindungs-Dogma. Sie war mehr als nur der Versuch, endlich souverän zu werden. Uneingeschränkt solidarisch zeigte er sich gegenüber den USA nach den Terroranschlägen von 2001 und schickte Soldaten nach Afghanistan. Im Irak verweigerte er diesen Schulterschluss. Jedenfalls hat er der deutschen Außenpolitik in seiner Amtszeit einen Stempel aufgedrückt. Umso mehr schmerzte Schröder der vorzeitige Abschied von der Macht 2005. War er doch gerade auf diesem Politikfeld dabei, staatsmännisch zu sein.

Gas-Gerd und die Sünde des zu frühen schnellen Geldes

Doch auch als Ex-Regierungschef sorgte er für Schlagzeilen. Mit 61 Jahren war Schröder 2005 noch weit entfernt vom Ruhestand. Nur wenige Monate nach seinem Kanzler-Aus wird er Aufsichtsratschef beim deutsch-russischen Gasprojekt North Stream. Noch als Regierungschef hatte er sich dafür stark gemacht. Darf ein Ex-Kanzler das? Bis heute ist sein Image dadurch beschädigt. Insbesondere durch seine Nähe zu Putin. Manche finden seinen schnellen Wechsel von der Politik in die gut dotierte Wirtschaft unanständig. Heute räumt er ein, dass das vielleicht etwas zu rasch gekommen ist.

Bundeskanzler Gerhard Schröder und der russische Präsident Wladimir Putin 2005 - Foto: Rainer Jensen (dpa)
Umstrittene Freunde: Schröder und PutinBild: picture-alliance/dpa

Jedenfalls ist nun das Gas seine Sache. Was nicht alle so sehen. Ronald Pofalla, Angela Merkels langjähriger Kanzleramtsminister, gestattete sich mal die bissige Bemerkung, Schröder gehe es gar nicht ums Gas, es gehe ihm um die Kohle. Wie bei allen Unterstellungen ist wohl ein Körnchen Wahrheit mit dabei. Wenn schon keine Macht mehr, dann wenigstens gut verdienen, könnte da als Leitgedanke mit im Spiel gewesen sein.

Gerhard Schröder 18.09.2005 Berliner Runde
Bild: picture-alliance/dpa

Gerhard Schröder hat seinen Platz im Buch der deutschen Geschichte sicher, nicht nur wegen seiner Agenda-Politik. Er ist auch als Politik-Phänomen ein Unikum: Kein Spitzenpolitiker vor ihm hat seine Karriere so sehr neben und gegen die eigenen Leute gemacht wie er. Immer auf dem schmalen Grat zwischen Selbstdarstellung und Instinkt.