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NSU-Prozess: Der Cousin von der "Nazi-Spaßfraktion"

Marcel Fürstenau, zur Zeit München28. November 2013

Stefan A. gehörte zur rechtsextremen Szene, in der sich die mutmaßlichen Mörder der Terrorgruppe NSU radikalisierten. Zu seiner Cousine und Hauptangeklagten Beate Zschäpe hatte A. ein enges Verhältnis.

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Der Cousin der Angeklagten Zschäpe, Stefan Apel, betritt am 27.11.2013 den Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in München (Bayern). (Foto: Marc Müller/dpa)
Beate Zschäpes Cousin betritt den Gerichtssaal in MünchenBild: picture-alliance/dpa

Stefan A. muss eine schwere Kindheit durchlebt haben. Zwar sagt er das nicht so, aber er erweckt den Eindruck: ein paar Jahre im Kinderheim, Hauptschulabschluss, später oft arbeitslos. Zwei quälend lange Tage wird A. im Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) vor dem Münchener Oberlandesgericht (OLG) befragt. Wie so viele andere Zeugen aus dem rechten Milieu kann sich der 39-Jährige oft nur schlecht an seine Vergangenheit erinnern - wenn überhaupt. Dabei erhoffen sich alle im Gerichtssaal A 101 von ihm Einblicke in das Milieu, in dem der NSU gedeihen konnte.

Der Terrorgruppe werden zehn rassistisch motivierte Morde zur Last gelegt. Die mutmaßlichen Täter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos haben sich am 4. November 2011 das Leben genommen, um sich ihrer Festnahme zu entziehen. Die Dritte im Bunde soll Beate Zschäpe gewesen sein, Stefan A.s Cousine und Hauptangeklagte im NSU-Prozess. Sie muss sich wegen Mordes verantworten, eindeutigen Beweise für ihre Tatbeteiligung gibt es allerdings nicht. Deshalb ist es die Strategie der Staatsanwaltschaft, Zschäpes vermeintlich tragende und treibende Rolle innerhalb des mutmaßlichen Terror-Trios zu belegen. Dafür wird ihr persönliches Umfeld durchleuchtet.

"Sie war ein lustiger Mensch"

Auf Stefan A. ruhen die Hoffnungen der Anklage aus zwei Gründen: Er war selbst im rechtsextremen Milieu Thüringens aktiv und lange Zeit eine wichtige Bezugsperson seiner Cousine Beate. Schon als Kinder waren sie oft zusammen, spielten Karten oder trafen sich später im Jugendklub. Zu ihrer Mutter habe Zschäpe ein schlechtes Verhältnis gehabt, erzählt der Zeuge am ersten Tag seiner Vernehmung. Mit ihren NSU-Komplizen Böhnhardt und Mundlos sei sie mal zusammen gewesen. Eine wichtige Bezugsperson soll die Großmutter gewesen sein, "herzlich und ehrlich". Die habe sich nach dem Untertauchen der Enkeltochter 1998 große Sorgen gemacht, berichtet A. "Ob die Beate noch lebt?", habe sie immer wieder mal gefragt.

Beate Zschäpe beim Betreten des Gerichtssaals zwischen zwei Polizistinnen. (Foto: MARC MÜLLER)
Beate Zschäpe diese Woche beim NSU-ProzessBild: picture-alliance/dpa

Seine Cousine beschreibt er als "lieb, nett, sympathisch", ein "lustiger Mensch" sei sie gewesen. Ähnlich haben sich in der vergangenen Woche mehrere als Zeugen geladene Urlaubsbekanntschaften über Zschäpe geäußert. Von der wahren Identität des NSU-Trios erfuhren sie erst nach dessen Auffliegen im November 2011.

Mundlos soll "Hetzgedichte gegen Ausländer" geschrieben haben

Stefan A. erzählt dann noch, seine Cousine habe sich nie "über den Mund fahren" und von niemandem etwas "aufzwingen" lassen. Eine Aussage, die ins Bild der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger-Anwälte passt. Sie halten Zschäpe für die Frau, die den mordend durchs Land ziehenden Böhnhardt und Mundlos den Rücken freihielt, die Zügel fest in der Hand hielt. Ihr Cousin hingegen beschreibt sie vor dem Oberlandesgericht München als nicht "so extrem rechts" wie ihre NSU-Komplizen. Diese Einschätzung stärkt eher die Version ihrer Strafverteidiger. Die tun alles dafür, ihre Mandantin als ahnungslos erscheinen zu lassen. Zschäpe selbst hat seit Beginn des Prozesses Anfang Mai kein Wort gesagt.

