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Politik

Dalai Lama: "Menschheit zu materialistisch"

Sandro Schroeder
14. September 2017

"Die Menschheit ist zu materialistisch", sagt der Dalai Lama. In Frankfurt hielt der Tibeter eine Rede über ein Herzensanliegen: Eine globale Ethik, die Menschen weltweit vereinen soll.

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Deutschland Besuch des Dalai Lama in Frankfurt
Bild: DW/S. Schroeder

"Liebe Brüder und Schwestern", beginnt der Dalai Lama seine Rede auf Deutsch in der Frankfurter Jahrhunderthalle, bevor er ins Englische wechselt. Diese Anrede, erklärt er, sei bewusst gewählt. Denn die sieben Milliarden Menschen auf der Welt würde zwar Vieles unterscheiden – Herkunft, Religion, Hautfarbe – "aber es gibt eine Grundnatur, die alle Menschen eint: Mitgefühl und Fürsorge."

Wo sonst Rock-, Pop- und Klassik-Konzerte abends die Ränge füllen - ist an diesem Nachmittag im Großen Saal kaum ein Sitzplatz frei. Dabei ist der Titel des Vortrags "Globale Ethik – gemeinsame Werte" nicht gerade das, was man einen Selbstläufer nennen würde. Dazu kostet ein Ticket für einen Sitzplatz mindestens 85 Euro, alle Gewinne der Veranstaltung werden für gemeinnützige Projekte verwendet.

Deutschland Besuch des Dalai Lama in Frankfurt
Der Friedensnobelpreisträger spricht über "Globale Ethik – gemeinsame Werte"Bild: DW/S. Schroeder

Aber der Dalai Lama ist eben nicht nur spirituelles Oberhaupt von Tibet, Friedensnobelpreisträger, bestens vernetzter Weltbürger und moralische Instanz. Er ist eine Art internationaler Pop-Star der Vernunft. Auch, weil er trotz zahlreicher Titel und Weihen stets nahbar, menschlich und nicht inszeniert erscheint. Auch wenn ihn zahlreiche Bodyguards abschirmen und strenge Sicherheitsvorgaben seine Veranstaltungen begleiten.

Während der Übersetzer den ersten Teil der Rede auf Deutsch zusammenfasst, spült der Dalai Lama seinen Mund mit Wasser aus einer Kaffeetasse aus. "Das ist kein Zeichen der Respektlosigkeit. Normalerweise putze ich meine Zähne nach dem Mittagessen", sagt der 82-jährige Tibeter. Aber die Zeit fehlte, die Veranstaltung hängt dem Zeitplan bereits hinterher. Und für den Dalai Lama gelten andere Regeln der sozialen Erwünschtheit.

Simone und Peter Gradl, beide 56 Jahre alt, sind aus dem 280 Kilometer entfernte Sulzbach-Rosenberg nach Frankfurt gekommen, "um selber den Dalai Lama zu sehen und zu erleben". Der Eintrittspreis stört sie nicht - im Gegenteil, sie finden ihn angemessen: "Ein Pop-Konzert kostet ja auch 200 Euro", meint Peter Gradl.  Das Ehepaar hat einen Verein namens "Licht für Tibet" gegründet, mit dem sie Gelder für tibetische Flüchtlinge sammeln. Jedes Jahr fliegen sie in das Hochgebirgsland, um die Spenden persönlich vor Ort zu übergeben. Den Dalai Lama schätzen die Beiden für seine "positiven Aussagen", für sein konstantes "Engagement für das Zusammenwachsen der Welt".

Deutschland Besuch des Dalai Lama in Frankfurt
Das Ehepaar Gradl wollte den Dalai Lama hautnah erlebenBild: DW/S. Schroeder
Deutschland Besuch des Dalai Lama in Frankfurt
Kaum ein Sitzplatz in der Frankfurter Jahrhunderthalle war noch freiBild: DW/S. Schroeder


Dalai Lama: Verlässlicher Ruhepol

In seiner Rede in der Jahrhunderthalle betont der Dalai Lama unermüdlich, dass mehr Mitgefühl und "Bewusstsein für die Einheit der Menschheit" nötig seien. Die Mentalität "Wir gegen die Anderen" sei die Wurzel vieler Konflikte auf der Welt, bei denen sekundäre Unterschiede wie Herkunft oder Religion zwischen den Menschen überbetont würden.

