Der deutsche Freund
9. Juni 2011Der Aufnahmeleiter ruft laut und deutlich "Action". Ein Kamerawagen setzt sich in Bewegung und nimmt die Szene auf. Das Ganze spielt vor einem alten, ausrangierten Flughafengebäude im Norden von Köln. Ein junges Paar läuft zu einer Bushaltestelle. Der junge Mann verabschiedet seine Freundin, die daraufhin mit niedergeschlagenem Blick den Bus betritt. Der Mann steigt in einen VW-Käfer zu Freunden und fährt davon. Die Szene spielt in den 1960er Jahren. Im Hintergrund hasten Statisten geschäftig hin und her.
Deutsch-argentinische Vergangenheit
Gedreht wird die historische Szene für den Spielfilm "Der deutsche Freund". Regisseurin Jeanine Meerapfel, in Argentinien geboren, hat lange in dem südamerikanischen Land gelebt. In den 1960er Jahren kam sie nach Deutschland, studierte in Ulm bei Alexander Kluge und Edgar Reitz. Später drehte sie vor allem in Deutschland Dokumentationen und fiktive Stoffe, viele ihrer Arbeiten wurden auf Festivals ausgezeichnet.
Immer wieder hat sich Jeanine Meerapfel dabei mit der Geschichte ihrer alten und neuen Heimat auseinandergesetzt. Meist waren es Stoffe, die in die Vergangenheit blickten, den Umgang mit Verbrechen von Politik und Militär beleuchteten. Mal war es die Militärdiktatur in Argentinien, mal die Verarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Bundesrepublik.
Film über Historie
"Der deutsche Freund" greift beides auf, verzahnt die Historie der Nationen, wechselt von einem Kontinent zum anderen: In Buenos Aires der 1950er Jahren lernen sich Sulamit, Tochter eines nach Argentinien ausgewanderten jüdischen Paares, und Friedrich, Sohn eines kurz vor Kriegsende geflohenen SS-Offiziers, kennen. Der Film verfolgt das Schicksal der beiden über die folgenden Jahrzehnte, streift die Studentenbewegung in der Bundesrepublik, den Aufbruch von '68, die Unruhen in Argentinien nach dem Sturz Perons, die Militärdiktatur.
Wieviel Autobiografisches steckt in diesem Film? "Es ist bekannt, dass viele deutsche Nazis nach dem Krieg nach Südamerika geflüchtet sind", sagt die Regisseurin über ihr Filmthema, "Man weiß auch, dass viele deutsche Juden dorthin geflüchtet sind. Was bisher kaum thematisiert wurde: Wie konnten diese zwei Gruppen von Menschen, die etwa zur gleichen Zeit zum Beispiel in Argentinien einwanderten und aus dem gleichen deutschen Kulturkreis kamen, miteinander umgehen und wie reagierten sie aufeinander? Die Ironie der Geschichte will, dass sowohl die deutschen Juden als auch die deutschen Nazis in Argentinien ähnliche Wohnorte bevorzugten, ähnliche architektonische Vorlieben hatten und ähnliche Ferienorte aufsuchten." Das Drehbuch hat Meerapfel selbst geschrieben, dabei aus eigener Erfahrung geschöpft - die Liebesgeschichte zwischen Sulamit und Friedrich allerdings ist fiktiv.
Biografische Anklänge
Jeanine Meerapfel hat viele Details des Films selbst erlebt: "Biographisch sind sowohl die antisemitischen Angriffe während meiner Studienzeit in Argentinien, als auch die Verwunderung der jungen Deutschen mir gegenüber, als ich in Deutschland eintraf und sie erfuhren, dass ich jüdischer Herkunft war." All diese historischen Ereignisse und gesellschaftlichen Umbrüche versucht die Regisseurin in einen fiktiven Kontext einzuweben, aus dem Stoff einen breit gefächerten Spielfilm zu machen. Die Dreharbeiten in Argentinien liegen hinter dem Team, in Buenos Aires und in den unendlichen Weiten Patagoniens haben sie gedreht. Auch in Hessen wurde gefilmt, nun also noch in Köln und im Rheinland.
Immer wieder muss die Szene vor dem historischen Flughafengebäude unterbrochen werden, immer wieder schallt laut "Action" über den Hof. Mal ist es das Knattern eines Rasenmähers auf dem Nachbargrundstück, das die Aufnahmen und auch die Konzentration der Regisseurin stört, mal ein zu später Einsatz eines Schauspielers, einmal springt der Motor des alten VW-Käfers nicht an. Doch schließlich ist die Szene im Kasten, alle sind zufrieden, der Tross zieht weiter, ein paar Meter entfernt am alten Flughafengebäude ist schon das Setting für die nächste Szene aufgebaut.
Der globale Aspekt
Für Jeanine Meerapfel hat die Geschichte der beiden Protagonisten durchaus auch Züge, die sich verallgemeinern lassen: "Die Liebe zwischen Sulamit und Friedrich könnte auch die Liebe zwischen einem Palästinenser und einer Israelin, oder zwischen einer Muslimin und einem Katholiken sein. Eine Liebe, die den Unterschied der Herkunft aufhebt - zum Glück der Menschen." Nach dem Ende der Dreharbeiten beginnt dann die sogenannte Postproduktion, Schnitt, Musik, Ton - all das zusammen dauert oft länger als die eigentlichen Dreharbeiten. Irgendwann im kommenden Jahr soll "Der deutsche Freund" im Kino laufen.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Sabine Oelze