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Der Binnenschiffer

27. April 2010

Geld macht ihn nicht glücklich, seine Arbeit schon. Die liebt Friedrich Stuntz. Seit 54 Jahren ist der 68-Jährige an Bord seines Binnenschiffes unterwegs. Das Rentnerdasein ist nichts für ihn.

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Fritz Stuntz (Foto: DW)
Fritz Stuntz

An Bord seines Schiffes ist kein Tag wie der andere. Ob er den Sonnenaufgang am Steuerstand seines Schiffes erlebt, in seiner Koje an Bord oder zu Hause im Bett - all das hängt ganz von der Dauer der Fahrt ab. Und natürlich davon, wieviel Mann Besatzung mit von der Partie sind. Eins aber ist stets gleich bei Fritz Stuntz - und das seit 30 Jahren: das Frühstück. Lächelnd schildert er sein Morgenritual: "Ich esse morgens Haferflocken - von montags bis samstags. Nur sonntags esse ich ein Ei und ein Brötchen.“ Dazu eine Tasse Tee oder auch zwei. Kaffee gibt es erst ein paar Stunden später, wenn er längst auf dem Sessel im Steuerhaus seines Schiffes sitzt.

Das Rentenalter hat der 68-Jährige längst erreicht. Aber als selbständiger Binnenschifffahrer ist er immer noch mehrere Tage in der Woche auf dem Wasser unterwegs. Die Liebe zum Wasser hat er von seinen Vorfahren geerbt, auch die waren Schiffer. "Auf dem Schiff hat man die Freiheit“, erklärt Stunz. Und das sei der Grund, warum er vor einem halben Jahrhundert in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist.

Der Steuerstand sieht aus wie ein Cockpit

Die MS Plochingen unterwegs (Foto: DW)
Die MS Plochingen unterwegsBild: DW

Das alte Metallsteuerrad ist noch an Bord. Aber es ist nur noch ein Erinnerungsstück an alte Zeiten. Heutzutage reichen Kapitän Stuntz gerade mal zwei Finger, um sein Schiff, die MS Plochingen, zu steuern. Der Steuerstand sieht aus wie ein Cockpit. Alles ist neu: Radar, Sprechfunk, Computer. "Als ich angefangen habe, hat jeder noch alles gemacht.“ Früher lernte man als Binnenschifffahrer den Beruf von der Pike auf. "Damals kamen sogar die Chefs selbst aus dem fahrenden Bereich. Heute kommen die Leute von der Universität und glauben alles besser zu wissen.“

Das Steuern des Schiffes, die Beobachtung von Wetterverhältnissen und Pegelstand, das Reinigen von Deck und Laderäumen, das Warten des Motors - all das gehört eigentlich zur Arbeit von Fritz Stuntz dazu. Doch das Alter fordert seinen Tribut: "Körperlich arbeiten - das kann ich gar nicht mehr“, stellt er fest und ergänzt: "Bei den Leuten, die wir hier haben, brauche ich das auch nicht mehr.“ Stuntz schwört auf seine Besatzung: vier Leute, denen er blind vertraut.

Konkurrenzkampf auf dem Wasser

Fritz Stuntz ist ein Partikulier alter Schule: ein selbständiger Schiffseigentümer, der noch selbst am Steuer sitzt. "Es ist sehr schön, ein eigenes Schiff zu haben, aber es bindet sehr viel Kapital.“ Wieviel unter dem Strich für ihn übrig bleibt, das weiß er immer erst am Jahresende. Reparaturen, Ausfälle, Anschaffungen - er muss das Geld zusammenhalten, weil er nie weiß, was bis zum Jahresende noch passieren kann. Sein altes Schiff muss technisch immer auf dem neuesten Stand sein. Die Konkurrenz ist groß. "Nicht derjenige, der das schönste Schiff hat, bekommt die Ladung, auch nicht derjenige, der das sicherste Schiff fährt, sondern der, der am billigsten fährt.“ Den Überlebenskampf in Zeiten der Wirtschaftskrise steht er mit Transporten von Kies und Schrott durch. Stuntz ist trotzdem mit seinem Leben zufrieden. Er hätte es nicht besser antreffen können, findet er.

Stress ist ein Fremdwort für Stuntz

Daheim in Virneburg: Fritz Stuntz und seine Crew (Foto: DW)
Mal wieder daheim in Virneburg: Fritz Stuntz und seine CrewBild: DW

Mit Gespräch und Humor vergeht die Zeit auf dem Schiff wie im Flug. Stress kennt Fritz Stuntz nicht. Er hat ein sehr einfaches Gegenmittel: "Ich bin ein gläubiger Mensch. Was kommt, das kommt.“ Wenn er seine Ladung wohlbehalten abgeliefert hat, heißt es für ihn Umsteigen: vom Steuerrad ans Lenkrad. Das geht ganz schnell, weil sein Auto immer auf dem Schiff huckepack mitfährt. In wenigen Minuten wird das Auto mit dem Ladekran abgesetzt. Dann geht es ab nach Hause. Das liegt in Virneburg, einem kleinen Dorf in Rheinland-Pfalz. Dort warten seine Frau und die vier Enkelkinder, allesamt von Stuntz' einzigem Sohn Torsten. Er ist von Beruf - wen wundert's? - Binnenschiffer! Endlich daheim warten schon die Haustiere auf ihn. Selbst sie haben mit Wasser zu tun: Die Goldfische und Karpfen warten geduldig in ihrem Teich auf ihr "Herrchen“. Der sagt ihnen "Guten Tag“ und gibt ihnen Futter.

Und noch ein Ritual gehört zum Leben des Binnenschiffers: die Lektüre des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel“. Es scheint, als würde das Heft auf dem Wohnzimmertisch geduldig auf Fritz Stuntz warten. Er interessiert sich sehr für Politik und Wirtschaft. "Ich betätige mich im Ortsverband der CDU. Ich versuche häufig, mit Politikern zu reden und Kritik zu üben. Ich lasse mich nicht abwimmeln!“, betont er. Fritz Stuntz' Alltag ist ausgefüllt. Ein zeitintensiver Beruf, Familie, daneben das politische Engagement, da bleibt nicht viel übrig. Doch für das Treffen mit Freunden, das Gespräch mit Nachbarn, ein Kartenspiel bleibt immer ein wenig Zeit. "Die meisten Menschen kennen einen nur noch, wenn das für sie von Vorteil ist. Aber einen Menschen zu kennen, von dem man keine Vorteile zu erwarten hat, das finde ich an für sich schön!“, sagt er mit voller Überzeugung. Fritz Stuntz - ein offener und ehrlicher Mensch, dem man glaubt, was er sagt.

Autorin: Elizabeta Milosevska
Redaktion: Birgit Görtz