Deutschland Besuch des Dalai Lama in Frankfurt
Das Publikum macht sich ein Bild vom Dalai Lama Bild: DW/S. Schroeder

Das Publikum in Frankfurt lauscht andächtig, der Dalai Lama zupft nebenbei ein Bonbon aus seiner Plastik-Verpackung. In einer Zeit, in der Kriege, Konflikte und Klimakatastrophen wüten, in der ein twitternder US-Präsident die Welt nahezu im Stundentakt im Atem hält – in diesen Zeiten ist der Dalai Lama ein verlässlicher Ruhepol. Aus der Tagespolitik hält sich der Buddhist größtenteils heraus, zumal er seit 2011 seine politische Verantwortung an die tibetische Exilregierung abgegeben hat.

In seinem Vortrag spricht er sich gegen die Politik der "Abschottung und Abgrenzung" einiger Länder aus. Die Probleme der Menschheit wie Klimawandel und Überbevölkerung seien grenzübergreifend, weswegen der Tibeter sich für mehr Staatenbünde wie die Europäische Union ausspricht: "Ich wünsche wir, dass sich der Unionsgedanke verbreitet. In Afrika. In Asien. Die Vereinigten Staaten der Welt, das muss unser Ziel bleiben." Und dann fügt er noch einen Seitenhieb hinzu, unter Applaus und Gelächter des Publikums: "Manche Politiker haben ihre ganz eigene Denkweise, nämlich: Ich, ich, ich, ich".

"Wir können an der Gegenwart nicht viel ändern"

Auf die Publikumsfrage eines jungen Mannes, was man "gegen Fanatiker und manche Präsidenten unternehmen könne", gibt der Dalai Lama dann aber wie gewohnt eine diplomatische wie philosophische Antwort: "Wir können an der Gegenwart nicht viel ändern". Stattdessen müsse man die Zukunft ins Visier nehmen, sagte der Tibeter. Sein Vorschlag: "Wir müssen künftigen Generationen eine ordentliche Bildung gewähren, ihnen Moral und Ethik beibringen – basierend auf dem gesunden Menschenverstand und nicht auf Religion."

Deutschland Besuch des Dalai Lama in Frankfurt
Der Dalai Lama bedankt sichBild: DW/S. Schroeder

Obwohl es um die Lösung der großen Probleme der Welt ging: Während seiner Rede zeigt der 82-Jährige viel Leichtigkeit und Unbeschwertheit. Er ist ein unterhaltsamer, wenn auch eigentümlicher Redner: Inmitten von ernsten Passagen kichert und lacht seine Heiligkeit über die eigenen Witze. Und manchmal braucht es nicht einmal einen Witz: Erst kritisiert der Dalai Lama, dass "die Menschheit" heute "zu materialistisch" sei und die Menschen nach "kurzfristigen Sinnesfreuden wie Geld, Macht und Sex" streben würden. Dann kichert der Friedensnobelpreisträger nach dem Wort "Sex".
Über zwei Stunden dauert der Vortrag des Dalai Lama insgesamt. Inklusive zahlreicher Publikumsfragen – auch das ist Teil der Nahbarkeit des Dalai Lama. "Ich fand den Vortrag stellenweise sehr lustig, eben weil er sich als Person ganz natürlich und unbeschwert gibt", sagt Petra Fahrschütz. Die 35-Jährige hat sich mit dem Buddhismus beschäftigt, ist nach Nepal gereist. Sie ist insgesamt zufrieden mit dem Vortrag, findet das Plädoyer für Mitgefühl und Verständnis nachvollziehbar.

Deutschland Besuch des Dalai Lama in Frankfurt
Petra Fahrschütz fühlt sich inspiriert und unterhaltenBild: DW/S. Schroeder
Deutschland Besuch des Dalai Lama in Frankfurt
Peter Bendix ist interessiert, übt aber auch leise KritikBild: DW/S. Schroeder

Nicht ganz zufrieden ist Peter Bendix. Der 27-Jährige hatte seine Freundin begleitet, wollte sich aber selbst "inspirieren lassen und vielleicht einen anderen Blick auf die Welt bekommen". Eingelöst wurde seine Erwartung nicht ganz: "Manche Antworten des Dalai Lama waren sehr allgemein gefasst und mir zu stark vereinfacht. Ich hatte auf konkretere Antworten von ihm gehofft."

Vielleicht sind es auch gar nicht die einzelnen Antworten, für die viele Besucher gekommen sind. Vielleicht wollten sich viele von der positiven Gesamteinstellung, dem Pragmatismus und der Lebensfreude des Dalai Lama ein Stück weit anstecken lassen.