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Der amerikanische Taliban

Udo Bauer 31. Dezember 2001

Der prominenteste Kriegsgefangene der USA, der ehemalige Taliban-Kämpfer John Walker, redet sich zur Zeit wahrscheinlich um Kopf und Kragen. DW-TV-Korrespondent Udo Bauer erläutert.

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Der Fall John Walker ist Chefsache. Der Präsident höchstselbst will demnächst bekanntgeben, was mit dem bislang prominentesten Kriegsgefangenen des Afghanistan-Feldzuges geschehen soll. Er werde den Fall genau studieren, so George Bush, und dann entscheiden. Debattiert werden im Justizministerium in Washington verschiedene Anklage-Optionen, von Landesverrat über Mord bis zu Unterstützung von Terroristen. Eins kann man schon jetzt mit Bestimmtheit sagen: Gnade hat der 20-Jährige nicht zu erwarten. Er kann sich glücklich schätzen, wenn ihm die Todesstrafe erspart bleibt, eine Strafe, die ein Großteil der Amerikaner Umfragen zufolge in diesem Fall für angemessen hält.

Er habe mit dem Gefangenenaufstand in einem Fort in Mazar-i-Sharif nichts zu tun, hatte Walker einem CNN-Reporter vor Wochen in die Kamera gesagt, kurz nachdem er sich den Soldaten der Nordallianz ergeben hatte. Auch habe er nichts zu tun mit dem Tod des CIA-Agenten Mike Spann, der ihn zuvor verhört hatte. Während Walker diese Worte stammelt, sieht er mehr tot als lebendig aus. Er erinnert mit seinen langen schwarzen Haaren und dem Vollbart auf fatale Weise an den kubanischen Revolutionär Che Guevara, wohlgemerkt an dessen Leichnam.

Glück im Unglück

Denn Walker hatte eine knappe Woche lang mit einer Kugel im Oberschenkel in dem Bunker in der Mitte des Forts ausgeharrt. Er hatte den Kugelhagel der Afghanen und den Bombenhagel seiner Landsleute überlebt. Er war unverletzt geblieben, als die Belagerer den Bunker voll Benzin kippten und anzündeten, und er wurde nicht ohnmächtig und ertrank, als er 20 Stunden bis zum Hals in eiskaltem Wasser stand.

Rückblende: Marin County im nördlichen Kalifornien war John Walkers Heimat. Hier hatte sich die zu Geld gekommene Power-Flower-Generation eine Insel der Toleranz und Weltoffenheit geschaffen. Eltern, Freunde und Lehrer beschreiben den jungen John Walker als introvertiert, musisch und sprachbegabt.

"A sweet kid"

Niemand nahm daran Anstoß, als John im Alter von 16 Jahren zum Islam konvertierte. Seine Eltern - die Mutter Buddhistin, der Vater Katholik – akzeptierten die Suche ihres Zöglings nach Spiritualität. Sie akzeptierten sogar, dass John ein Jahr später nach Jemen ging, um dort den Koran zu studieren. Dass ihr "sweet kid" nun in die Hände der übelsten Fundamentalisten geraten war und sich zum heiligen Krieger ausbilden liess, das wussten sie nicht. Auch nicht, dass er mehrfach in Ausbildungslagern in Afghanistan den Umgang mit Waffen lernte und den Hasspredigten eines charismatischen Mannes namens Osama Bin Laden lauschte. Erst recht wussten sie nicht, dass ihr Sohnemann an der Seite der Taliban in den Bergen des Hindukusch für "den wahren Islam" kämpfte.

Der Gefangene kooperiert

Vielleicht werden seine Eltern jetzt einigermaßen beruhigt sein, dass ihr Sohn nicht mehr in Afghanistan ist, sondern in den Händen der Amerikaner, an Bord des Kriegsschiffes "USS Peleliu". Dort, so heisst es, kooperiere er mit den Agenten, die ihn verhören. Vielleicht sollten Johns Eltern aber gerade deswegen beunruhigt sein. Denn alles, was er jetzt ausplaudert, kann und wird vor Gericht gegen ihn verwendet werden. Dabei spielt es keine Rolle, dass ihm das Recht auf einen Anwalt vorenthalten wird. Amerika ist schliesslich im Krieg – und da ist jedes Mittel recht, auch, dass der Präsident und nicht eine Staatsanwaltschaft über die Anklage von John Walker entscheidet.