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Demenz beim Ehemann: "Für ihn ist das gut so"

Hannah Lesch
3. Januar 2017

Norbert hat eine seltene Form der Demenz, die seine Persönlichkeit verändert. Sein Ehemann hat diese Veränderungen über Jahre miterlebt. Mit der DW spricht er offen über die eigentlichen Leidtragenden der Krankheit.

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Trauung  Frontotemporale Demenz
Norbert (links) mit Ehemann EdwardBild: DW/E.Müller

Als ich Norbert kennen lerne, bin ich überrascht. Er öffnet mir die Wohnungstür und bittet mich, in die lila Hausschuhe mit Glitzersteinchen zu schlüpfen, die er mir entgegenhält. Norbert ist demenzkrank, und das seit fast zehn Jahren. Ich hatte mir einen abwesenden, im schlimmsten Fall nicht ansprechbaren alten Mann vorgestellt.

Doch Norbert hat eine besondere Form der Krankheit: Bei ihm wurde mit Mitte fünfzig eine Frontotemporale Demenz (FTD) diagnostiziert. Anders als bei Alzheimer ist der Gedächtnisverlust nicht so vordergründig, erklärt mir Edward, der Ehemann von Norbert. Bei FTD-Patienten verändern sich stattdessen das Verhalten und die Persönlichkeit. Das fällt mir zu Beginn des Gesprächs nicht auf. Die beiden scheinen wie ein normales Paar, sitzen mir einträchtig auf dem Sofa gegenüber.

Langer Weg zur Diagnose

Anfangs traue ich mich gar nicht, die Erkrankung anzusprechen. Ich frage nach Hobbys und danach, wo die beiden sich kennen gelernt haben. Über eine Kontaktanzeige, erzählen sie. Beide leben in Berlin. Seit 2001 sind sie zusammen und ihr Hobby ist das Reisen. Die beiden trennen 15 Jahre Altersunterschied - das sei aber nie ein Thema gewesen.

Schließlich kommen wir doch auf Norberts Krankheit zu sprechen. Norbert hat vor der Diagnose als Assistent im OP gearbeitet. "Wenn die OP-Schwester etwas haben wollte, bin ich los zum Schrank. Aber bis ich da war, hatte ich schon wieder vergessen, was sie haben wollte", erzählt er. Seine Vergesslichkeit setzte ihn unter Druck: Er hatte Angst, etwas falsch zu machen oder jemanden zu gefährden. Erst gingen die Ärzte von einer Depression aus, dann von Alzheimer. Doch alle Tests verliefen negativ.

Trauung  Frontotemporale Demenz
Bei ihrer Trauung 2008 war die Frontotemporale Demenz bei Norbert noch nicht diagnostiziert. Auch nachdem die Krankheit feststand, kam es Edward nie in den Sinn Norbert zu verlassen: "Er kann ja nichts für seine Demenz."Bild: DW/E.Müller

"Als Ausschlussdiagnose blieb dann irgendwann nur noch die Frontotemporale Demenz übrig", erzählt Edward. Noch ist nicht bekannt, was FTD verursacht und wie man sie sicher feststellen kann. Einen wirklichen Beweis dafür, ob jemand erkrankt ist, bringt erst eine Untersuchung des Gehirns nach dem Tod.

Andere Persönlichkeit

Ich will wissen, was sich an Norbert verändert hat. Die Vergesslichkeit sei kein Problem, meint Edward, "aber die Wutausbrüche, die stören ihn auch selbst". Ein lauter Knall, viele Menschen, jede ungewohnte Situation kann bei Norbert einen Wutausbruch auslösen. Deswegen ist der Tagesablauf der beiden sehr aufgeräumt und strukturiert - genau wie ihre Wohnung.

Als ich nachfrage, ob sich in ihrer Beziehung etwas geändert hat, zögert Edward, und Norbert schweigt. "Die Frage stellen wir mal zurück", sagt Edward schließlich.

Unangenehme Situationen

Was mir während des Gesprächs auffällt: Norbert hat keine Impulskontrolle mehr. Er fällt Edward ständig ins Wort, um seine eigene Antwort auf eine Frage zu geben. Zwischendurch beginnt er von den gemeinsamen Reisen zu schwärmen, den Kreuzfahrten und Städte-Trips.

Später erzählt mir Edward, was Norbert längst vergessen hat: Auf dem Kreuzfahrtschiff Aida hatte er einen Wutanfall, als das Nebelhorn hupte. Und auf dem Rückflug von den Kanarischen Inseln wollte er plötzlich aus dem Flugzeug aussteigen - "mitten über dem Atlantik", meint Edward. "Das klingt lustig, aber für mich waren diese Situationen sehr unangenehm."

Düstere Zukunftsaussichten 

Doch gegen die Wutausbrüche können weder Edward, noch Norbert selber etwas tun. "Sie kommen so plötzlich wie ein Gewitter und sind ebenso schnell wieder vorbei", erzählt Edward.

Gesund leben - Demenz vorbeugen

Generell ist FTD nicht behandelbar. Forscher arbeiten daran, die Ursachen der Krankheit zu entschlüsseln, doch sie kommen nur langsam voran.

Ich denke an den US-Demenzforscher Robert Petersen, Professor für Neurologie an der Mayo Clinic in Rochester. Er hat fast sein ganzes Forscherleben der Früherkennung von Demenz gewidmet - doch über die Ursachen der Krankheit kann auch er bis heute nur spekulieren. Ich habe ihn vor kurzem gefragt, was ihn antreibt, seine Forschungen fortzuführen. "Demenz wird immer wichtiger," meinte er, "und damit auch die Suche nach ihren Ursachen. Je älter unsere Gesellschaft wird, desto anfälliger werden wir für degenerative Krankheiten unseres Gehirns."

