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Der Dirigent

9. August 2012

Grammy-Gewinner Paavo Järvi erklärt im Interview, warum er ein großer Bewunderer von Robert Schumanns Musik ist.

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Schon mit ihren Interpretationen der Beethoven-Sinfonien haben Paavo Järvi und Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen weltweit für Furore gesorgt. Warum sich das Orchester und sein Chefdirigent nun den Sinfonien von Robert Schumann zugewandt haben und welche Erfahrungen er aus dem Schumann-Projekt gewonnen hat, darüber spricht Parvo Järvi im Interview.

Herr Järvi, warum sind Sie ein so großer Anhänger der Musik von Robert Schumann?

Schumann berührt mich, weil seine Musik so unglaublich impulsiv ist. Sie ist sehr direkt. Eine der anziehendsten Eigenschaften von Schumann ist, dass er sofort enthüllt wer er eigentlich ist. Er hat die Fähigkeit von tiefster Melancholie, Traurigkeit und Depression plötzlich und ohne Vorwarnung in ein Feuerwerk der Freude zu wechseln. Das ist sehr einzigartig an ihm. Obwohl ich nun schon viele Jahre seine Symphonien dirigiert habe, überrascht es mich noch heute wie jemand so unerwartet die Tonart wechseln kann. Dabei schafft er diese überraschenden, magischen Momente – ohne viel Vorbereitung und ohne dass man darauf gefasst sein könnte – und dennoch ist dies alles in einem größeren Kontext dann doch wieder logisch.

Inwieweit ist Schumann ein typischer Repräsentant der Musik der Romantik?

Allein wegen seiner Persönlichkeit ist Schumann wohl der schillerndste Repräsentant der Epoche der Romantik, aber auch wegen seines Wunsches, in Wahrheit ein Mann der Renaissance zu sein. Er hielt sehr viel von seinem eigenen Schreibtalent. Und er hatte diesen unglaublichen Drang sich auszudrücken, egal wie, in den unterschiedlichsten Disziplinen. Er war ein Pianist, ein Komponist, jemand der ausführlich über Musik geschrieben hat, eine Art Musikjournalist aber auch gleichzeitig ein Philosoph. Er musste einfach Wege finden sich auszudrücken und ich denke, das hört man auch sehr deutlich in seiner Musik. Er hatte das Gefühl, dass man Musik nie um ihrer selbst willen schreiben sollte. Hinter jeder seiner Kompositionen scheint noch eine Geschichte zu stehen. Es gibt immer eine weitere Bedeutungsebene, als ob er versucht hätte, die Worte in Musik zu übersetzen.

Warum werden die Instrumentierung und Orchestrierungen von Schumanns Werken von so vielen Dirigenten so kontrovers diskutiert?

Wir sind alle mit der Behauptung aufgewachsen, Schumann sei nicht in der Lage gewesen gut zu orchestrieren. Warum? Weil sich viele Noten wiederholen und die Balance manchmal nicht funktioniert. Das ergibt eine Schwere, so eine Verdichtung der Textur seiner Werke. Daraus haben dann einige Menschen abgeleitet, dass er irgendwie nicht gut genug orchestrieren könne. Ich halte das alles für eine Fehleinschätzung, denn seine Musik ist sehr gut arrangiert, sie ist sehr gut orchestriert, es ist nur so, dass viele von uns nicht notwendigerweise seinen Anweisungen gefolgt sind. Wenn wir ein kleineres Orchester hätten, dann wäre das alles viel transparenter, wenn wir die Instrumente verwenden würden für die er komponiert hat, dann wären einige Dinge sicher von Anfang an viel klarer. So sind viele der Gründe, die uns dazu bringen ihn für einen schlechten Orchestrator zu halten, tatsächlich unseren eigenen Beschränkungen geschuldet. Das ist dann das Problem des Interpreten, des einzelnen Künstlers, der nicht genug über den Stil oder die historisch korrekte Interpretationsweise der Musik weiß.

Zusammen mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen sind Sie bekannt für Ihre dynamischen Interpretationen der Beethoven-Sinfonien. War es schwierig die Charakteristiken des Schumann’schen Klanges zu entdecken und zu entwickeln?

Wir hatten ein sehr klares Bild des Klanges, den wir für Beethoven wollten. Uns war auch von Anfang an klar, dass dies nicht der richtige Klang für Schumann war. Damit hatten wir einen guten Ausgangspunkt. Trotzdem fragten wir uns: Wenn das nicht der Klang von Schumann ist, was kann es dann sein? Wir fingen an mit der Länge der Noten zu experimentieren, erst im barocken, dann im klassischen Stil. In der romantischen Musik, besonders in Schumann, ist man immer auf der Suche nach etwas, das nachhaltiger ist. Das bedeutet im Prinzip, dass die Klangfarben dunkler sind. Wir haben dann überraschend schnell eine Affinität zur deutschen Romantik gefunden. Und das fühlte sich richtig an, es wirkte authentisch, als ob alle tatsächlich genau verstanden hätten, wonach wir suchten.

Welche ist ihre Lieblingssinfonie von Robert Schumann und warum?

Es ist sehr schwer zu sagen, welche mir die Liebste ist, denn sie sind so unterschiedlich. Und jedes Mal wenn ich wieder mit einer seiner Sinfonien in Kontakt komme, bin ich überzeugt davon, dass ich genau diese zurzeit am liebsten mag. Also, wenn ich mich wirklich entscheiden müsste, würde ich sagen: seine zweite Sinfonie. Sie ist eine der dynamischsten und emotional ergreifendsten Sinfonien seines gesamten Repertoires.

Was bedeutet es für Sie persönlich den Zyklus von Schumanns Sinfonien abzuschließen?

Nachdem ich nun den gesamten Zyklus von Schumanns Sinfonien aufgeführt habe, habe ich vor allem eine Erkenntnis gewonnen: Ich bin mir erneut völlig sicher, dass Schumann ein großartiger Komponist ist und dass all das, was man uns über ihn in der Schule beigebracht hat, völliger Nonsens war. Im Grunde sind Schumanns Sinfonien einfach großartig. Da muss sich keiner dafür entschuldigen oder sich irgendwie unterlegen fühlen. Wenn man sich mit völliger Hingabe dieser Musik widmet, man den Mut hat, wirklich zu erkennen was sich in dieser Musik verbirgt und man darüber ein bisschen die sogenannten Traditionen vergisst, dann erkennt man sehr schnell, wie atemberaubend und emotional kraftvoll Schumanns Musik wirklich ist.

Das Interview führte Christian Berger.