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Denkzettel ohne Sinn und Verstand

10. Februar 2003

Ein Aufruf der Opposition zum Wahlboykott hat die Präsidentschaftswahlen in Montenegro erneut an der vorgeschriebenen Mindest-Quote scheitern lassen. Klaus Dahmann kommentiert.

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Die Präsidentschaftswahlen in Montenegro sind erneut an der geringen Wahlbeteiligung gescheitert. Am Sonntag (9.2.) gingen nur rund 47 Prozent der Wähler zu den Urnen. Somit wurde die gesetzlich vorgeschriebene Mindest-Quote von 50 Prozent zum zweiten Mal verfehlt, so dass auch diese Wahl für ungültig erklärt werden musste. Der entscheidende Grund dafür war, dass die Opposition die Bürger zum Boykott aufgerufen hatte. Ein Denkzettel gegen die Regierung von Ministerpräsident Milo Djukanovic, der bis vor kurzem selbst noch den Präsidenten-Posten innehatte.

Serbien und Montenegro eint nur noch Weniges, seit vor wenigen Tagen die Umwandlung des Bundesstaates in einen losen Staatenbund beschlossen wurde. Die Strukturen des jugoslawischen Bundes werden innerhalb der nächsten vier Wochen von einer Handvoll gemeinsamer Institutionen abgelöst. In zahlreichen Bereichen - darunter auch der Wirtschafts-, Zoll- und Währungspolitik - gehen Belgrad und Podgorica künftig getrennte Wege.

Großes Problem

Ja, da wäre aber noch etwas, was Serbien und Montenegro gemein haben: ein großes Problem. Hier wie da ist der Präsidenten-Posten seit Wochen vakant. Und alle Versuche, an dieser misslichen Lage etwas zu ändern - d.h. das Präsidentenamt neu zu besetzen - scheitern, weil nicht genügend Wähler ihren Stimmzettel in die Urne werfen.

In Montenegro mögen sich die oppositionellen Sozialisten nun voller Schadenfreude die Hände reiben. Ihr Boykott-Aufruf war zum zweiten Mal erfolgreich. Wieder haben sie Regierungschef Milo Djukanovic einen Denkzettel verpasst, denn dessen Kandidat Filip Vujanovic hat zwar erneut die mit Abstand meisten Stimmen gewonnen, aber letztlich doch die Wahl verloren.

Und doch ist es für die montenegrinischen Sozialisten ein kurzatmiger Triumph. Was ist ein Denkzettel wie dieser wert, wenn er doch an Djukanovics Macht de facto nichts ändert? Der regiert nämlich im Parlament nach wie vor mit absoluter Mehrheit. Ihm kann derzeit kein Präsident gefährlich werden, da der ohnehin keine direkte Einflussmöglichkeit auf die Regierungsgeschäfte hätte. Ein loyaler Mann wie Vujanovic auf diesem Posten wäre sicher angenehm. Aber mal ganz ehrlich: Das Regieren für Djukanovic ist doch am einfachsten, wenn der Präsidenten-Posten auf längere Zeit vakant bliebe.

Ohne Botschaft

Der Boykott-Aufruf der Opposition ist ein Protest ohne konkrete Botschaft. Djukanovic ist zwar alles andere als ein ehrwürdiger Politiker: Nicht nur, dass er als Präsident jede Begrenzung seiner Machtbefugnisse schlicht ignorierte und kräftig mitregierte. Er gilt auch als Drahtzieher der organisierten Kriminalität im Lande. Aber welche moralische Autorität hat da eine Opposition, die stets offen mit dem Kriegstreiber Slobodan Milosevic sympathisiert hat? Und was für einen Sinn macht ein Wahlboykott, wenn die, die dazu aufrufen, selbst weder sachliche noch personelle Alternativen anbieten? Es ist ein Boykott-Aufruf um des schieren Protests wegen. Es ist ein Protest, der letztlich nur ausdrückt, wie konzeptlos, machtlos, ja hilflos die montenegrinischen Sozialisten derzeit sind.

Und ihre Anhänger unterstützen diesen hilflos-trotzigen Protest, indem sie tatsächlich nicht zu den Urnen gehen. Damit bestärken sie letztlich die Partei in ihrer irrigen Überzeugung, dass ihre Verweigerung doch noch zu einer Schwächung Djukanovics führen könnte.

Kein Reifezeugnis

Das aber wird nicht geschehen. Absehbar ist, dass man bald - ähnlich wie auch in Serbien - die gesetzlich verankerte Mindestwahlbeteiligung von 50 Prozent bei Präsidentschaftswahlen abschaffen wird. Das wäre der Hebel, mit dem Djukanovic einen weiteren Wahlboykott unmöglich machen und somit die Opposition ganz ins Abseits drängen könnte.

Aber das wäre wahrlich kein Reifezeugnis für ein Montenegro, das gerne als demokratisch gefestigtes Land in Richtung Europäische Union aufbrechen würde. Denn zur Demokratie gehört schließlich auch, dass die Bürger ihr Wahlrecht ausüben. Und nicht umgekehrt - dass man die Gesetze so lange anpasst, bis sie den Regierenden genehm sind.

Die erfolgreiche Verhinderung der Präsidentschaftswahl ist also weder für die Opposition noch für die Nichtwähler ein Grund zu triumphieren. Djukanovic geht letztlich gestärkt aus dieser Situation hervor. Den Denkzettel wird man schnell vergessen, denn es war ein Wahlboykott ohne Konzept, es war Aktionismus ohne Sinn und Verstand.