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"Demokratie" auf ägyptisch

18. Januar 2011

Massive Betrugsvorwürfe und ein Wahlboykott der Opposition: Wenn sich Präsident Hosni Mubarak bei den Wahlen in Ägypten ein gefügiges Parlament verschafft, dann darf dies dem Westen nicht egal sein, meint Rainer Sollich.

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Niemand glaubt es ihnen. Niemand nimmt es wirklich ernst. Dennoch haben die meisten Autokraten dieser Welt die Neigung, ihre fehlende demokratische Legitimation mit Hilfe inszenierter Wahlen optisch aufzupolieren. Wer eine solche Manipulation nicht gleich auf Anhieb erfasst, erkennt sie spätestens am scheinbar stolzen "Wahlerfolg" knapp unterhalb der 100-Prozent-Grenze.

Ein grandioser Sieg - zumindest offiziell

Ägyptens Staatschef Husni Mubarak (Foto:dpa)
Kann sich als Sieger feiern lassen: Ägyptens Staatschef Husni MubarakBild: picture-alliance/dpa

In Ägypten hat es die Nationaldemokratische Partei unter dem alternden Präsidenten Hosni Mubarak jetzt im ersten Wahlgang gleich auf 95 Prozent gebracht. Angeblich. Denn dass die erste Runde der Parlamentswahlen wirklich "frei und fair" verlaufen ist, wie offiziell verkündet wird, werden insgeheim nicht einmal die loyalsten Mubarak-Anhänger glauben: Internationale Wahlbeobachter waren nicht zugelassen. Oppositionelle und Demokratie-Aktivisten klagten über Schikanen und Schlägertrupps vor Wahllokalen. Das war teilweise sogar im Fernsehen zu sehen. Sogar der treue Partner USA äußerte sich "enttäuscht" über soviel offenkundige Wahlmanipulation am Nil. Es war allerdings mal wieder ein eher routinemäßig wirkender Protest.

Sinnloser zweiter Wahlgang

Schon jetzt steht fest, dass der zweite Wahlgang vollends zur Farce wird. Denn die Muslimbrüder als wichtigste Oppositionsgruppe wollen sich wegen des offensichtlichen Wahlbetrugs gar nicht mehr daran beteiligen: Die Machthaber hatten erfolgreich dafür gesorgt, dass die Islamisten trotz ihrer Popularität im ersten Wahlgang völlig leer ausgingen. Auch die liberale Wafd-Partei zieht ihre Kandidaten zurück. Dadurch vergrößert sich nicht nur das Lager derer, die demokratische Fortschritte unter Mubarak für unmöglich halten. Es vergrößert sich auch die Gefahr, dass unter den Islamisten radikalere Strömungen erstarken.

Gemischte Bilanz der Ära Mubarak

DW-Experte Rainer Sollich (Foto:DW)
DW-Experte Rainer SollichBild: DW

Hosni Mubarak regiert das Land seit fast 30 Jahren und hat sich dabei nicht nur aus westlicher Sicht Verdienste erworben: Ägypten hat trotz einiger Zensurmaßnahmen immer noch eine weitaus freiere Presse als viele Nachbarländer. Ägypten engagiert sich vor und hinter den Kulissen für regionale Stabilität. Ägypten ist politisch gesehen berechenbar.

Auf der anderen Seiten regiert Mubarak das Land seit drei Jahrzehnten per Notstandsgesetz. Ägypten leidet unter Armut und Korruption. In Polizeistationen wird gefoltert. Und das Land macht keinen Fortschritt, was Demokratie und Menschenrechte angeht.

Kein Messen mit zweierlei Maß

Das ist nicht nur ein ernstzunehmendes Problem für Ägypten, sondern auch für Amerikaner und Europäer. Kein westlicher Politiker kann sich einen Wahlerfolg der Muslimbrüder wünschen. Aber dass offenkundige Wahlmanipulationen in einem Partnerland des Westens deutlich geringere Proteste hervorrufen als beispielsweise im Iran, ist ein fatales Signal in diese Region. Es nährt dort nicht nur unter Islamisten den gängigen Eindruck, dass der Westen ausgerechnet bei seinen ureigensten Werten mit zweierlei Maß misst.

Autor: Rainer Sollich
Redaktion: Thomas Latschan