Petersen rechnet damit, dass sich die Zahl der Demenzerkrankungen in Westeuropa und den USA in den nächsten 20 bis 30 Jahren verdoppeln oder sogar verdreifachen wird. "Es ist ein globales Phänomen. In Indien und Afrika werden sich die Fallzahlen vermutlich sogar vervierfachen."

Petersen erklärte mir, dass Demenz nicht nur eine einzige Ursache hat - das mache die Forschung so schwierig. Genetischer Hintergrund spiele ebenso wie der Lebensstil eine Rolle. Deswegen forsche er auch so intensiv an einer Früherkennung - damit in Zukunft Menschen, die ein hohes Risiko haben, an Demenz zu erkranken, der Krankheit vielleicht entgehen können, indem sie ihren Lebensstil ändern. Welche Faktoren dabei genau eine Rolle spielen, können die Forscher bisher allerdings noch nicht festmachen.

Ich fragte Petersen, ob er sein eigenes Risiko für Demenz kenne. Nein, er habe sich nie getestet, meinte er überrascht. "Was macht man denn auch mit so einer Info?" ist Edwards Antwort, als ich ihm und Norbert von der Früherkennung erzähle. "Wenn ich nichts dagegen machen kann, dann möchte ich es auch gar nicht wissen."

Manche witzeln, andere klauen

Trauung  Frontotemporale Demenz
Norberts Zeitvertreib: seine CD-Sammlung. Der Frührentner sortiert stundenlang Songs zu einem Oberthema, brennt sie auf CD und gestaltet das Cover. Mehrere Hundert Stück füllen die Regale im Arbeitszimmer. Bild: DW/H.Lesch

"Ich habe mir da letztens ein tolles Krematorium rausgesucht", bricht es plötzlich aus Norbert heraus. "Die brennen einen auf CD!"  An Edwards Reaktion sehe ich: Er hat den Witz nicht zum ersten Mal gehört. Auch die Witzeleisucht ist ein Symptom der FTD.

Nach der Diagnose im Jahr 2010 fühlte sich Edward überfordert mit dem Schicksal seines Mannes - und mit seinem eigenen. "Niemand konnte mir erklären, was ich jetzt mit dieser Diagnose anfangen soll." Er suchte nach Hilfe und fand die Angehörigengruppe der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft in Berlin. Hier treffen sich einmal im Monat Angehörige von FTD-Erkrankten, sprechen über schöne und schlimme Erlebnisse und tauschen wertvolle Tipps aus. Die Erkrankung verläuft bei jedem unterschiedlich. Manche Patienten beginnen ungehemmt zu essen - oder zu klauen.

Viele in der Gruppe pflegen ihren Angehörigen schon, erzählt Edward. "Das macht mir Angst", sagt er. Aber auch bei Norbert wird das darauf hinauslaufen, das weiß er selbst. Beim FTD-Patienten degeneriert das Hirn immer mehr. Schließlich führt die Krankheit zum Tod.

Edward ist der Leidtragende

Später macht sich Norbert auf den Weg zum Einkaufen, ihm wird das Gespräch zu viel. Jetzt spricht Edward offener mit mir. Norbert sei nicht mehr der Mann, den er 2001 kennen gelernt habe. "Es ist keine Partnerschaft mehr, wie man sich das vorstellt. Ich bin wie sein Bruder. Er mag nicht von mir angefasst werden." Körperliche Nähe, Zuwendung, Sex - das ist für Norbert nicht mehr wichtig und fehlt Edward sehr. Für Norbert ist die Situation einfacher: "Darunter leidet er nicht, für ihn ist das gut so."

Edward hat in der Angehörigengruppe gelernt, auch mal an sich zu denken. Ansonsten sei das Zusammenleben mit Norbert nicht zu bewältigen, erklärt er. "Wenn man ganz böse ist, würde man sagen: Wenn eine Demenz, dann wünsche ich mir FTD. Denn den Patienten tangieren die Veränderungen, die durch die Krankheiten entstehen, nicht. Wenn alle anderen sagen: Du benimmst dich wie ein Idiot, dann ist mir das ja wurscht", sagt Edward.

Trauung  Frontotemporale Demenz
"Wenn man was für sich tut, dann kann man danach auch besser für den Partner da sein. Das zu begreifen ist ein langer Prozess", sagt Edward rückblickend. Bild: DW/E.Müller

Hart, aber ehrlich

Eine unheilbare Krankheit diagnostiziert zu bekommen, macht Angst. An einer möglichen Lösung dafür arbeiten Wissenschaftler - unter anderen auch Petersen und seine Forscherkollegen: Sie wollen Demenz eines Tages verhindern können. Das sei das große Ziel, bis dahin sei es aber noch ein langer Weg, muss Petersen einräumen. Für realistischer hält er es zunächst, Wege zu finden, die "den Ausbruch der Krankheit nach hinten verschieben und ihr Fortschreiten verlangsamen." 

Aber ist das wirklich eine Lösung? "Einen solchen Weg zu finden, mag vom wissenschaftlichen Standpunkt her eine Errungenschaft sein, aber es macht mein Leben nicht leichter", sagt Edward, als ich ihm von den Zielen der Forscher berichte. Norbert hat mal an einer Medikamentenstudie mit einem Mittel, das potenziell gegen das Fortschreiten der Demenz wirken sollte, teilgenommen. Die Nebenwirkungen seien schrecklich gewesen. Ein Medikament, das den Krankheitsverlauf verzögert? Das will Edward nicht. "Das ist meine persönliche Meinung und mag hart klingen", meint Edward, "aber manchmal ist ein Ende mit Schrecken besser als ein Schrecken ohne Ende."