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Demokratische Reifeprüfung im Irak

27. März 2010

Bei der Parlamentswahl im Irak hat keine der angetretenen Parteien eine deutliche Mehrheit erlangt. Daher ist eine Regierung auf breiter Basis nötig. Ansonsten droht eine neue Welle der Gewalt, meint Rainer Sollich.

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Themenbild Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW

Zwei positive Erkenntnisse lassen sich aus dem vorläufigen Wahlergebnis im Irak auf jeden Fall ableiten. Erstens: Sieben Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins gibt es in dem Land eine funktionierende Demokratie mit echter Wahlfreiheit und breiter Beteiligung – davon können die Bürger in den meisten anderen arabischen Ländern nur träumen. Und zweitens: Die Mehrzahl der Stimmen ging diesmal an Parteienbündnisse, die ausdrücklich nicht als Interessenvertretung nur einer bestimmten Volksgruppe angetreten waren.

Differenzen bleiben



Allerdings bleibt dies zunächst nur ein Hoffnungsschimmer. Sektierer und Spalter haben zwar eine erfreuliche Schwächung erlitten. Die Fragmentierung der irakischen Gesellschaft entlang konfessioneller und ethnischer Linien dürfte jedoch noch nicht überwunden sein und könnte sich durch Terrorattacken oder andere Provokationen erneut gewaltsam entladen, wenn es nicht gelingt, möglichst schnell eine funktionsfähige Regierung auf breiter Basis zu bilden.

Dies droht jedoch kompliziert zu werden. Keine der politischen Gruppierungen konnte eine eindeutige Mehrheit erreichen. Der betont säkular ausgerichtete Wahlsieger Ijad Allawi hat als Schiit zwar bemerkenswerte Erfolge bei sunnitischen Wählern erzielt. Er hat aber möglicherweise keine ausreichend breite Machtbasis innerhalb seiner eigenen Volksgruppe und benötigt mindestens einen Koalitionspartner, um eine handlungsfähige Regierung formen zu können.

Zweifel angemeldet

Der knapp unterlegene bisherige Regierungschef Nuri Al-Maliki erweist sich derweil als schlechter Verlierer und zweifelt das Wahlergebnis an. Dass sein Lager dabei nicht mehr - wie in den vergangenen Wochen - indirekt mit Unruhen oder gar einem militärischen Eingreifen droht, kann man nur bedingt als positives Zeichen werten.

Die wenigsten irakischen Politiker sind bisher durch die Bereitschaft aufgefallen, persönliche Machtinteressen dem nationalen Interesse unterzuordnen. Kompromissbereitschaft ist jetzt aber nötig, um das Land auf eine echte Unabhängigkeit ohne US-Truppen und ohne abermalige Verschlechterung der Sicherheitslage vorzubereiten. Gelingen kann dies nur, wenn sich keine der großen Bevölkerungsgruppen von der Macht ausgeschlossen fühlt. Dabei ist durchaus auch Eile geboten.

Ein monatelanges Posten-Geschacher in Bagdad könnte ein gefährliches Machtvakuum und damit einen idealen Nährboden für gewaltbereite Kräfte entstehen lassen. Die irakischen Wähler hatten den massiven Terrordrohungen solcher Kräfte am Wahltag mutig getrotzt. Die irakischen Politiker haben ihre demokratische Reifeprüfung noch vor sich.

Autor: Rainer Sollich
Redaktion: Eleonore Uhlich