Als nun an zwei Tagen kaum fünf Meter von ihr entfernt der Cousin über sie und die rechte Szene erzählt, vermeidet Zschäpe jeden sichtbaren Blickkontakt. Was sie über sich und ihre toten Komplizen hört, dürfte sie kaum überrascht haben. Mundlos habe am Computer "Hetzgedichte" gegen Ausländer geschrieben. "An Inhalte kann ich mich nicht mehr erinnern", behauptet A., der dann noch beiläufig schildert, wie sein Kumpel eine "Zigeunerin" mit einem Stück Torte beworfen habe. Damals seien sie gegen alles gewesen: den Staat, Ausländer, Linke.

Lotterleben hier, Kreuzverbrennungen dort

Er und Mundlos hätten sich dann irgendwann zerstritten, sagt A. Mundlos habe ihm vorgeworfen, ein "Lotterleben" zu führen. Freimütig erzählt Beate Zschäpes Cousin, immer viel "gesoffen" zu haben. "Party, Spaß, kaum gearbeitet" - das sei damals, in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch der DDR, sein Lebensstil gewesen. Deswegen habe Mundlos ihn als "Asi" bezeichnet, einen Asozialen also. Er selbst rechnete sich damals zur "Spaß-Fraktion", die anderen gehörten zur "Scheitel-Fraktion". Eine Anspielung auf die ordentlich sitzende Frisur jener Nazis, die sich für diszipliniert hielten.

Uwe MUndlos auf einem Foto des Bundeskriminalamtes (Foto: BKA).
Uwe MundlosBild: picture-alliance/dpa

Während die zu "irgendwelchen Demonstrationen und Kameradschaftstreffen" gefahren seien, habe er lieber Konzerte besucht. Auf denen spielten rechtsgerichtete Bands, eine hieß "Vergeltung". Über Uwe Böhnhardt erzählt Stefan A. weniger. Ein "Waffennarr" sei er gewesen, fällt ihm ein. "Der hat immer Schreckschusspistolen getragen."

Aus der rechtsextremen Szene Jenas, in der das NSU-Trio groß geworden ist, will sich A. schon vor langer Zeit verabschiedet haben. Wann genau, wisse er nicht mehr. Seit acht Jahren lebt er inzwischen auf Mallorca. Geld verdiene er sich als Handwerker. Seine politischen Ansichten bezeichnet er auf die Frage eines Nebenkläger-Anwalts als "normal". Was er darunter versteht, wird deutlich, als er mit einem Foto seines Facebook-Accounts konfrontiert wird. Darauf ist ein ältere Frau mit einer Gehilfe abgebildet, garniert mit den Parolen "Geld für die Oma, statt für Sinti und Roma!" und "Deutsch sein ist kein Verbrechen".

Rassistische Fotos: "Ist doch nichts Schlimmes dabei!"

Stefan A. wundert sich über die Frage, was davon zu halten sei? "Ist doch nichts Schlimmes dabei", meint er. Woher er das Bild habe, will ein Nebenkläger-Anwalt wissen. "Keine Ahnung, hat mir irgendjemand zugeschickt", antwortet der Zeuge. Andere Fotos, mit denen A. konfrontiert wird, sind älter, stammen aus den 1990er Jahren. Auf ihnen sind acht dunkel gekleidete Männer zu sehen. Den rechten Arm haben sie zum sogenannten Kühnen-Gruß erhoben, der kaum vom Hitler-Gruß zu unterscheiden ist. Im Hintergrund brennt ein Kreuz.

Stefan A. räumt ein, bei diesem Ku-Klux-Klan-Ritual dabei gewesen zu sein. Dabei handelt es sich um einen symbolischen Akt, mit dem weiße US-Amerikaner ihren Rassenhass ausleben. Frage Nebenkläger-Anwalt: Wen erkennen sie darauf? Für A. ist es auch heute noch eine Aktion, die man "in Feierlaune" eben so gemacht habe. Auf dem Foto erkennt er fünf von acht Männern aus der rechtsextremen Szene Thüringens. Einer von ihnen ist tot: der mutmaßliche NSU-Mörder Uwe Böhnhardt. Zwei andere sitzen im Gerichtssaal des Münchener Oberlandesgerichtes. Es sind die wegen Beihilfe zum Mord angeklagten Ralf Wohlleben und Holger G.