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Belgien nach den Wahlen

14. Juni 2010

Bei den Parlamentswahlen in Belgien haben die flämischen Nationalisten den Sieg davongetragen. Ihr Ziel ist es, einen eigenständigen flämischen Staat zu gründen. Was soll nun aus dem gespaltenen Land werden?

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Bild: DW

Nie zuvor haben so viele Flamen Parteien gewählt, die entweder ein unabhängiges Flandern oder zumindest eine noch weitergehende Autonomie anstreben. Gleichzeitig haben besonders viele Wallonen die Sozialisten gewählt. Die wollen entschieden das Gegenteil: den Gesamtstaat und die innerbelgische Solidarität stärken. Die Gräben in Belgien werden immer tiefer. Jetzt haben der offene Separatist Bart De Wever, Chef der Neuen Flämischen Allianz, und der wallonische Sozialistenchef Elio di Rupo die undankbare Aufgabe, daraus eine Regierung für ganz Belgien zu basteln.

Porträt von Christoph Hasselbach (Foto: DW)
Christoph Hasselbach

Möglich ist das dennoch – und notwendig. De Wever sollte nicht versuchen, die Koalitionsverhandlungen absichtlich scheitern zu lassen mit dem Hintergedanken, damit seinem Ziel eines selbständigen Flandern näherzukommen. Auch die meisten Flamen wollen nach wie vor die staatliche Einheit erhalten. Und gerade im Moment erwarten die Wähler vor allem eine starke Führung in der Wirtschafts- und Finanzkrise.

Trotzdem muss eine neue belgische Regierung eine Reform der staatlichen Strukturen anpacken. Man wird den Flamen noch mehr Dezentralisierung anbieten müssen, auch in der Finanzpolitik, um den Separatisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Gleichzeitig muss das Wahlkreisproblem von Brüssel und Umgebung gelöst werden. Dort ärgert es viele Flamen, dass immer mehr Frankophone ins flämische Umland ziehen und ihre sprachlichen Rechte einfordern.

Doch radikale Flamen müssen auch einsehen, dass sie mitten im Europa des Jahres 2010 keine sprachlich und ethnisch reine Insel schaffen können. Sie sollten sich außerdem nicht so sicher sein, dass sie ihren relativen Reichtum gegenüber den Wallonen in alle Ewigkeit behalten werden. Das wirtschaftliche Blatt kann sich auch mal wieder wenden, und dann ist vielleicht umgekehrte Solidarität gefragt.

Aber als wären die politischen Verhältnisse im Land nicht schon schwierig genug, übernimmt Belgien am 1. Juli auch noch die EU-Ratspräsidentschaft. Das geschieht in einer Zeit einer existentiellen Wirtschafts- und Finanzkrise, die immer mehr auch zu einer politischen Krise wird. Aber man kann schon jetzt voraussagen: Als führendes Land in der EU wird Belgien weitgehend ausfallen, weil sich die belgische Politik fast nur mit sich selbst beschäftigen wird.

Wie immer, wenn solche Führung fehlt, werden in die Lücke die großen EU-Staaten stoßen. Dann wird man wieder das Klagelied über die Ungleichgewichte in Europa anstimmen: die Großen entscheiden über die Köpfe der Kleinen hinweg. Und es wird das perfekte Lehrstück für Belgien und Europa sein: wie kleinkarierter Regionalismus lähmt, während andere entscheiden.

Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Fabian Schmidt